Mut zu Widersprüchen

Festival In den vergangenen fünf Tagen präsentierten sich internationale Nachwuchskünstler*innen aus Theater, Tanz und Performance beim Outnow!-Festival in Bremen – und ihre Ideen davon, was die darstellenden Künste von morgen sein könnten

Stephan Dorn als Enzyklopädist im Gehäus:Ordnung Foto: Hanke Wilsmann

Wie versteht der Nachwuchs der Performing-Arts Szene ihre Arbeit? Antworten darauf gab das diesjährige Outnow!-Festival, das in Kooperation zwischen der Schwankhalle und dem Theater Bremen veranstaltet wurde. Unter den insgesamt 19 Produktionen fanden sich klassische Inszenierungen, dominiert wurde das Festival jedoch von Arbeiten, die alte Genregrenzen auflösten und sich spartenübergreifend an neuen Formen probierten.

Deutlichstes Beispiel für eine hybride Aufführungsform war die gemeinsame Regiearbeit von Gesa Bering und Stephan Dorn – was nicht verwundert: Beide haben Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen studiert. Dieser Studiengang ist für seine Theoriestärke bekannt und zählt in der akademischen Kulturlandschaft als Institution.

Inhaltlich entwirft die Hörspiel-Performance „Ordnung“ von Bering und Dorn die Utopie einer Total-Enzy­klo­pä­die der Welt und ist zugleich eine Studie über das Zusammenspiel von Sound und Licht auf der Bühne ist. Denn dort ist nur Stephan Dorn als Verfasser des Lexikons zu sehen, sitzend in einem wohnlich eingerichteten Gewächshaus.

Dynamik kommt von anderer Seite: Aus dem Off schildert die Stimme Berings das Entstehen der Enzyklopädie. Sprache kommentiert nicht das Geschehen, sondern tritt an seine Stelle, ist es. Unterstützt wird Berings Stimme dabei von Sound- und Lichteffekten, die dem gesamten Stück zur nötigen Plastizität verhelfen.

Besonders imposant dabei: ein inszeniertes Gewitter in Dorns Gewächshaus sowie an dessen Wände projizierte Vögel und Fische, die gemeinsam fliegen – oder schwimmen. Die Idee hinter der Enzyklopädie wird eindrucksvoll visualisiert: Ihre Struktur gleicht einem globalen Netz, in dem alles mit allem so zusammenhängt, dass am Ende die Idee der Struktur selbst ad absurdum geführt ist, sich auflöst.

Das Ausstellen von Differenzen und Widersprüchen war das unausgesprochene Thema des Festivals. Bereits die Auftaktinszenierung folgte dieser Prämisse. In „Let Me Be Your Hero, Baby“ wählen die fünf Performerinnen Henke Tuinstra, Annica Muller, Maxime Vandommele, Luca Bryssinck und Birgit Welink den Antigone-Mythos als thematischen Rahmen – eine Frau, die sich aus edlen Motiven dem herrschenden System entgegenstellt und dafür im Tod endet. Während das Opfer-Täter Verhältnis im Sophokles-Stück recht eindeutig ist, verwischt diese Grenze bei der Adaption.

Der Versuch, Feindbilder zu konstruieren, scheitert. Das Problem suchen die Akteurinnen deshalb bei sich selbst. Die fünf Antigones scheinen damit gefangen in einer neoliberalen Logik, wodurch die antike Vorlage erschreckend zeitgemäß wirkt. Gleiches gilt für ihren Ausweg, den sie in einer Fiktion von sich selbst als dominante Heldinnenfiguren finden und die schließlich abrutscht in einen Selbstoptimierungswahn.

Während einer Work-out-Perfomance folgen die fünf Performerinnen schließlich ihrer undankbaren Bestimmung, nicht ohne einen letzten „shit“ auf alles und jeden zu geben. Übrig bleiben die fünf ­Antigones als eine Kippfigur zwischen Selbstermächtigung und Ohnmacht, die ihren Untergang dann auch konsequent mit den Worten bestreiten: Let Me Be Your Hero, Baby. Florian Schlittgen