Jonny Jung (li.) und Elsa Röhr (re.) kriegen Tipps für eine noch bessere Mülltrennung

Nach Feierabend die Welt retten

Klimaschutz II Die rot-rot-grüne Koalition hat große Ziele, wenn es um Klimaschutz in der Stadt geht. Die Umsetzung bleibt jedoch oft an Ehrenamtlichen hängen – fast ohne Unterstützung von außen. Das könnte sich nun ändern

Von Fabian Franke
(Text) und Amélie Losier (Fotos)

Manchmal fehlt nur ein Computer. Oder ein vernünftiger Schreibtisch. Oder ein Drucker. Ein paar Euro hier, ein paar Euro da. Nicht selten wird das dann aus eigener Tasche bezahlt – Hauptsache, es geht weiter.

„Wir können nicht warten, wir packen einfach an“, beschreibt Karen Wohlert ihren Pragmatismus, wenn es um Klimaschutz in Berlin geht. Die 32-Jährige hat zusammen mit einem Freund das Baumhaus Wedding aufgebaut, das als Vernetzungsort für ökologische Bewegungen dienen soll. Es ist kein richtiges Baumhaus, sieht aber von innen so ähnlich aus. Bei der Politik sei das manchmal andersherum: „Die Politik präsentiert nach außen Konzepte; konkrete Inhalte zur Umsetzung fehlen jedoch“, kritisiert Woh­lert. Bevor sie hauptberuflich Baumhausbetreiberin wurde, hat sie sich in vielen lokalen Initiativen engagiert. Die Gruppen haben Konzepte ausgearbeitet, vorgeschlagen und diskutiert, die Berlin auf dem Weg zur „Klimahauptstadt“ helfen sollen – und haben dann einfach angefangen. Stadtgarten, Baumhaus, Repair-Café. Alles in der eigenen Freizeit.

Bundesweit engagieren sich über 30 Millionen Menschen ehrenamtlich, die meisten davon in den Bereichen Sport und Kinderbetreuung. Eine Studie des Generali Zukunftsfonds beziffert die freiwillige Arbeit auf etwa 4,6 Millionen Stunden pro Jahr und damit 8 Prozent der insgesamt geleisteten Arbeitszeit in Deutschland. 4 Prozent der Ehrenamtlichen engagieren sich im Umweltbereich – messen nach Feierabend Emissionswerte, retten Frösche oder legen Stadtgärten an. In Berlin gibt es vereinzelt Koordinationsstellen und Bürgerstiftungen, die die einzelnen Initiativen vernetzen und unterstützen sollen.

Drei Tipps, um Energie zu sparen: Ab einer Brenndauer von 30 Minuten täglich lohnt sich der Einsatz von LED-Lampen schon nach einem Jahr. Die Lampen halten 15 Jahre.

Ein Laptop kann im Jahr noch 70 Euro Strom verbrauchen, wenn er im geladenen Zustand am Netz hängt.

Wenn man die Kühlschranktemperatur von zum Beispiel 5 auf 8 Grad erhöht, ergibt sich daraus eine Ersparnis von knapp 20 Prozent.

Drei Tipps, um Abfall richtig zu sortieren und zu entsorgen: Kassenbons (da diese thermobeschichtet sind), verschmutzte Pizzakartons und auch benutzte Taschentücher sind kein Altpapier, wie viele denken, sondern Restmüll.

Den Aludeckel vom Joghurtbecher abziehen und getrennt in der Wertstofftonne entsorgen.

Gläser nicht extra auswaschen. Diese werden sowieso noch thermisch behandelt, es reicht also „löffelrein“. (faf)

Dennoch sind die meisten sozial-ökologischen Initiativen in Berlin chronisch unterfinanziert. Studien kommen allesamt zum gleichen Ergebnis: Ohne den aufopfernden Idealismus der Beteiligten würden die meisten Projekte gar nicht existieren können. Es müsse eine Finanzierung geben, um das Engagement auf eine stabilere Basis zu stellen.

Nicht bezahlt, aber beachtet

Den Initiativen gehe es dabei nicht um die Bezahlung ihrer Arbeit, erklärt Karen Wohlert: „Gut wäre einfach eine sichere Grundstruktur, sodass wir inhaltlich arbeiten können und nicht ständig damit beschäftigt sind, wie wir unsere nächste Miete bezahlen.“Momentan hält sich das Baumhaus über Spendeneinnahmen und Raumvermietung über Wasser. Dabei drängt das Thema Nachhaltigkeit – Wohlert ist überzeugt, dass jetzt gehandelt werden muss, um „die Transformation noch zu schaffen“. Ein Kampf ­gegen den Klimawandel also, ein Kampf ­gegen die Zeit.

Karen Wohlert vom Baumhaus Wedding über Pragmatismus:

„Wir können nicht warten, wir packen einfach an“

Kann Umweltschutz, kann Nachhaltigkeit funktionieren, wenn ein Großteil der Arbeit durch das ehrenamtliche ­Engagement der Zivilgesellschaft aufgefangen wird?

Silke Gebel ist optimistisch, was die Zukunft der Initiativen angeht. Sie sitzt für die Grünen im Abgeordnetenhaus, ist Fraktionsvorsitzende. Im Sommer 2016 hat sie das Konzept „Zero Waste“ im Gemeinschaftsgarten Himmelbeet in Wedding zusammen mit Antje Kapek (Grüne) vorgestellt. Damals war sie noch umweltpolitische Sprecherin und Kapek Fraktionsvorsitzende. Karen Wohlert vom Baumhaus war damals auch da, hat an „Silkes Herzensthema“ mitgearbeitet. Die beiden haben auch zusammen studiert. Heute kämpfen sie auf zwei unterschiedlichen Ebenen für das gleiche Thema.

Die Idee hinter „Zero Waste“: In Berlin soll es eine Kreislaufwirtschaft geben, in der alles wiederverwendet wird. Das spare Ressourcen, Geld und Emissionen. Ein weiteres Puzzleteil in einer nachhaltigen Stadtentwicklung also.

Hausbesuch für den guten Zweck: Energieberater Habermann (Mi.) rät zu LED-Lampen

Nun steht „Zero Waste“ in der Koalitionsvereinbarung und wartet darauf, mit Inhalten gefüllt zu werden. Und nun gucken viele auch auf die Grünen. Denn die rot-rot-grüne Koalition ist in den Augen vieler sozial-ökologischer Graswurzel-Bewegungen der Heilsbringer – oder zumindest ein kleiner Lichtblick.

„In der Tat haben viele Initiativen in der Vergangenheit ausbluten müssen“, sagt Gebel. Vieles sei auf die Zivilgesellschaft ausgelagert worden, wo die Arbeitsweise weniger kontinuierlich und strukturiert sei. Das wolle man ändern. Genaueres sagt sie aber nicht – man sei noch in den Haushaltsverhandlungen.

Nachhaltigkeit: Der Begriff wird heute in vielen Kontexten verwendet. Bezogen auf die menschliche Entwicklung meint er das Leben in zukunftsfähigen Grenzen auf den drei Ebenen Umwelt, Soziales und Wirtschaft.

Lokale Agenda 21: Das Nachhaltigkeitsprogramm mit dem Motto „Global denken, lokal handeln“ fördert seit 1992 Nachhaltigkeitsprojekte auf kommunaler Ebene, also Urban Gardening, Repair-Cafés oder Nachbarschaftsbüros. Seitdem haben etwa 20 Prozent aller Kommunen in Deutschland Leitbilder der Agenda in Beschlüssen umgesetzt – darunter auch Bezirke in Berlin. Mittlerweile wurde das Programm von den „Sustainable Development Goals“ abgelöst.

„Zero Waste“: Das Konzept ist in der Koalitionsvereinbarung festgehalten und soll in Berlin eine Kreislaufwirtschaft etablieren. Das bedeutet, dass möglichst viel Abfall recyclet wird und somit Emissionen reduziert werden. Die konkreten Maßnahmen dazu stehen noch nicht fest, das Konzept adressiert jedoch sowohl die Zivilgesellschaft als auch öffentliche Einrichtungen. (faf)

Danny Freymark, umwelt­politischer Sprecher der CDU-Fraktion, betont, wie wichtig Geld und Ansprechpersonen sind: „Wer sich im Umweltbereich engagieren will, muss das auch können.“ Da dürfe es dann nicht an ein paar hundert Euro fehlen.

Bisher sah der Doppelhaushalt für 2016 und 2017 etwa 90 Millionen Euro jährlich für Klimaschutz, Abfallwirtschaft und umweltpolitische Instrumente vor. Das entspricht etwa 0,4 Prozent des Gesamthaushaltes. In der Koalitionsvereinbarung ist festgehalten, soziale und ökologische Initiativen und das Engagement der Zivilgesellschaft zu stärken. Der Etat für die nachhaltige Stadtentwicklung könnte also steigen.

Jedes Grad zählt: Wer den Kühlschrank zu kalt dreht, bezahlt unnötig viel Geld

Am Rande einer Veranstaltung auf dem Holzmarktgelände versicherte der Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz Stefan Tidow, dass man in den Haushaltsverhandlungen eine Stelle angemeldet habe, die sich ausschließlich um die Vernetzung der Stadtgärten kümmert.

Gleichzeitig erarbeiten die Koalitionsfraktionen zum Zero-Waste-Konzept einen Antrag, der nach Ostern offiziell eingebracht werden soll. In öffentlichen Einrichtungen – also Schulen, Ämtern, Krankenhäusern – und der Abfallwirtschaft wolle man vermehrt auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit achten. Und außerdem heißt es im Antrag: „Es gilt die enormen Potenziale zivilgesellschaftlichen Engagements der zahlreichen Berliner Zero-Waste-Initiativen zu heben.“

Bis der Antrag durch ist und Fördermittel, Personal und Wissen beisammen sind, machen das Baumhaus und alle anderen Projekte einfach weiter. Zur Not aus der eigenen Kasse.