Rare 8-mm-Schönheiten

Kino Bluttransfusion aus dem Filmarchiv: Die Brotfabrik und das fsk zeigen „Hachimiri Madness – Japanese Indies from the Punk Years“. Dabei sind jede Menge schräge Stoffe zu entdecken

Sion Sonos „A Man’s Flower Road“ Foto: Arsenal Institut

von Carolin Weidner

Manchmal kann es passieren, dass man Leute über das Kino klagen hört. „Fad“ sei ihnen über die Jahre das einst geliebte Medium geworden, „immer dasselbe“ würden sie sehen und sie sehnten sich nach Abwechslung. In der Tat klingt das nach einer Beziehungskrise.

Und wo sich manche dank japanischer Knotentechniken kunstvoll durch Zimmer schwingen und dabei wieder zu neuer Lebenskraft finden, könnte man den Kinomüden einige Vorführungen in der Brotfabrik oder im fsk-Kino empfehlen, die beide das Programm „Hachimiri Madness – Japanese Indies from the Punk Years“ wiederholen, das 2016 im Forum der Berlinale zu sehen war. Ein langes Osterwochenende lang sind die auf 8 mm gedrehten Filme im FSK zu erleben, das Kino Brotfabrik verspricht sogar, die Reihe bis weit in den April zu zeigen.

Der vielleicht prominenteste Vertreter dieser kleinen Filmschau, die Arbeiten aus den Jahren von 1977 bis 1990 umfasst, ist Sion Sono („Love Exposure“, 2008). Dabei tritt er nicht nur selbst als Regisseur auf („A Man’s Flower Road“, 1987; „I Am Sion Sono!!“, 1985), sondern ist ebenso Protagonist in den Filmen anderer. Momente der Überschneidung, die wahrscheinlich auf eine geteilte Szene verweisen, in jedem Fall aber auf ähnlich empfundene Frustration bezüglich gesellschaftlicher Verstocktheit.

Wenn der 22-jährige Sion Sono in seinem Selbstporträt „I Am Sion Sono!!“ (das streckenweise an Videos auf YouTube erinnert, die Menschen von sich hochladen, um sich ihrer eigenen Existenz zu vergewissern) in kryptischer Form sein Ausreißen und die Ankunft in Tokio beschreibt, dann lässt sich das gewissermaßen mit dem ebenfalls sehr schrillen „Happiness Avenue“ (1986) von Katsuyuki Hirano verknüpfen. Hier ist Sion Sono mit schwarzer Perücke unterwegs (während er sich in „I Am Sion Sono!!“ das eigene Haar noch in minutenlangem Wechsel aus Angstschreien und lüsternem Stöhnen abrasieren ließ), nebst Katsuyuki Hirano.

Als Frauen verkleidet – wobei man sich im Falle von Katsu­yuki Hirano diesbezüglich nicht in Sicherheit wiegen kann, mutet er doch wie ein Mischwesen aus Geisha und Pantomime an – ziehen beide durch eine japanische Stadt, die nicht Tokio ist, kaufen Tampons in Convenience Stores, kreischen, durchleiden Todesängste (Sion Sono glaubt an einer Stelle, an einer Tetanusinfektion am Fuß zu sterben) und wehren einen nach Pornoheften süchtigen Bewunderer ab, der genauso sein möchte wie sie.

Flankiert wird das Duo/Trio von einer politisch aufgeladenen „Handlung“, die aus dokumentarischen Aufnahmen von einer rechtsextremen Gruppe besteht, die sich für die Rückgabe der 1945 von Russland annektierten Kurilen-Inseln ausspricht, sowie von einem immer wieder auftauchenden Recyclingtransporter, der die Straßen wie ein Eismobil abfährt und über Lautsprecher die Aufforderung wiederholt, jegliches Altpapier abzugeben, wofür im Gegenzug frisches Toilettenpapier zu erhalten sei.

Angstschreie und Stöhnen wechseln sich ab, als er sich das Haar abrasieren lässt

Allen bisher erwähnten Filmen sind eine enorm offene Form und radikale Schnitte gemein, die teilweise die Chronologie einer Szene aufbrechen (was das Gefühl erzeugt, man hätte es mit einer kleinen, eigenständigen Experimentalarbeit in einem größeren Werk zu tun), sowie psychedelische, hippieske Einstellungen, in denen etwa eine Gruppe Verkleideter in einem Abwasserschacht spielt. Das ist durchaus gewöhnungsbedürftig und anstrengend, zumal der dauernde Tempowechsel einen zu allem Möglichen, aber nicht zur Ruhe bringt, das gesamte Filmgebilde unberechenbar bleibt und sich weder formalen noch narrativen Konventionen unterwirft.

Etwas beschaulicher geht es da schon in Shinobu Yaguchis Film „The Rain Women“ (1990) zu, der wahrlich eine Entdeckung ist – so wie man auch die Präsentation der ganzen Reihe keinesfalls als selbstverständlich erachten sollte: Was Keiko Araki, Jacob Wong und Christoph Terhechte zusammengetragen haben, ist etwas Rares und außerordentlich Schönes.

„The Rain Women“ jedenfalls lässt an Éric Rohmers „Quatre aventures de Reinette et Mirabelle“ (1987) denken: zwei junge Frauen auf dem Land, es regnet, es gibt Fahrräder, aber zudem auch zahlreiche verspielte Abstraktheiten, beispielsweise wenn Shinobu Yaguchi die Mädchen auf dem Boden liegend zeigt, gehüllt in ein Geflecht aus meterlangen, feinen Plastikschläuchen, durch die beider Blut fließt. Es ist die symbolische Erzeugung eines gemeinsamen Blutkreislaufs, während „Hachimiri Madness“ eher wie eine Bluttransfusion wirkt: bei akuter Erschöpfung unglaublich belebend.

14.–26. April, Brotfabrik-Kino, FSK