Berliner Szenen
: Im Fitnessstudio

Innere Ruhe

Wir sollen im eigenen Rhythmus atmen, aber ich finde keinen

Mein Fitnessstudio bietet neuerdings morgens eine Stunde Meditation an. Meditiert habe ich noch nie, wird bestimmt super. Nach dem Frühstück hin, eine Stunde den Geist erweitern, und dann mit frischer Energie an den Schreibtisch, und bestimmt erledigt sich danach alles wie von selbst.

Ein kleines Grüppchen – ich bin der einzige Mann – sitzt auf dem Boden in dem Studio, in dem sonst gesteppt und gekickboxt wird, und wird in die Meditationstechnik eingewiesen. Aus dem Nebenraum dröhnt laute Bassmusik, über die ein Trainer brüllt und zählt, als würde der Spieß die Rekruten schleifen. Wir sollen tief in unserem eigenen Rhythmus atmen, aber ich finde keinen Rhythmus, wenn die Wand von dumpfen EDM-Beats wackelt.

Auch als der Krawall nebenan verstummt, will sich bei mir nicht die nötige innere Ruhe einstellen. Wir sollen unsere Rückenwirbel aufeinanderstapeln, einen nach dem anderen. Ich denke daran, dass der Abwasch noch in der Spüle steht. Dann sollen wir uns im Brustbereich weich machen. Ich höre von nebenan das Krachen der Gewichte an den Fitnessmaschinen. Wir sollen abwechselnd ein Nasenloch zuhalten und durch das andere tief ein- und ausatmen. Ich sehe durch das tolle Panoramafenster des Studios einem Dealer in der sonnigen Hasenheide dabei zu, wie er seine Ware im Gebüsch versteckt. Nun sollen wir zwischen den Atemzügen bis zehn zählen. Ein Mann joggt mit Kinderwagen durch die Hasenheide. Ich bekomme durch ein Nasenloch nicht genug Luft. Ein Polizeiauto rollt durch den Park. Der Dealer ist verschwunden.

Auf dem Heimweg habe ich schlechte Laune. Ich ärgere mich darüber, dass ich offenbar zu seicht zum Meditieren bin und mich von jedem Quatsch ablenken lasse. Und darüber, dass ich diese Stunde nicht besser genutzt habe. Zwar ist dabei letztlich diese Kolumne herausgekommen. Aber so toll ist die dann auch wieder nicht geworden. Tilman Baumgärtel