Pflichtlektüre der jungen Republik

HISTORIE Weder die SPD noch das Tabloid-Format retteten die „FR“

Als „Lehrerzeitung“ verspöttelt, begann die FR in den 1990ern zu schwächeln

BERLIN taz | Der große Klaus-Peter Klingelschmitt hatte ein ganz einfaches Beispiel, um den Niedergang der Frankfurter Rundschau (FR) zu erklären: Früher sei stets die aus dem Briefkasten der taz-Redaktion in Frankfurt am Main geklaut gewesen, während die konservative Konkurrenz steckenblieb. „Heute“, seufzte der 2011 verstorbene Hessen-Korrespondent der taz noch im vergangenen Frühjahr, „ist immer die Frankfurter Allgemeine weg, und die FR bleibt drin“.

Als die Frankfurter Rundschau 1945 unter amerikanischer Lizenz gegründet wurde, sah das noch anders aus: Das dezidiert linksliberale Blatt stieg rasch zur Pflichtlektüre der jungen Bundesrepublik auf. Bis in die 1970er Jahre führte der von den Nazis als Sozialist verfolgte Karl Gerold die Redaktion und lebt bis heute in der nach ihm benannten Stiftung fort. Gern als „Lehrerzeitung“ und „Gewerkschaftsblatt“ verspöttelt, begann die FR in den 1990er Jahren zu schwächeln.

Unter Chefredakteur Roderich Reifenrath kam die Auflage ins Rutschen, auch weil sich das Blatt streng an die Diktion ihres Chefs, man „verändert eine Zeitung nicht bei Gefahr ihres Todes“ hielt – und jede Modernisierung ablehnte. Die Zahlen wurden künstlich gehübscht – durch immer mehr Bordexemplare und billige „Sonderverkäufe“.

Schon vor Jahren stand die FR vor dem Aus – zu hoher Personalstand, auch in der zum Verlag gehörenden Druckerei, die bis heute vor allem von Fremdaufträgen abhängig ist. Retter wurden verzweifelt gesucht, gewerkschaftsnahe Stiftungen winkten dankend ab, bis sich die SPD erbarmte: Die SPD-Presseholding DDVG übernahm mit 90 Anteilsprozenten den Löwenanteil Druck- und Verlagshaus Frankfurt, der Rest liegt bis heute nominell bei der Stiftung. Personal wurde abgebaut, die FR versuchte mit einem Schwerpunktkonzept zu punkten. Über dessen Erfolg sind damals Beteiligte bis heute höchst verschiedener Meinung.

2006 stieg dann der nächste Retter ein: Verlegerpatriarch Alfred Neven DuMont übernahm die Hälfte der FR-Anteile und wurde als „letzter echter Verleger“ gefeiert, dem es nicht nur auf den schnöden Gewinn ankommt.

Und die FR wurde mutig: Das große Blatt wurde bunt und schrumpfte aufs handliche Tabloid-Format, bot längst wieder mehr als Lesestoff für die Klischee-Klientel im Cordanzug. Doch der Ruf war dahin. Jeden Tag, den die gedruckte FR erscheint, macht sie einen Verlust in fünfstelliger Höhe. STG