ZEIT.ORTE

Martin Betz ist gebürtiger Amerikaner, er spricht Hochdeutsch und flucht auf Schwäbisch. Er studierte historische Tasteninstrumente, schreibt Lieder, spielt Stummfilmklavier, hortet Fahrräder und besitzt zwei Bäume samt Baumhaus in Berlin-Neukölln. www.martinbetz.de

Besuch

Martin Betz

Das Navi errechnet: von Bad Bederkesa

vier Stunden und zehn bis Pannier/Ecke Weser –

Am Auto steht außen Cuxhaven, kurz CUX, drauf.

Im Auto drin Bausparpapierkram mit Fuchs drauf,

und weit’rer Papierkram, so linksseits gelochter.

Sie sagen: Nein, nein, nicht für uns! Für die Tochter!

Und schon fragt das Autobahnschild: Frankfurt/oder

Neukölln? Hier, Neukölln! Und ein sauberer Škoda#

parkt ein zwischen staubig verdelltern –

Eltern

Sie kleiden sich locker: sie Jeansrock in Ocker,

er kurzärmlig, sonnenbebrillt wie Joe Cocker.

Beim türkischen Bäcker dann geh’n ihnen „Schrippe“

und „Pide“ und „Ayran“ ganz leicht von der Lippe.

Und dennoch und doch: dass ihr Wohnsitz nicht hier liech,

das merkt hier gleich jeder. Sie finden’s genierlich.

Sie spürn: Da die Lebensversich’rung soeben

zu Ende ging, wir aber immer noch leben,

da zähl’n wir zu’n bessergestellter’n –

Eltern

Nein, nein, von dem Club nachts sei gar nichts zu hören.

Nein, nein, rings der Hundekot, der würd’ nicht stören.

Schon fahr’n sie zu OBI, wir seh’n sie, zum Zeichen,

sie sei’n gar nichts Bess’res, verputzen und streichen.

Mit Mundschutz, Gehörschutz und Hut schleift man Dielen.

Trotz Handschuh, sie zeigen’s voll Stolz, gab es Schwielen.

Nur kurz unterbrechen sie’s Schmirgeln und Kratzen,

dann gibt’s auf den Nachtlager-Sperrmüll-Matratzen

ein Picknick mit Sandwichs und Seltern –

Eltern

Dann später wird Mutter’nen Braten ins Rohr stell’n:

Die Tochter will Ron, ihren Freund, heute vorstell’n.

Der,’s zeigt sich, als’s Fleischstück gegart ist und zart ist,

bejahrt ist, behaart ist und Artist mit Bart ist.

Sie staunen, dass Ron, der Parfum nicht zu knapp nimmt,

doch gleichwohl beim Essen die Mütze nicht abnimmt.

Und Paps denkt: Hat dieses Design-Blütenbeet je’n

Motor zerlegt? Arbeitsplatz irgendwie Medien –

Paps denkt noch’nen Satz, doch behält er’n –

Eltern↓

Sag, war’n sie nicht streng? Ihr Erziehen vor guten

sechs Jahr’n, fest gegründet mit strikten Statuten,

Geboten, dem Anspruch auf sehr gute Noten.

Und dann gab’s den Anfall und weitere drohten –

Wie schüchtern sie seither die Tochter verschonen,

zufrieden, wenn s i e nur nicht komm’n, Depressionen.

Paps Hassfigur, Mama Persona non grata -

Heut heißt’s nicht mehr: Kind, du sollst Mutter und Vater,

sollst einfach nur dich und die Welt ehr’n -

Eltern.

Sie fühl’n, dass sie nicht für ihr Kind kompetent sei’n

und dass sie mit ihrem Latein hier am End sei’n

und schwach trotz Beamtengehältern –

Eltern

Und jetzt alles schön. Und wir gehn dann mal essen!

Strahlt Paps. Das Lokal liegt in eurem Ermessen!

Die Tochter legt fest: Das darf nur’s Café Jacques sein.

Beim Humus ruft Paps: Doch! Könnt ganz mein Geschmack sein!

Er ahnt nicht, dass dieses Lokal nur durch ihre

und anderer Eltern Präsenz existiere.

Im schummernden Licht, voll vom wummernden Roten

beim Wirt fühl’n sie erstmals sich nicht als Exoten.

Der Wirt ist auch fremd, drum gefällt er’n –

Eltern

Fünf Tage Berlin, Zeit flutscht flugs durch die Finger –

sie fühlen sich schlanker, sie fühlen sich jünger.

Sie spür’n: Das durchpulst, das entstaubt uns’re Ehe.

Wie wär’s – noch ein Zimmer für uns in der Nähe?

Doch als sie zum zweiten Mal herkomm’n, klirrt Winter,

ein sichelnder, stichelnder Eisnadelprinter.

Mit Böen von Eis und mit Schnee ohne Pflüge,

Berliner Geschnauz’, BVG ohne Züge –

den Zweitwohnungsplan, kalt verprellt er’n –

Eltern.