Neues Album von Bonnie „Prince“ Billy: Gemütlichkeit am Abgrund

Der US-Singer-Songwriter verneigt sich auf „Best Troubadour“ vor seinem Idol Merle Haggard. Er verwandelt Songs in intime Hausmusik.

Bonnie „Prince“ Billy sitzt hinter Mikrofonen und spielt Guitarre

Bringt Leben in die Songs von Merle Haggart: Bonnie „Prince“ Billy Foto: Jessica Fey

„Three chords and the truth“, drei Akkorde und die Wahrheit, lautet eine Definition für Country. Einmal wurde Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy gefragt, welchen Song er als alternative US-Nationalhymne vorschlagen würde, einen Song, der ein realistisches Bild seines Heimatlandes zeichnen würde. Man solle die Songs des Countrymusikers Merle Haggard auf Zufallswiedergabe stellen, lautete seine Antwort.

Auf der Suche nach der Wahrheit befindet sich Will Oldham mindestens seit 1993, damals erschien das Debütalbum seiner Band Palace Brothers: „There Is No-One What Will Take Care of You“. Das kam dieser wie auch immer gearteten Wahrheit schon sehr nahe. Und bereits damals hatte man den 23-Jährigen mit einem Bein in der Klapse gesehen. So radikal traurig und höchst poetisch klang niemand sonst.

Dann suchte und fand Oldham mit seiner Musik auch noch den Anschluss an die seltsamen alten Traditionen von Country und Folk. Er machte damit die Insignien des White Trash – Baseballkappe und Holzfällerhemd – wieder interessant und ist also als einer der Urheber auszumachen für ein Folk-Revival, das uns heute so hohles Zeug wie Mumford and Sons und die Fleet Foxes beschert – handgemachte Musik zum Mitsingen, die qualitativ nicht mal an das Craft Beer heranreicht, zu dessen Verzehr sie den Soundtrack bereitstellt.

Eine Entschuldigung dafür darf man von einem Will Oldham nicht erwarten, gewisse Wiedergutmachungen liefert er regelmäßig in Form neuer Alben, jetzt mit einer Verneigung vor seinem Idol Merle Haggard. Auf „Best Troubadour“ hat er Songs aus Haggards gewaltigem Katalog neu eingespielt. Statt der erwartbarem Hits hat sich Oldham dessen Spätwerk vorgeknöpft. Denn Haggard, auch das sagte Oldham einmal im Interview, habe sich trotz allem Ruhm nie zurückgelehnt und einfach nur Songs gespielt: „Merle Haggard hat beim Songwriting immer den Anspruch, so gut zu sein wie Jimmie Rodgers, Bob Wills und Lefty Frizzell“, erklärte Oldham vor dem Tod seines Idols im Jahr 2016.

Die Hosen runterlassen

Eine dieser unorthodoxen Coverversionen ist Haggards „I Am What I Am“ vom gleichnamigen Album (2010): „I won’t be a slave / And I won’t be a prisoner / I’m just a nephew / To today’s Uncle Sam / I believe Jesus is God / And the pig is just ham / And I’m just a seeker, I’m just a sinner / And I’ll be what I am“. Haggard hat diesen Song musikalisch äußerst karg angelegt, als Geständnis eines alten Mannes, der die Hosen runterlässt, weil er niemandem mehr etwas vorzumachen braucht. Und er klopft sich dabei dezent auf die eigene Schulter.

Bei Oldham wird daraus das wärmste und tragendste Stück des Albums, es tönt wie in mildes Sonnenuntergangslicht getaucht: Was beim 73-jährigen Haggard als so simples Geständnis daherkommt, bei Bonnie „Prince“ Billy wird es zur Feier einer Größe, die er selbst noch nicht erreicht hat (auch wenn Oldham schon weit gekommen ist auf dem Weg zum ‚Ihr könnt mich alle mal‘).

Er machte die Insignien des White Trash – Baseballkappe und Holzfällerhemd – wieder interessant

Und doch nimmt „Best Troubadour“ den entgegengesetzten Weg: Aufgenommen in Oldhams Wohnzimmer, klingen diese Anverwandlungen wie Hausmusik, nah und ungezwungen, und das macht einige der Songs so lebendig, wie sie es vielleicht ursprünglich nie waren: Die intimen Texte, viele davon im Duett gesungen, entwickeln einen Sog, den man bei Haggards Einspielungen nicht findet, so staatstragend und onkelhaft wirken sie bisweilen. Oft ist das auch dem Zeitgeist der Aufnahmen geschuldet.

Dass sich Oldham vor allem für Haggards Spätwerk entschieden hat, liegt an der Tatsache, dass die Songs des Alten am wenigsten croonerhaft klingen. Dennoch fragt man sich für einen Moment, warum Countrysongs überhaupt unter Studiobedingungen aufgenommen werden, lebendig werden sie nur in der Kneipe oder im Wohnzimmer.

Ein großes Herz

Doch das ist wahrscheinlich nur eine Auffassung von Country. Im konservativen Heartland mit seinem Glamour und seiner schlagerhaften Anmutung ist Oldham ein Außenseiter. Aber Country definiert sich ja auch über ein großes Herz, in dem immer Platz ist für Randfiguren, wie Townes Van Zandt oder Blaze Foley (aus dessen Feder stammt „If I Could Only Fly“, das den Titel für ein Haggard-Album gegeben hat und sich auf „Best Troubadour“ findet).

„Best Troubadour“ ist ein Tribute-Album, eine Ehrerbietung, wie sie im Country Tradition hat. Auch Merle Haggard, sagt Oldham, sei ja kein monolithisches Original, im Gegenteil habe dieser immer deutlich gemacht, auf welchen Schultern er stünde – auf denen von Bob Wills, Lefty Frizzell und vielen anderen. Verneigung hin oder her, mit seiner markant-gebrochenen Stimme macht Oldham zwangsläufig jede Coverversion zum Oldham-Song.

Bonnie „Prince“ Billy: „Best Troubadour“ (Domino/Good to Go).

Im Vergleich zu Haggards männlichem Bariton bekommen dessen Songs bei Oldham eine ganz andere Gültigkeit: Wenn Oldhams gebrochener Gesang mal wieder gerade so die Kurve zum harmonischen Abschluss bekommt, als sei darin alles Torkeln und Taumeln auf dem Lebensweg enthalten, vielleicht auch alle Lüge, die dann am Ende doch zur Wahrheit wird (und umgekehrt). Verstärkt wird das noch, wenn Oldham mit Kolleginnen im Duett singt.

Es sind Gegensätze, die sich bei Oldham wie in einer geheimnisvollen musikalischen Emulsion scheinbar mühelos vereinigen. Oldham hat selbst große Songs komponiert, für „I See a Darkness“ wurde er gar von Superstar Johnny Cash zum Duett gebeten. Oldhams Größe ist aber seit jeher die inszenatorische Geste, die Haltung, mit der er eigene und fremde Songs interpretiert. Die besondere Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit, die er dabei an den Tag legt. Die auch eine hemdsärmelige, beschwingte Gemütlichkeit nicht ausschließt, wie sie auf „Best Troubadour“ von Drew Millers gemächlich dudelndem Saxofon repräsentiert wird. Direkt daneben gähnt der Abgrund von Einsamkeit, Verlassenwerden und Tod („Roses in the Winter“, „My Old Pal“).

Liebe zwischen Schwarz und Weiß

Three chords and the truth: Bei Bonnie „Prince“ Billy kommen noch ein paar Instrumente dazu. Zudem steht Merle Haggard ja noch für eine andere Seite des Country: Er gilt als archetypisch für den Bakersfield-Sound, der sich in den späten fünfziger Jahren als Gegenmodell zum glatten, streicherbeladenen Country aus Nashville etablierte. Als musikalische Neuerungen werden Haggards Songs auf „Best Troubadour“ aber nicht gefeiert, es geht Oldham um dessen Imagewandel, um einen Künstler, der sich glaubwürdig von seinem einstigen reaktionären Weltbild verabschiedet hat.

Über Haggards berühmtesten Song „Oakie From Muskogee“ (nicht auf diesem Tribute-Album), wurde ausgiebig diskutiert, darüber, ob er seine Hippie-hassende Botschaft ernst meinte oder ob sie insgeheim ironisch angelegt war. Sogar US-Präsident Richard Nixon soll sich daraufhin für Haggard begeistert haben. Dieser schien seit seinen Gefängnisaufenthalten Amerika noch mehr zu lieben, denn da sei ihm deutlich geworden, sagte er einmal, von welch großartigem Land er in seiner Gefängniszelle ausgeschlossen war. Was er aber an den USA liebte, ist eine andere Frage. Dass ein Song über eine Liebe zwischen Schwarz und Weiß nicht die Nachfolgesingle zu „Oakie From Muskogee“ wurde, geht auf den Geschäftssinn seines Managements zurück.

Mit seiner Herkunft aus ärmsten Verhältnissen, einer kriminellen Laufbahn schon als Jugendlicher, die mehrere Gefängnisaufenthalte nach sich zog, unter anderem in Saint Quentin, wo er Johnny Cash live gesehen hat, bringt Haggard jedenfalls jede Menge street credibilitymit. Seine Plattenfirmen haben lange verheimlicht, dass ihr Star ein Vorstrafenregister hatte. Auf „Best Troubadour“ trifft also dieser gebrochene Star, der dem Establishment zeitlebens seine Version von „three chords and the truth“ entgegengehalten hat, auf den Alternative-Folk-Auteur, der im Angesicht der Craft-Beer-Welle eine fast biblische Statur bekommt. Das Ergebnis kann sich hören lassen.

Haggards Tod im April 2016 hätte Oldham fast einen Strich durch die Rechnung gemacht, den Plan eines Tribute-Albums hegte er nämlich schon früher. Ursprünglich wollte er Haggard seine Versionen vorspielen. Ob dieser sich zu Lebzeiten zu einem Duett mit Oldham bereit erklärt hätte? Wir werden es nie erfahren. Interessant wäre es, welchen Song sie dafür ausgewählt hätten: „I Am What I Am“ wäre es sicher nicht geworden.

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