Was Mädchen wollen

JUGENDARBEIT Wie Mädchen zu sein haben, weiß jedes Kind. Mädcheneinrichtungen wollen zeigen, dass es auch anders geht – eine feministische Ausrichtung bedeutet aber auch, gesellschaftliche Grenzen zu benennen

Es liegt nicht an persönlichem Versagen, wenn Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, mehr schlecht bezahlten Jobs nachgehen oder seltener im Chefsessel sitzen

VON LEONIE BRAND

Anwältin wollen sie werden, ist doch klar: Unter den sechs Mädchen, die im Mädchentreff im Hamburger Schanzenviertel auf dem bunten Sofa sitzen und sich in großen Worten ihre Zukunft ausmalen, ist diese Vorstellung beliebt. Da kann man diskutieren, man bekommt etwas mit von der Welt und verdient viel Geld damit, Leute zu beschützen. Ihnen ist wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen und den Kindern später etwas bieten zu können. Dass diese jungen Frauen zwischen zwölf und 17 Jahren so ehrgeizig in die Zukunft blicken, ist keine Selbstverständlichkeit.

„Den meisten Mädchen ist bewusst, dass sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen müssen und dass das nicht immer einfach ist“, meint Angelika Huntgeburth von Dolle Deerns e. V. Der „Verein zur Förderung feministischer Mädchenarbeit“ ist Träger mehrerer Jugendhilfe-Einrichtungen für Mädchen und junge Frauen in Hamburg. Drei Mädchentreffs gehören dazu, eine Beratungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt und eine Infostelle zur Berufsfindung.

„Wir versuchen, den Mädchen zu zeigen, was sie von ihrem Partner erwarten müssen, was sie von der Firma erwarten müssen, wenn sie berufstätig sein wollen“, sagt Huntgeburth. Zu feministischer Mädchenarbeit gehört für sie, deutlich zu sagen: In dieser Gesellschaft gibt es für Frauen strukturelle Grenzen. Es liegt nicht an persönlichem Versagen, wenn Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, schlechter bezahlten Jobs nachgehen oder seltener im Chefsessel sitzen.

Doch genau das wird impliziert, wenn in Jugendhilfeausschüssen die zunehmend guten Noten und Abschlüsse von Mädchen und jungen Frauen rechtfertigen sollen, dass diese nicht mehr gefördert werden – als hätte es bisher einfach nicht genug qualifizierte Frauen gegeben. Dabei können diese Entwicklungen auch als Ergebnis einer Erziehung interpretiert werden, die Mädchen dafür belohnt, brav und fleißig zu sein, nicht aber dafür, dass sie laut sind und sich durchsetzen. Brav sein garantiert schulischen Erfolg, im Beruf wird es kaum reichen. Womöglich sind die besseren Leistungen auch Ausdruck eines Bewusstseins, das Huntgeburth bei ihrer Arbeit in der Beratungsstelle beobachtet: Wer Beruf und Familie vereinbaren will, müsse sich anstrengen – von Anfang an.

Die Mädchen aus dem Schanzenviertel sind sich selbst nicht sicher, warum motivierte Frauen wie sie nicht gleich in der Chefetage landen. „Vielleicht trauen manche sich das einfach nicht so zu“, überlegt die 12-jährige Jasmin* – und erntet heftigen Widerspruch von ihrer Sitznachbarin: Es gebe doch „so viele Powerfrauen“. Dass Männer sich trotzdem für stärker halten, darin sind sich alle einig. Die Konsequenzen erleben sie täglich in der Schule: „Wenn jeden Tag jemand zu dir kommt und sagt, dass er stärker ist, dann fühlst du dich irgendwann auch blöd“, sagt die 13-jährige Canan*.

Im Mädchentreff haben sie den Raum, der Entwicklung solcher Selbstbilder entgegenzusteuern. Feminismus sieht dort ganz praktisch aus: Die Mädchen können ihren Tagesablauf selbst gestalten, unabhängig von familiären Ansprüchen, ungestört von Jungs. Ob sie als Ergebnis eigene Möbel bauen, Schmuck herstellen, einen Kurzfilm produzieren oder einfach nur Hausaufgaben machen, spielt dabei die kleinere Rolle. In Ruhe alles ausprobieren können, das zählt.

* Namen geändert