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Im Berliner Himmel

Religion Am Mittwoch beginnt der Evangelische Kirchentag. Doch wie steht es um den interreligiösen Dialog in der Stadt zwischen Christen, Muslimen und Juden? Vorab aber stellen wir die große Glaubensfrage

Alle reden vom interreligiösen Dialog, aber wer spricht da eigentlich miteinander? Seite 44–45

Ich glaube nicht an Gott

von Alke Wierth

Ich glaube nicht an Gott. Oder richtiger: Ich glaube, dass es Gott nicht gibt. Und vielleicht ist genau das die Basis für meine vielen guten Freundschaften mit teils sehr religiösen Menschen: Sie glauben, ich glaube. Also erst mal kein Unterschied – kein Problem.

Kein Problem? Ich habe durch meine Arbeit, das Schreiben über – auch religiöse – Minderheiten in Berlin, viel mit gläubigen Menschen zu tun, Menschen, die sich für ihre Religion und deren freie und uneingeschränkte Ausübung hier engagieren. Und mit denen ich durchaus nicht immer einer Meinung bin.

Beispiel Kopfbedeckung: Warum Frauen, Musliminnen, Jüdinnen, sich diesem Gebot freiwillig unterwerfen und sich damit in dieser Gesellschaft wissentlich starken Diskriminierungen etwa im Berufsleben aussetzen (denen zumindest im Fall der Muslime ihre männlichen Glaubensgenossen nicht unterliegen), will mir nicht in den Kopf gehen. Doch ich kann es, nein, nicht tolerieren, sondern respektieren, wenn sie das für sich persönlich für die richtige Entscheidung halten – und andere machen lassen, was die wollen: also wiederum deren Haltung respektieren.

Denn es geht um Haltung. Ich kenne viele Menschen, die solche aus ihrer Religiosität, ihrem Glauben beziehen: Respekt, Mitgefühl, Menschlichkeit, Zugewandtheit. Anstand. Klar, das geht auch ohne Religion, und es geht auch mit und ohne anders. Beispiele gibt es leider genug.

Aber zumindest darin bin ich mir mit meinen religiösen FreundInnen einig: Es darf keinen Zwang geben, nicht im Glauben und auch nicht im Unglauben. Es kann und darf im Dialog der Glaubensgemeinschaften, an dessen Tisch – zumal in einer Stadt wie Berlin, in der ja eigentlich alle Religionsgemeinschaften Minderheiten sind – auch die Nichtreligiösen gehören, nicht um Recht haben, um Bekehrung gehen. Es geht um den Dialog selbst: um respektvollen und damit automatisch auch friedlichen Umgang und Austausch miteinander. Um Zusammenleben.

Auch das sei nicht verschwiegen: Es sind fast immer muslimische unter meinen FreundInnen, die dann doch mal fragen, ob ich es mir nicht noch mal überlegen wolle: „Du bist doch eigentlich schon eine ganz gute Muslima, Alke! Na?“ Ich nehme das nicht übel: Sie machen sich Sorgen um mein Seelenheil. Sie meinen es gut – und bedrängen mich nicht und lassen mich nicht einmal spüren, wenn mein Nein ihnen weh tut. Sie halten das aus – ich auch.

Ich glaube an Gott

Stefan Alberti

Ich glaube an Gott. Das sagt sich allerdings leider sonntags im Glaubensbekenntnis umringt von Gleichgesinnten leichter als außerhalb der Kirchenmauern. Denn außerhalb bin ich ein Außenseiter: Ich gehöre zu den Katholiken, und die liegen hierzulande mittlerweile prozentual auf FDP-Niveau. 9 Prozent der Berliner sind Katholiken, 8 Prozent Liberalen-Wähler – mit dem Unterschied, dass die FDP auf dem aufsteigenden Ast ist. „Das Erzbistum Berlin ist ein Diaspora-Bistum“, formuliert es die Kirchenleitung selbst.

Wer als Katholik in Berlin aufwächst, kennt es nur so. Anders ist das bei Westfalen-Migranten mit Verwandtschaft im Rheinland wie mir. Nicht dass dort die Kirchen alle voll wären – da ist manche in Zehlendorf oder Prenzlauer Berg voller. Aber Glaube an Gott und das dazugehörige Kirchenleben sind dort auch bei Nichtgläubigen nicht ganz unbekannt.

Das ist hier schon anders. Da geht von den Kollegen in der taz-Berlin-Redaktion höchstens zu Weihnachten oder Hochzeiten jemand zur Kirche. Da klingeln die Sternsinger am 6. Januar nicht einfach an den Häusern, sondern besuchen nur die, die es vorher angemeldet haben – zu viele hatten nicht behelligt werden wollen. Und als erstmals Freunde unserer Kinder zum Essen blieben, haben meine Frau und ich uns schon angeguckt, ob wir das mit dem sonst üblichen gesungenen „Segne Vater, diese Gaben“ und dem Kreuzzeichen nun auch durchziehen. Oder ob das zu missionarisch rüberkommt.

Dass jüngst zu Ostern ein Brausehersteller die belebende Wirkung seines Produkts auch in Berlin mit „Hilft jeden Montag bei der Auferstehung“ bewarb, war eine Überraschung – Kenntnis von Christi Leidensweg und Auferstehung hier vorauszusetzen, ist ambitioniert. Vom Hintergrund von Christi Himmelfahrt oder Pfingsten ganz zu schweigen. Und bei der Fronleichnamsprozession, andernorts eine große Sache, guckt hier der eine oder andere Anwohner so, als sei ich mit einer unheimlichen Sekte unterwegs.

Es dauerte eine Weile, bis wir merkten: Wir sind es selbst, die die Schere im Kopf haben, die denken, wir würden anderen zu nahe treten. Dabei haben wir bislang gar keine offen ablehnenden Erfahrungen gemacht – beleidigt oder ausgegrenzt hat unsere Diasporantenfamilie noch keiner. Als wir das merkten, kamen wir uns ziemlich bigott vor: den Glauben in der Kirche bekennen, sich aber außerhalb für ein Gebet oder ein Kreuzzeichen fast schämen aus Furcht, anders zu sein? Das wäre ein komischer Glaube und einer ohne Standfestigkeit. Seither ist klar: Wer mit uns isst, kann mit uns das Tischgebet sprechen, muss es aber nicht – und bekommt auf Wunsch gern erklärt, wie das nun war mit der Auferstehung, auch ganz ohne Brause.