Ein Garten voller Geräte

VERWILDERN Die Berliner Musikerin Gudrun Gut zeigt auf ihrem neuen Album „Wildlife“, dass Stil und Natur sich nicht unbedingt widersprechen müssen. Für simple Stadtflucht steht dieses Album nicht. Künstliches und Natürliches kommen sich nahe

„Ich finde es nicht gut, wenn die Frau das Immanente ist“ – das ist schon ein spitzenmäßiger Satz, den Gudrun Gut da in einem Interview gesagt hat, und er ist weit radikaler, als er sich anhört

VON NADJA GEER

In den letzten Jahren ist die kritische Theorie mit der Deterritorialisierung ja ziemlich weit gegangen. Zu den alten Essentialismen, denen der Boden unter den Füßen entzogen wurde, gehörten Geschlecht, Subjekt und Haltung. Im Zuge einer antiessentialistischen Kritik wurde die Pose zur besten und da am wenigsten besitzergreifenden Form der kritischen Haltung hochgeschrieben.

Gudrun Guts gekrümmte Figur auf dem Coverfoto ihres aktuellen Albums „Wildlife“ ist weder Haltung noch Pose. Oder vielleicht ist es sowohl Haltung als auch Pose. Mit dicken, schweren, schwarzen Gummistiefeln steht Gut fest auf grünem Grund, allerdings wirkt ihre nach unten gebeugte Gestalt schon ziemlich gestellt. Und die langen roten Haare verwachsen fast mit dem Grün. Ist das ein Bild dafür, dass auch Gudrun Gut dem Logozentrismus nun entsagt und sich handfesten Dingen und Materialen wie Mutter Natur zuwendet? Nein, auch Guts neues Werk steht nicht monothematisch für den Gedanken „Raus aus dem Club und zurück zur Natur“, wie kürzlich im Berliner Stadtmagazin Zitty zu lesen war.

Denn musikalisch spricht auf „Wildlife“ nichts dafür, dass Gut jedweder Form der städtischen Antimaterie durch matriarchale Fruchtbarkeitskulte ersetzen möchte. Sie summt nicht mit den Bienen wie die US-Songwriterin Tori Amos auf „The Beekeeper“ und imaginiert auch keine esoterischen schwarzen Löcher wie die Elektronikproduzentin Laurel Halo. Weiblichkeit ja, scheint Gudun Guts Album zu sagen, aber dafür gibt sie nicht ihren ganz persönlichen Konstruktivismus auf.

„Ich finde es nicht gut, wenn die Frau das Immanente ist“ – das ist schon ein spitzenmäßiger Satz, den Gudrun Gut da in einem Interview gesagt hat, und er ist weit radikaler, als er sich anhört, denn in der Poptheorie werden Frauen oft genau so dargestellt. Frauen stehen für das Sein, Pop für den Schein, und beides schließt sich irgendwie aus.

Doch den Gedanken der Konstruktion kultiviert Gudrun Gut heute genauso wie zu ihren New-Wave-Zeiten mit der Band Malaria! im Westberlin Anfang der Achtziger – glücklicherweise. Vielleicht auch durch die Mitarbeit des Kölner Technoproduzenten Jörg Burger, der über die Hälfte der Stücke abgemischt hat, stellen sich beim Hören von „Wildlife“ durchaus angenehme Synergieeffekte ein, die sich hoffentlich nicht nur durch einen, wie man heutzutage sagt, „hypnagogischen“ Appeal erklären lassen. Auch jenseits der eigenen Erinnerung passt sich das Gespenst des Oldschool-Pop der achtziger Jahre dem kompakten Techno der Gegenwart an.

Augenzwinkernd altersweise

Das könnte daran liegen, dass beide mit einem unüberhörbaren Hang zum Minimalismus arbeiten. Anfang der Achtziger wurde dem frühen Postcard-Pop, etwa von den schottischen Bands Orange Juice und Josef K., auch immer „cheeky postmodernism“ vorgeworfen – und wenn die Kraftwerk-Anleihen auf „Protecting my Wildlife“ nicht eklektizistisch und postmodern sind, was sind sie dann?

Burger und Gut sind altersweise geworden, da darf sich auch schon mal ein Augenzwinkern in den Sound einschleichen. „Garten“ beispielsweise, der Hit, zitiert nicht nur in gewisser Weise „Kaltes klares Wasser“ von Malaria!, sondern hört sich auch so an, als hätten sich die beiden im Hinterzimmer irgendeines New-Wave-Cafés getroffen und ihren Casio angeschmissen. Wenn das „musikalisches Re-Enactment“ ist, dann ist es auf jeden Fall amüsant.

Sophisticated ist „Wildlife“ dennoch, „gelebte Kultur“, wie Gut sie schätzt, denn ihre Musik zitiert nicht nur einen Sound. Über ihre Texte transportiert Gut eine Haltung – hier kommt also die Haltung wieder ins Spiel, die feministische Philosophin Linda Zerilli würde sogar von Politik sprechen. Denn Politik als etwas in die Welt setzende Freiheitspraxis war Pop in den achtziger Jahren bestimmt. „Der Mensch ist von Natur aus künstlich“, das wussten schon die Lebensphilosophen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und im Pop wurde diese Künstlichkeit auf die Spitze getrieben und als Angriff gegen den Normalismus eingesetzt.

Und so hatte man das Gefühl, als Gudrun Gut ihr Album vor ein paar Wochen im Berliner „Chalet“ vorstellte, dass sie nicht nur das Wildlife der Uckermark verteidigt (wo sie ein Landgut bewohnt), sondern auch ihr eigenes Wildlife – und, daran anschließend, auch unseres, die wir ebenfalls mit Pop groß wurden und nicht auf Familie, Reihenhaus und Bausparvertrag gesetzt haben. Natürlich ist dieser Gestus des Differenzsetzens hippiesk, aber man darf auch nicht vergessen, dass der Pop der achtziger Jahre eben auch eine Alternativkultur war. Besonders dessen Westberliner Ausprägung. Speziell durch Projekte wie Einstürzende Neubauten, Mania D., und eben Malaria!, bei denen Gudrun Gut auf die eine oder andere Art involviert war und sich einen Namen gemacht hat.

Anders war dieser Pop nur insofern, als er im Gegensatz zu den Hippies auf Stil gesetzt hat, auf eine Ästhetik der Oberfläche – die dann allerdings auch mal temporär leiden musste, wenn man, wie Blixa Bargeld, nachts in einen Joghurtbecher pinkeln musste, weil der Dachboden, auf dem man schlief, keine sanitären Anlagen hatte. Insofern kommt diese plötzliche Anwandlung der Berliner Elektroszene in Richtung Landkommune nicht ganz so überraschend wie zunächst angenommen. Schon die Realutopisten des 18. Jahrhunderts gründeten Kolonien und nannten sie „New Harmony“ – will sagen: Die Idee des Clubs, für die Gudrun Gut ja nun über zehn Jahre stand, ist übertragbar.

Der Garten und der Club

Nicht die Lokalität ist es, die den Club ausmacht, sondern dessen Kultur der Emergenz. Im Club können immer wieder Dinge entstehen, die unvorhersehbar sind, früher hätte man gesagt, die „passieren“. Nun: wie im Garten auch.

„Wildlife“ steht eigentlich für das Staunen einer sich schon früh der Künstlichkeit des Pop zugewandten Persönlichkeit, darüber, dass in einem Garten auch etwas passiert, dass dieser ja auch ständig neue Dinge hervorbringt. Sinnbildlich gesprochen könnte man sagen: Gut staunt jetzt nicht mehr über die vorfabrizierten Triebe, für die Pop auch immer steht – nicht ohne Grund hat sich eine berühmte britische Band Prefab Sprout genannt – sondern sie staunt jetzt temporär über die nicht vorfabrizierten Triebe. Staunen, die einzig wahre Haltung des echten Popfans, ist geblieben. Dieses Staunen über Emergenzeffekte zeigt auch den Glauben an die Weiterentwicklung im Pop. Der Prozess der Kreativität, der allen Unkenrufen von Kritikern zum Trotz auch noch ein Bestandteil von Pop ist, ist naturgemäß immer nach vorn gerichtet.

Jede Modulation, jede Konfiguration und Rekonfiguration, jede Konstellation, jede Umordnung und Neuordnung schafft musikalisch gesehen etwas Neues. Indem Gut wie bei dem Track „How can I move“ dieses Bild des im Garten herumlaufenden Menschen erschafft, der nichts zertreten möchte, schafft sie ex negativo das Bild für die Frau in der Kunst. Diese baut ihr Schaffen eben nicht auf dem Geniegedanken und dem Alles-um-sich-rum-platt-Machen auf, sondern, ganz im Sinne der Chaostheorie, auf dem Gedanken, dass Kreativität das Erschaffen von etwas Neuem ist, ohne das Alte dabei kaputt zu machen. Dieser ganze Dandy-Setzungs-Quatsch, der im Popdiskurs immer die Machtfrage gestellt hat – wer ist Gott? – fällt bei Gudrun Gut einfach weg. Man muss nicht immer die Welt neu erschaffen – ein bisschen Erdbeerpflänzchen versetzen macht auch einen Unterschied.

■ Gudrun Gut, „Wildlife“ (Monika/Morr Music/Indigo)