Jonathan Littell über „Wrong Elements“: „Die Psyche der Täter ist komplexer“

Der französische Schriftsteller hat einen Film über die LRA gedreht. Er spricht über sein Regiedebüt und seine Faszination für Kriegsverbrecher.

Ein Mann, Geofrey

Lachend vom Töten sprechen – Geofrey, der von der LRA entführt wurde Foto: Neue Visionen

Mit seinem Roman „Die Wohlgesinnten“, in dem er einen (fiktiven) schwulen SS-Offizier beschreibt, der zu fast allen neuralgischen Momenten des Dritten Reichs anwesend ist, wurde Jona­than Littell, französischer Autor US-amerikanischer Herkunft, auch in Deutschland berühmt. Zehn Jahre später legt er nun ein neues, großes Werk vor, überraschenderweise kein Roman, sondern ein Dokumentarfilm, in dem er drei ehemalige Kindersoldaten porträtiert, die von ­Joseph Konys ugandischer Lord’ s Resistance Army (LRA) entführt wurden.

taz: Herr Littell, als ich von Ihrem Film las, war ich zunächst überrascht, doch dann erschien es mir wie eine logische Entwicklung.

Jonathan Littell: Absolut, zumal ich schon immer Filme machen wollte. Schreiben ist einfach, alles was man braucht, ist Zeit. Für Filme braucht man Geld, Produzenten. Hier kam alles zusammen und ich ergriff die ­Gelegenheit.

Im Gegensatz zu der auktorialen Perspektive eines Romans erlaubt ein Dokumentarfilm einen offeneren Blick.

Ja, man beobachtet einfach, lässt die Dinge passieren. Wobei natürlich auch bei einem Dokumentarfilm der Autor stets präsent ist. Man fällt viele Entscheidungen, Kamerawinkel, Ton, welche Momente im Film bleiben, welche nicht.

Wie kamen Sie auf das Thema der Lord’ s Resistance Army?

Der französische Schriftsteller, geboren 1967 in New York, arbeitete für die NGO „Aktion gegen den Hunger“ in Bosnien, Tschetschenien, Afghanistan und dem Kongo. Bekannt wurde er mit seinem preisgekrönten Roman „Die Wohlgesinnten“ über Gewalt und Massenmord im Nationalsozialismus aus der Sicht eines Nazis. 2012 reiste er in die umkämpfte syrische Stadt Homs und veröffentlichte im selben Jahr seine „Notizen aus Homs“. „Wrong ­Elements“ ist sein Regie­debüt.

Ich hatte schon einige Artikel über die LRA geschrieben, 2011 begleitete ich die ugandische Regierungsarmee im Dschungel, daraus entstand die Idee für den Film. Ich habe lange recherchiert, viele Menschen interviewt, am Ende, eigentlich erst während der Arbeit am Schnitt, kristallisierte sich dieses Trio, eine Frau und zwei Männer, als Hauptfiguren heraus.

Ein verbindendes Element zu den „Wohlgesinnten“ scheint Ihr Interesse an Ambivalenzen zu sein, es geht weniger um Gut und Böse als um das, was dazwischen liegt.

Ja, wobei die Auswahl der Charaktere eher soziologische Gründe hatte: Männer, Frauen, Stadt- und Landbewohner, ich wollte zudem normale Soldaten zeigen, keine Offiziere.

Dennoch war es für Sie ein Glück, das zum Zeitpunkt der Dreharbeiten der LRA-Kommandant Dominic Ongwen von ugandischen Regierungstruppen verhaftet wurde?

Ja, das war aus der Sicht des Films eine glückliche Fügung, wobei Ongwen nicht direkt verhaftet wurde. Zunächst wurde er zwar von Kony selbst festgenommen, da sich ihre Beziehung seit Jahren verschlechtert hatte. So befürchtete Ongwen, dass Kony ihn hinrichten würde. Einige Soldaten, die loyal zu ihm waren, halfen ihm bei der Flucht und er ergab sich den ugandischen Regierungstruppen.

Wie konnten Sie seine Übergabe an die UN filmen, eine besonders eindrucksvolle Sequenz?

Ich hatte schon länger gute Beziehungen zu dem Offizier aus Uganda, der die Übergabe leitete, so ergab es sich. Und Ongwen hatte mich in gewisser Weise schon länger begleitet: 2011 war ich während der Arbeit an meinen Artikeln in seiner Nähe, die Armee suchte ihn, beschrieb ihn als den brutalsten, pathologischsten Killer in den Reihen der LRA. Und wenn man ihn trifft, erweist er sich tatsächlich als durchaus sympathischer Mensch. – Eine seltsame Erfahrung. Im Moment bin ich mit seinen Anwälten in Kontakt, ich hoffe nach Den Haag fahren zu können, um ihm den Film zu zeigen. Momentan geht es ihm schlecht, vor einiger Zeit hat er versucht, sich umzubringen.

Weil er keine Amnestie bekommen hat, wie es allen LRA-Soldaten versprochen wurde, die sich freiwillig stellen?

Nun, in seinem Fall ist es etwas komplizierter: Er hat diverse Frauen und etwa die Hälfte will für die Anklage aussagen, die Hälfte für die Verteidigung. So war er in Kontakt mit seinen loya­len Frauen und seinen Kindern und dann entschied das Gericht, dass dieser Kontakt den Prozess behinderte und untersagte jeden weiteren Kontakt. Davon war Ongwen schwer getroffen und versuchte, sich mit Reinigungsmittel zu vergiften.

Wie auch die drei Hauptcharaktere des Films ist Ongwen als Kind entführt worden und wurde dann zum Soldaten, ist also Opfer und Täter zugleich.

Genau, wobei er so eine interessante Figur ist, weil er Offizier wurde. All die anderen LRA-Offiziere, die vom ICC (Internationaler Strafgerichtshof, Anm. d. Red.) angeklagt sind, waren Freiwillige.

Wie sehen Sie den ICC, gerade in Bezug auf Afrika? In den letzten Monaten haben sich etliche afrikanische Staaten mit dem Vorwurf der Einseitigkeit vom ICC distanziert.

Das ist eine komplizierte Frage. Es scheint, dass der ICC Opfer von grundsätzlichen Problemen in seiner Struktur ist: Man kann keine Russen anklagen, keine Syrer, keine Amerikaner und so weiter. Der ICC macht gute Arbeit bei denen, die sie anklagen dürfen, aber das sind vor allem Afrikaner. Im Fall Ongwen scheint allerdings eine gewisse Willkür am Werk zu sein: Ongwen wird angeklagt, während deutlich schlimmere Offiziere nicht verfolgt werden und Amnestie bekommen haben, Offiziere, die die Entführungspolitik initiiert haben, solche, die Dutzende Kinderfrauen hatten. Und dann schaut man sich Ongwen an und fragt sich: Wo ist da die Gerechtigkeit? Viele Menschen in seiner Heimatregion sehen das übrigens ähnlich.

Was fasziniert Sie in Ihrer künstlerischen Arbeit so an Tätern?

„Wrong Elements“: Regie: Jona­than Littell. Frankreich/Deutschland/Belgien 2016, 133 Min.

Nun, ich habe viel mit Opfern gearbeitet, als ich für Hilfsorganisationen aktiv war, aber man kann in gewisser Weise nichts von ihnen lernen. Man kann ihnen helfen, es gibt Fälle von großer Widerstandskraft, aber letztlich sind die Fragen, die sich hier stellen, reduziert: Entweder Menschen brechen zusammen oder nicht. Die Psyche der Täter ist viel komplexer, es ist viel schwerer, sie zu verstehen, ihre Handlungen nachzuvollziehen.

Glauben Sie, dass die Männer, die Sie zeigen, ihre Taten bereuen? In manchen Situationen reagieren sie überraschend: In einer Situation lachen sie geradezu, als sie von ihren Taten erzählen.

Menschen reagieren eben oft nicht so, wie man es erwarten würde, das macht es ja so interessant. In dieser Situation habe ich ihnen Fotos gezeigt, sie gebeten, über ihr Leben, ihre Kinder zu erzählen, aber sie nicht gelenkt. Bald merkte ich jedoch, dass ihre Unterhaltungen nur bis zu einem bestimmten Punkt gingen und nicht darüber hinaus. Dann habe ich formalere Interviews organisiert, um bestimmte Aspekte anzusprechen, Situationen, in denen ich selbst im Film auch präsenter bin.

Noch ein Wort zur Wahl der klassischen Musik, die dem Ganzen eine besonders elegische Note verleiht.

Sie betont nicht zuletzt meine Außenperspektive, die Position des Autors, des Fremden. In den letzten Jahren hat es eine Tendenz gegeben, gerade auch bei Filmen über Kindersoldaten, die dargestellte Kultur möglichst zu emulieren, „traditionelle“ Musik zu verwenden, aber das geht in meinen Augen meist schief. Am Ende filmt man immer wie durch eine Glaswand, und diese sollte man auch deutlich machen. Ich bin nun mal ein Weißer, der diese Menschen beobachtet, einen Film über sie macht, diese Außenperspektive sollte dann auch im Film zu spüren sein.

Grundsätzlich scheint es schwierig zu sein, Filme in Afrika zu drehen, ohne in fragwürdige Erzählmuster zu verfallen. Gibt es Spielfilme über Afrika, die Ihnen gefallen?

Westliche? Kaum. Ich habe praktisch alles gesehen, was aufzutreiben war, Filme über Kindersoldaten und dergleichen, aber ich würde mich nie an einen fiktiven Film über Afrika wagen. Miguel Gomes’ „Tabu“ oder Claire Denis’ „White Material“ zählen da zu den wenigen Ausnahmen. Das Problem scheint vor allem zu sein, dass viele Menschen aus dem Westen mit bon sentiment, wie wir in Frankreich sagen, nach Afrika kommen, mit guten Absichten, und die Filme dann, wie soll man sagen, wie ein Bonbon wirken, süßlich und kitschig.

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