Bildungskanon an der Uni: Crowdfunding gegen Neoklassik

Eine Initiative kritisiert die einseitige Ausrichtung der Wirtschaftslehre. Sie ruft zu Spenden auf, um alternatives Lehrmaterial zu finanzieren.

Beschäftigte eines Stahlwerks arbeiten an einer Stahlkonstruktion

Wirtschaft lässt sich nicht nur mit der „unsichtbaren Hand“ erklären Foto: dpa

BERLIN taz Kritische Wirt­schafts­student*innen wollen per Crowdfunding Geld für alternatives Lehrmaterial sammeln. Die Aufsätze, Grafiken und Videos sollen auf der Internetseite exploring-economics.org veröffentlicht werden, wie das Netzwerk „Plurale Ökonomik“ am Montag mitteilte. Bis zum 4. Juni sollen 20.000 Euro eingenommen werden.

„Unser Ziel ist es, die Lehre pluralistischer zu gestalten“, erklärt Maralena Klenk von der Berliner Gruppe der Initiative, „weg von der Neoklassik und hin zu aktuellen Fragen und modernen Ansätzen.“ Bisher lehren die wirtschaftswissenschaftlichen Institute fast ausschließlich die Neoklassik. Sie ist umstritten, weil sie stark auf mathematischen Modellen basiert und genutzt wurde, um zum Beispiel Sozialabbau in vielen Staaten zu begründen.

Vor drei Jahren veröffentlichten Student*innen einen offenen Brief für eine plurale Ökonomik, den über 230 Wissenschaftler*innen und über 100 Initiativen in 30 Ländern unterzeichnet haben. Nicht nur die Weltwirtschaft, auch die Wirtschaftswissenschaft stecke in einer Krise, heißt es in diesem Aufruf. Unterstützt wird der Aufruf der jungen Student*innen von bekannten Ökonomen wie Steve Keen und Thomas Piketty. Seitdem organisieren die Initiativen rund um den Jahrestag des offenen Briefs Veranstaltungen, um auf ihr Anliegen hinzuweisen.

„Im Jahr 2014 haben wir die Forderung aufgestellt, dass 20 Prozent der Lehrstühle in den Wirtschaftswissenschaften mit kritischen Professor*innen besetzt werden“, erzählt Gustav Theile, ein Sprecher des Netzwerks Plurale Ökonomik. Doch bisher sind nur kleine Erfolge zu verzeichnen: Die Universität Siegen und die Hochschule Cusanus bieten plurale Wirtschaftsstudiengänge an, in denen die Studierenden auch andere Denkschulen als neoliberale und neoklassische Theorien und Modelle kennenlernen. Einige Arbeitskreise haben es geschafft, Ringvorlesungen anzubieten oder regelmäßig außeruniversitäre Podiumsdiskussionen zu veranstalten. Eine weitergehende Kooperation mit Wirtschaftsprofessor*innen ist allerdings selten.

Plurale Schreibwerkstätten

Mit der Crowdfunding-Aktion soll nun genau jenes Lehrmaterial finanziert werden, welches nach Meinung der Ini­tiative in den Seminaren fehlt: Modelle des Postkeynesianismus, die Grundzüge marxistischer Ideen, Einblicke in die ökologische Ökonomik oder die Bedeutung der feministischen Wirtschaftswissenschaften.

Das Material soll in Schreibwerkstätten von jungen Wis­sen­schaftler*innen erstellt werden. Das Netzwerk erhofft sich dabei einen interaktiven Austausch zwischen Studierenden und Professor*innen. Langfristig soll plurale Lehre allerdings in den wirtschaftswissenschaftlichen Vorlesungen und Seminaren und nicht in außeruniversitären Veranstaltungen stattfinden.

Der Verein „Netzwerk Plurale Ökonomik“ existiert seit 2012. Er gehört zur internationalen Initiative „International Student Initiative for Plural Economics“ (Isipe). Auf lokaler Ebene sind an vielen Unis weltweit Arbeitskreise und studentische Gruppen tätig, die der Initiative angehören.

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