Freiraum für Kunst und Quatsch

Festival Zweimal schon hat die Hamburger Kunst- und Subkultur-Szene das alternative Festival „Off the Radar“ in Neuseeland veranstaltet. Nun findet es erstmals auf dem Hof Ovendorf im kleinen schlewsig-holsteinischen Dorf Negenharrie statt

Noch ist einiges zu tun: eine fast fertige Halfpipe und ein noch ganz leeres Feld Foto: Off the Radar

von Jan Paersch

Negenharrie, ländlichstes Schleswig-Holstein, irgendwo hier fängt die Holsteinische Schweiz an. Thomas Lengefeld ist auf einen Supermarkt-Parkplatz in den Nachbarort gefahren, um telefonieren zu können. Am anderen Ende der Welt ist das Mobilfunknetz auch nicht schlechter: In Neuseeland, wo Lengefeld bereits zweimal ein „Off the Radar“-Festival mitorganisiert hat, 2014 und 2015. Die Idee dazu entstand damals ganz spontan. „Angesprochen wurde ich im Pudel Club“, sagt er. „Der Typ hatte nördlich von Auckland 86 Hektar Land geerbt. Und ich hatte gerade Zeit und Bock, ein Festival zu machen.“

Im tiefsten Winter verschifften Lengefeld und seine Mitstreiter einen 12-Meter-Container mit Tonequipment, der dann im pazifischen Hochsommer ankam. Fünf alternative Musikfestivals für nicht einmal 1.000 Menschen hatten sie geplant. Doch nach zwei Ausgaben brachen die Veranstalter*innen aus der Hamburger Kunst- und Subkultur-Szene das Projekt wieder ab. Der Grundstücksbesitzer habe die „Dollarzeichen in den Augen bekommen“, sagt Lengefeld.

Mehr als ein Fusion-Ersatz

Nun also Negenharrie. Der Hof Ovendorf, ein ehemaliger Gutshof mit hektarweise Land drumherum. Leicht hügelige Landschaft, sumpfig-lehmiger Boden, Platz für bis zu 3.000 Besucher. Vom 29. bis zum „32. Juni“ (laut Plakatwerbung) findet dieses Jahr erstmals ein „Off the Radar“ in Deutschland statt. Ein Festival für Punker und Raver gleichermaßen möchte man sein, ein „Spielplatz im Off“.

Namhafte Bands wie Schnipo Schranke, die Berliner Electropunks Egotronic und Künstler*innen wie Felix Kubin spielen. Alle Mitarbeiter*innen arbeiten ehrenamtlich, 20 Prozent des Gewinns soll an karitative Projekte gehen. Einige der Macher*innen waren regelmäßig an der Tubebox auf dem Fusion-Festival beteiligt, einem Hangar, der für ein Kontrastprogramm abseits von Reggae und Techno stand.

„Die Fusion pausiert in diesem Jahr“, sagt Lengefeld, „deshalb haben wir die Kapazitäten an Helfern und auch den gleichen Termin Ende Juni. Es gibt viele Überschneidungen, auch musikalischer Art, aber wir haben ganz sicher nicht vor, ein Fusion-Ersatz zu sein.“ Und ebenso wenig, wie man ein Substitut für das selbst ernannte „Ferienkommunismus“-Festival an der Mecklenburgischen Seen­platte sein möchte, hat das „Off the Radar“ politische Ambitionen. „Wir zielen nicht auf den ­G-20-Gipfel und die Protestierenden ab. Der Gipfel eine Woche später ist unsere größte Konkurrenz, weil viele Festival-Interessenten womöglich in Initiativen eingebunden sind, die in Hamburg passieren.“

Politischer Anspruch

Ein Festival für Punker und Ravergleichermaßen möchte man sein, ein „Spielplatz im Off“

Ganz ohne Politik geht es auf einem von der Hamburger Subkultur geschmissenen Indie-Festival natürlich auch nicht. Das Elbphilharmonie-Modell Kanalphilharmonie, das beim Kampnagel-Sommerfestival schon von der Coverband Boy Division bespielt wurde, steht auf dem Gelände; es soll einen Polit-Floor mit einem politischen Speakers Corner geben.

Für Thomas Lengefeld stellt auch die Arbeit des eingetragenen Vereins „Off the Radar“, die er mit aktuell 30 Helfer*innen stemmt, soziales Engagement dar. „Keiner wird bezahlt und alle arbeiten trotzdem wie blöde“, sagt er. „Dabei ist es gesellschaftlich nicht vorgegeben, umsonst zu arbeiten. Für mich ist das politisch.“

Fest eingeplant ist auch, sich finanziell bei Hilfsbedürftigen einzubringen. „Musik war schon immer Vehikel neuer Strömungen, aber auch konkreter Ideen“, heißt es auf der Website. Falls sich finanzielle Überschüsse ergeben, sollen 20 Prozent der Gewinne an das Projekt „Mobile Hospital“ der Berliner Nichtregierungsorganisation Cadus fließen und 20 Prozent an den Golden Pudel Club. „Der Pudel steht uns allen sehr nahe, was die Party-Sozialisierung angeht“, sagt Lengefeld. „Da spenden wir gerne für den Wiederaufbau nach dem Brand.“

Wichtiger noch ist dem Festivalmacher aber die Hilfe für den kriegsgeplagten Nordirak. „Schon 2016 haben wir Spendengelder gesammelt, von denen dann ein Allrad-LKW gekauft wurde“, sagt Lengefeld. „Darin haben Punker dann auf einem Bauwagenplatz in Berlin ganz DIY-mäßig eine mobile Klinik errichtet. Jetzt ist das ein Einsatzfahrzeug der Hilfsorganisation Cadus, das vor Mossul Leute zusammenflickt.“

Sponsoren sind in Negenharrie weit und breit nicht zu sehen, und natürlich keine VIP-Areas. Dennoch sind bereits 1.300 Karten verkauft, mit deutlich mehr wird gerechnet. „Unsere Zielgruppe ist es gar nicht gewohnt, sich vorab ein Ticket zu kaufen, weil sie bei der Fusion immer an den Projekten mitarbeiten“, sagt Lengefeld.

Gänzlich vom allgemeinen Trend zur ausufernden Festival-Belustigung kann sich dabei auch das „Off the Radar“-Festival nicht lösen. Theater, Yoga und Workshops, darunter ein Workshop rund um die Audiosoftware Ableton mit dem Hip-Hop-Produzenten Thavius Beck, gehören zum Rahmenprogramm dazu. „Viel Kunst und viel Quatsch“ möchte man fördern. Dazu gehören selbstverständlich die Konzerte.

Jens Rachuts Ratttengold (ausdrücklich mit drei t!), Sophia Kennedy, Die Vögel, Schnipo Schranke, das Sutsche-DJ-Team – es scheint, als würden die Organisatoren die gesamte Hamburger Politkunst- und Indie-Szene gen Norden karren. „Wir sind keine große GmbH und haben uns erst einmal im Bekanntenkreis umgehört, als wir mit der Planung begannen“, sagt Lengefeld. „Deshalb kommen viele aus Hamburg. Ich musste bald nur noch auf Künstler-Anfragen reagieren, so schnell hat das die Runde gemacht.“

Eine Woche vor dem Festival gibt es noch viel zu tun. An zwei Open-Air-Bühnen und drei Indoor-Floors (O-Ton Lengefeld: „Die sind nicht viel größer als der Pudel Club“) wird noch gewerkelt. Größte Unwägbarkeit wie immer: das norddeutsche Wetter. Immerhin dürften den „Off the Radar“-Besucher*innen – der etwas reiferen Zielgruppe sei Dank – die auf Mega-Festivals üblichen Matsch-Ringkämpfe besoffener Abiturient*innen erspart bleiben.

Mit Sicherheit Trost spenden wird aber der Blick auf die Wetterverhältnisse in Neuseeland. Im 17.750 Kilometer entfernten Auckland ist es derzeit gerade mal 12° Celcius warm und es regnet.

„Off the Radar“: Do, 29. 6., bis So, 2. 7., Hof Ovendorf, Negenharrie. Infos, Tickets und Programm: offtheradar.net