„Stolz wie eine Mutter“ Theaterberufen“

Preisverleihung Die Jungen Akteure am Theater Bremen werden Montag mit dem Kurt-Hübner-Preis der Bremer Theaterfreunde geehrt und freuen sich zu Recht im Interview

Höher, schneller, weiter: Die Jungen Akteure erforschen in „Turnen“ die Tugenden der Leistungsgesellschaft Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

Interview Jens Fischer

taz: Frau Renziehausen, Frau Forstmann, den Kurt-Hübner-Preis-Preis haben die Theaterfreunde der mit zwei Angestellten kleinsten Sparte des Hauses zuerkannt: den Jungen Akteuren. Einerseits überfällig, anderseits konsequent, dies in der mit Abstand schwächsten aller Oper- und Schauspiel-Spielzeiten der Börgerding-Ära zu tun. Woran merken Sie sonst, dass Sie gute Arbeit leisten?

Christiane Renziehausen: An den Jugendlichen, die zu uns kommen. Bei denen spürt man, dass sie hier zu Hause sind und daher gern kommen. 150 bis 200 pro Saison. Viele sind Wiederholungstäter.

Nathalie Forstman: Weil uns die Theaterleitung wachsen lässt. Wir bekamen mit dem Brauhauskeller eine feste Spiel- und Experimentierstätte, dürfen Gäste engagieren, nicht nur für die Werkstattangebote, sondern auch für die großen Projekte, die wir im Moks und Kleinen Haus spielen. Zudem sind die Besucherzahlen konstant sehr gut.

Auslastung?

Renziehausen: Gefühlt nahezu 100 Prozent.

Forstman: Wir sind bei jeder Vorstellung dabei, machen das Warm-up mit den Jugendlichen, den Einlass, die Abendspielleitung und stellen fest, es kommen nicht mehr nur Oma, Opa, Tante, Onkel, Eltern, Freunde der Beteiligten, sondern immer mehr ganz normale Theaterzuschauer.

Sind die jugendlichen Laiendarsteller vornehmlich Sprösslinge des klassischen Bremer Bildungsbürgertums?

Renziehausen: Die meisten kommen aus Elternhäusern aus dem Umkreis des Theaters.

Forstman: Uns ist die Problematik bewusst. Wir haben ja versucht, das Spektrum zu erweitern mit unseren Projekten in Gröpelingen und Blumenthal, aber es ist logistisch so super aufwendig, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Wir bräuchten in den Stadtteilen einen festen Theaterraum und jemanden, der kontinuierlich vor Ort ist und Projekte anleitet, die Leidenschaft zum Theater weckt und begleitet. Haben wir aber nicht.

Warum sollte sich ein Jugendlicher eher bei Ihnen als in einer Fußballmannschaft engagieren?

Forstman: Du bist dort wie hier Teil eines gemeinsamen Prozesses, kannst im Zusammenspiel auf der Bühne aber viel mehr von dir erfahren und dich ganz anders in deiner Kreativität präsentieren, hast einfach vielfältigere Ausdrucksmöglichkeiten als auf dem Fußballplatz. Es ist doch vollkommen klar, dass Theaterspielen geiler ist als Kicken.

Verführen Sie mit Ihrer Arbeit Jugendliche dazu, Schauspieler oder Theaterzuschauer zu werden?

Renziehausen: Leider verführen wir zu Theaterberufen. Leider, weil wir ja die finanziell schlechten Aussichten und geringen Chancen kennen, sich dort durchzusetzen. Etwa 40 ehemalige Junge Akteure arbeiten heute im Theaterbereich. Mit voller Absicht aber verführen wir zum Theatergucken.

Christiane Renziehausen

Foto: Jörg Landsberg

ist Theaterpädagogin und seit 2011 bei den Jungen Akteuren in Bremen.

Sie sind also Teil der Marketing­abteilung – zur Publikumsakquise?

Forstman: Das ist ja voll die 80er-Jahre-Frage.

… aber immer noch nicht beantwortet.

Forstman: Wer mal einen Workshop bei uns mit einem Schauspieler gemacht hat, der will den halt auch auf der Bühne sehen. So geht das los. Wer selbst spielt, guckt auch gern anderen dabei zu. In dieser Reihenfolge funktioniert das.

Und wie funktioniert das Wechselspiel der Vermittlung von Bühnenkunst und Lebenskunst?

Renziehausen: Wir docken an die Themen der Jugendlichen, ihre Probleme an, sie an uns als Spielleiterinnen, damit auch an unsere Theorie und Praxis des Theatermachens.

Forstman: Wir schaffen während der gemeinsamen Arbeit so eine eigene Blase, in der alle Beteiligten stecken und in der alle sehr vertrauensvoll mitein­ander umgehen können – und so bekommen alle leichter Mut, sich tiefer auf sich selbst einzulassen und Möglichkeiten des Theaters zu genießen und auszuschöpfen.

Sie bekommen den Preis ja auch für Ihr Experimentieren mit zeitgenössischen Theaterformen: Kolonialgeschichte als Audio-Walk, Männlichkeitsbilder als choreografiertes Turnen und Pubertät als performative Installation. Was ist zuerst da, Form oder Inhalt?

Forstman: Ich habe ein Thema, eine Vorlage, eine Vision und ich habe die Jugendlichen, die Proben sind ein gemeinsames Mäandern durch Theater- und Lebenskunst. Letztendlich sind wir aber auch Regisseurinnen, die ein gutes Produkt abliefern wollen, wie alle Künstler. In meinen Inszenierungen gibt es dann immer wieder harte Entscheidungen zu treffen, etwa jemandem zu sagen, dass seine Lieblingsszene geändert, sein Monolog gestrichen wird.

Nathalie Forstmann

Foto: Bettina Conradi

ist Theaterpädagogin und leitet die Jungen Akteure seit der Spielzeit 2011/2012.

Renziehausen: Deswegen veranstalten wir Open-Stage-Abende, wo alle ihre von uns gekillten Darlings vorführen dürfen.

Häufig wirken Ihre Produktionen sehr persönlich, privat, geradezu intim. Machen die Jungen Akteure Dokutheater als Experten ihrer eigenen Identitätsfindung?

Forstmann: Unsere Jugendlichen identifizieren sich stark mit dem, was sie machen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Sachen, die sie zeigen, von ihnen selber kommen. Das ist aber gar nicht immer unbedingt autobiografisch. Wir finden es genauso wichtig, die Jugendlichen mit Fremdtexten zu konfrontieren und ihnen zu helfen, sich diese zu eigen zu machen.

Was sind Sie für die Jugendlichen?

Renziehausen: Wir dachten eigentlich sowas wie Freundinnen. Gestern hat jemand gesagt, wenn ihr Theater-Muttis den Hübner-Preis bekommt, dann bin ich natürlich dabei. Da hat sich unsere Rolle wohl geändert.

Forstman: Ich fühle mich manchmal stolz wie eine Mutter angesichts der Arbeitsergebnisse, vergesse aber auch immer wieder, dass die Jugendlichen viel jünger sind als ich.

Verleihung des Kurt-Hübner-Preises an die Jungen Akteure: Montag, 26. 6., 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus