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Vergleichstest Wo wir unsere Möbel kaufen, verrät angeblich, wer wir sind. Eine Besichtigung der Ikea-Filiale in Hamburg-Altona, des Stilwerks am Hamburger Fischmarkt und des Discounters Möbel-Boss im Lüneburger Industriegebiet
: Pressspan oder Designerstück?

Schicke Adresse: Stilwerk am Hamburger Fischmarkt Foto: Miguel Ferraz

von Antonia Wegener

Sterne-Restaurants, Architektenbüros und Werbeagenturen gehören zur Nachbarschaft. Die Elbmeile in der Nähe des Fischmarkts in Altona ist ein Vorzeigeobjekt für das kosmopolitische und reiche Hamburg – und das Stilwerk sein Möbelhaus.

Der erste Eindruck: Eingangshalle. Steinfußboden. Glasdach. Ich fühle mich unpassend gekleidet und beobachtet. Blick bis in den siebten Stock. Silberne Metallbalkone. Gläserne Fahrstühle fahren an weißen Backsteinwänden hoch.

Orientierung: Das Stilwerk ist ein Marktplatz für Designermöbel. Hinter den weißen Backsteinbögen der alten Malzfa­brik verbergen sich auf sieben Etagen 28 unabhängige Anbieter, die für jede Lebenslage und Wohnsituation die richtige Ausstattung bieten. Damit das Shoppingvergnügen alle Sinne der design-affinen Kunden anspricht, steht die Architektur des alten Fabrikgebäudes im Vordergrund. Auf den wenigen Schildern stehen, wenn überhaupt, wohlklingende Namen von internationalen und deutschen Designerlabels. Am Eingang gibt es einen Informationsstand. Er hilft Touristen und mir bei den anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten.

Milieu: Wo sind die Kunden? Ab und zu treten Menschen in die Eingangshalle: Ihre Kleidung: klassisch bis modern und wahrscheinlich so teuer wie die Möbel. Entsprechen Besucher diesem Bild nicht, sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit neugierige Touristen und keine zahlungskräftige Kundschaft. Das Stilwerk steht wegen der Architektur als Hamburger Sehenswürdigkeit im Reiseführer. Beim Innenausstatter Clic ist ein Ehepaar im mittleren Alter vertieft in die Beratung mit einem Verkäufer. Der bringt immer neue Paletten mit Sofastoffen. Die entscheidende Frage: Mit welchem Stoff soll der 2.000 Euro teure Sessel bezogen werden?

„Viele Ikea-Kunden von heute sindunsere Kunden von morgen“

Fachberaterin für Küchen im Stilwerk

Wie wird Geld gemacht? Qualität statt Quantität, hochwertige Einzelstücke statt Serienmodelle. Viele Möbel der Läden im Stilwerk sind nach Maß und auf Kundenwunsch. Die Designerläden im Stilwerk verkaufen nicht nur einzelne Möbel, sondern konzipieren ganze Räume für Privatkunden und Unternehmen. Zum Großteil sind Innenarchitekten und Architekten als Fachberater angestellt. Die Kundschaft soll nicht nur hochwertige und schicke Möbel bekommen, sondern auch die bestmögliche Beratung.

Königsdisziplin Küche: „Mindestens 20.000 bis 25. 000 Euro sollte ein Kunde für seine Küche einplanen“, sagt eine Mitarbeiterin in einem Ausstellungsraum der drei Küchenhersteller im Stilwerk. Viele Kunden würden auch das doppelt oder dreifache dieses Betrags für ihre neue Küche ausgeben.

„Die Ikea-Kunden von heute sind unsere Kunden von morgen“, sagt die Frau. Erfahrungsgemäß würden sich viele nach einer Einbauküche des schwedischen Möbelhauses für eine Anfertigung von Stilwerk entscheiden. Das Preis-Leistungs-Verhältnis von Ikea-Küchen hält die Fachberaterin zwar für angemessen, „allerdings ist eine Küche von uns eine Küche fürs Leben“. Vom Material bis zur Verarbeitung – die Qualität sei eine viel hochwertigere als bei Ikea. Es sei ein Unterschied wie von Hugo Boss zu H&M. „Unsere Kunden kommen wahrscheinlich nicht schon in fünf, sondern erst in 30 Jahren wieder, um eine neue Küche zu kaufen.“

Foto: Antonia Wegener

Ein Fachmarktzentrum, wie es hundertfach in Deutschland zu finden ist. Baumarkt, Zoohandlung, Drogeriemarkt, Bäckerei, Autoteile-Händler: Sie umschließen einen Parkplatz für Hunderte Autos. Möbel Boss ist Teil des Ilmenau-Centers im Indus­triegebiet Goseburg in Lüneburg. Das knallpinke Eingangsportal des Discounter-Möbelhauses ist schon von Weitem zu erkennen.

Der erste Eindruck: Es riecht nach Plastik. Rechts und links von der Eingangstür stehen große viereckige Metallkörbe. In ihnen stapeln sich neonfarbene Plüschkissen, Duftkerzen und Camping-Kühlboxen. Geradeaus: Ecksofas aus Wildleder­imitat und weiße Hochglanzschränke.

Orientierung: Die Möbel stehen eng beieinander. Auf einer zitronengelben Bordüre über Schrankwänden ist in pinker Schrift zu lesen: „Qualität sehr günstig“ und „Vieles sofort zum mitnehmen“. Große, pinke Tafeln werben mit „Rotstift-“ und „Hammer-Preisen“ und Möbeln auf Raten-Zahlung.

Wie wird Geld gemacht? Auf der Internetseite bezeichnet sich die Möbelhauskette als „preiswerte Alternative zu den herkömmlichen Einrichtungshäusern“. Bald eröffnet die 111. Filiale von Möbel Boss in Deutschland. Um die Preise günstig zu halten, verzichtet das Unternehmen auf Dekorationen, Schaufenster sowie Anlieferung und Montage von Möbeln. Die Materialien und die Verarbeitung tragen zu den günstigen Preisen bei: Wie bei vielen Discounter-Möbelhäusern sind wenige Möbel aus Echtholz – die meisten sind aus Pressholz, die Griffe aus Plastik statt aus Metall.

Königsdisziplin Küche: Ein Schild auf dem Parkplatz wirbt für die Qualität der Küchen und die gute Beratung im Möbelhaus. Die Küchenzeilen kosten etwa zwischen 900 Euro und 5.000 Euro, teilweise inklusive Elektrogeräte. In der Küchenabteilung im Obergeschoss werben viele Preisschilder mit dem Slogan „Made in Germany“. Deutsche Küchenhersteller wie Nobilia oder Alno produzieren seit vielen Jahren günstige Küchenzeilen für Discounter-Möbelhäuser. Eine Beraterin sitzt in der Küchenabteilung mit einem jungen Paar am Schreibtisch. Bevor die Software die geplante Küche ausspuckt, fragt die Verkäuferin: „Seid ihr schon gespannt?“ Mit einem „Tada“ der Verkäuferin erscheint das 3-D-Modell auf dem PC-Bildschirm.

Eine Beraterin sitzt in der Küchenabteilung mit einem jungen Paar am Schreibtisch. Bevor die Software die geplante Küche ausspuckt, fragt die Verkäuferin: „Seid ihr schon gespannt?“

Milieu: Eine älterer Mann sucht im Erdgeschoss nach Spannbettlaken. „1,80 Meter? Ne, das ist zu groß für uns“, sagt seine Ehefrau laut zu ihm. Er steht direkt neben ihr. Sein Resthaar ist über die Halbglatze am Hinterkopf gekämmt. Er trägt eine an den Knien ausgebeulte Jeans und ein etwas zu großes Hemd. Seine Frau hat rot gefärbte Haare, am Ansatz schimmern sie grau. Ihre Brille hat große Gläser, wie die Modelle aus den 1980er-Jahren.

Eine Mutter und ihr jugendlicher Sohn suchen bei den Sesseln. Ein junger Mann streift durch die Schlafzimmer-Abteilung. Wahrscheinlich würde keiner der Kunden das Stilwerk betreten – Ikea schon eher: Allerdings ist die nächste Filiale 50 Kilometer entfernt, in Hamburg-Moorfleet.

Ufo in der Fußgängerzone: Ikea Altona Foto: Miguel Ferraz

Das große gelb-silberfarbene Gebäude wirkt in der Nachbarschaft wie ein Ufo. Mode-, Restaurant- und Floristen-Ketten finden sich rund um das schwedische Möbelhaus mitten in Altona. Auf den Bänken des Vorplatzes: Anwohner, die sich sonnen, und mit Tüten beladene Einkäufer, die sich eine Pause gönnen. Vor dem Eingang wird Softeis verkauft – Marke: Ikea.

Der erste Eindruck: Ungewöhnlich flache Deckenhöhe für Ikea. Wo geht’s zur Ausstellung? Wo ist der Pfeil auf dem Boden? Erster Halt: Ein Wohnzimmer in Grau- und Weiß-Tönen für insgesamt 820 Euro.

Milieu: Ikea verspricht moderne Möbel für jedermann, unabhängig vom Einkommen. Der Altersdurchschnitt ist gemischt – ein bisschen überwiegen am Freitagnachmittag junge Paare und Familien. Modisch gekleidete Mütter gehen durch die Möbelausstellung. Manche von ihnen tragen ihre Kinder noch im Bauch, andere schon in der Babytrage vor der Brust. „Wir brauchen noch Schneidebrettchen“, ruft eine junge Frau ihrem Freund zu. Sie schiebt einen Einkaufswagen und hält einen handgeschriebenen Zettel in der Hand.

Orientierung: Ein Ikea gleicht dem anderen. Auch in Altona schleust das Leitsystem die Kunden erst durch die komplett ausgestatteten Wohnräume. Vor den nächsten thematischen Zimmern müssen sie das Lager mit den passenden Kleinteilen durchqueren. Auf die Küchenausstellung folgt eine Halle mit Regalen voller Töpfe, Geschirr und Handtücher. Zwischendurch das Restaurant. Am Schluss wartet das große Selbstbedienungslager für die großen Möbel. Massenabfertigung mit Wohlfühlcharakter.

Womit wird Geld gemacht? Mit Küchenutensilien und der Gastronomie hat Ikea im vergangenen Geschäftsjahr in Deutschland den meisten Umsatz erzielt. In Altona nutzen nicht nur die Einkäufer, sondern auch viele Anwohner die Möglichkeit, günstig zu essen. Ein Mann redet im Restaurant auf eine Kassiererin ein: Er erklärt ihr, wieso ihn das Frühstücksmenü manchmal mehr und manchmal weniger sättigt.

Königsdisziplin Küche: Einbauküchen sind in den deutschen Filialen ebenfalls Bestseller. In Altona ist der Großteil der Küchen für elf Quadratmeter große Zimmer konzipiert. Jedes Ikea-Haus passe sich der Nachfrage vor Ort an, sagt ein Mitarbeiter. In Altona seien kleine Küchen gefragt. Anne Steigers und Kai Jacobs neue Küche passt in dieses Schema: Das junge Paar hat nur zwölf Quadratmeter Platz zum Kochen. Dass sich die beiden für eine 4.000 Euro teure Ikea-Küche entschieden haben, hat seine Gründe. „Man zieht vielleicht in ein paar Jahren nochmal in eine andere und größere Wohnung“, sagt Steiger. „Dann fällt die Wahl in dieser Wohnung natürlich auf eine Ikea-Modell statt auf eine 20.000 Euro teure Küche von einem Fachgeschäft.“