ES HILFT NICHT, MUSLIME ZU BESPITZELN. MAN MUSS SIE INTEGRIEREN
: Schauspiel fürs verängstigte Volk

Islamische Verbände und Muslime sollen enger mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, um Extremisten in ihrem Umfeld zu identifizieren. Diese Forderung wird seit Monaten gebetsmühlenartig erhoben – von Journalisten, Polizisten und Verfassungsschützern. Sie klingt für viele plausibel, ist es aber nicht. Im Gegenteil.

Eine Zusammenarbeit dieser ungleichen Partner wird das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen nicht entkrampfen, sondern verschlechtern. Denn die Aufforderung unterstellt den muslimischen Interessenvertretungen eine Mitwisserschaft und einen privilegierten Zugang zu den klandestinen Gruppen islamistischen Terrors qua religiöser Zugehörigkeit. Diese, in vielen Köpfen herumspukende und durch nichts belegte Vermutung wird nun amtlich untermauert. Gleichzeitig sendet die durch öffentlichen Druck erzwungene Zusammenarbeit der harmlosen und staatstragenden Dachorganisationen mit den deutschen Sicherheitsbehörden eine fatale Botschaft: Muslime sind in erster Linie nicht Staatsbürger, sondern ein Problem der inneren Sicherheit. Die Republik beschreitet einen gefährlichen Weg, wenn ihre Bürger nicht mehr zu allererst als Individuen und gleichberechtigte Bürger betrachtet werden, sondern primär als Angehörige ihrer Klasse, Ethnie oder Religion.

Die neue Kooperation ist ein Schauspiel fürs verunsicherte und verängstigte Volk. Die Sicherheitsbehörden demonstrieren Entschiedenheit und verschleiern so, wie bescheiden ihre Kenntnisse über den islamistischen Terrorismus bis heute leider sind – trotz seit Jahren steigenden Aufwands.

Wichtiger als folgenlose Inszenierungen wäre die gesellschaftspolitische Integration des Islam. Die ist nach dem 11. September auf halbem Weg stecken geblieben. Das liegt auch an einer Mehrheitsgesellschaft, die nicht anerkennen will, dass der Islam unverrückbar zu Deutschland gehört und der größte Teil der Muslime Bürger sind, die die Grundwerte dieser Gesellschaft teilen. Die Terrorismusbekämpfung muss andere Wege gehen als den soeben beschrittenen. EBERHARD SEIDEL