Giegolds guter linker Populismus
: Zentraler Fokus Mitgefühl

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Knapp überm Boulevard

von Isolde Charim

Kürzlich hat Sven Giegold einen Meinungsbeitrag in der taz (am 20. März) veröffentlicht, der es verdient, aufgenommen und diskutiert zu werden. Aufgenommen, also der Schnelllebigkeit des Tagesjournalismus entrissen – denn der Text versucht nicht weniger als die Quadratur des gegenwärtigen politischen Kreises: Giegold skizzierte die Konturen eines guten linken Populismus.

Die Vorlage dafür lieferte ihm die niederländische Partei GroenLinks, also GrünLinks, und ihr Shootingstar Jesse Klaver – die Überraschung der jüngsten Wahlen. Hier findet Giegold eine neue linke Kultur, eine Frischzellenkur für linke Inhalte. Wenn er schreibt, GroenLinks würde „anders auftreten und besser kommunizieren“, so ist dies eben nicht das Spindoktoren Gerede, das Politik durch Marketingstrategien ersetzen möchte. Giegold meint vielmehr, dass linke Politik einen neuen Fokus brauche, einen neuen zentralen Wert. Und dieser sei das Mitgefühl. Mitgefühl biete zwei Vorteile: Es ist emotionalisierend. Und es ist ein positiver Wert.

Mitgefühl verändert nicht die linken Inhalte – diese sind nach wie vor Gleichheit und Gerechtigkeit. Aber das Mitgefühl stellt diese in einen neuen Kontext. Diese Gleichheit artikuliert sich nicht aus einer Gegnerschaft – gegen böse Konzerne, gegen die Mächtigen. Gleichheit soll vielmehr als positiver Begriff aus einem positiven Kontext hervorgehen: Gleichheit, die eine glückliche Gesellschaft für alle verspricht. Gleichheit, die aus Zusammengehörigkeit resultiert. GroenLinks spricht nicht von Umverteilung, sondern von Zusammenhalt. Daraus folgen genau jene beiden Momente, um die es Giegold geht: ein positiv besetzter Wert, der positive Emotionen weckt.

Geht Populismus ohne Freund-Feind-Schema?

Gerade wenn man große Sympathien dafür hat, sollte man Giegolds Vorschlag diskutieren. Das Sympathische ist, dass hier jemand wirklich einen Vorschlag macht. Normalerweise rufen alle nur nach einem neuen Narrativ und bemängeln dessen Fehlen. Giegold aber – und GroenLinks – skizzieren hier tatsächlich eine solche neue Erzählung. Die Diskussion aber muss die Frage stellen: Geht das?

Was Giegold entwirft ist ein Klassenkampf ohne Feind, ohne Feindrhetorik. Aus der fehlenden Feindperspektive soll die positive Besetzung der Gleichheit rühren. Es ist dies ein Populismus ohne Gegner. Und der Versuch, das „positive“ Moment des Populismus zu übernehmen, ohne dessen Schrecklichkeiten. Denn Populismus packt die Leute, er erfasst sie mittels ihrer Emotionen. Aber der böse Populismus ergreift die Menschen, indem er einen Feind bestimmt. Die neue Linke aber soll die Menschen anders ergreifen. Anders als die alte Linke, die einen rationalen Diskurs der Zahlen, der Umverteilung führte, soll sie die Menschen emotional mobilisieren. Aber anders als der rechte Populismus soll diese Emotionalisierung eine positive keine negative durch Ausgrenzung sein.

Die Frage ist aber: Geht Populismus ohne Freund-Feind- Schema? Lässt sich emotionale Politik nur in Freund-Kategorien wie Zusammengehörigkeit oder faires Miteinander verankern? Vor allem in einem historischen Moment, wo sich gesellschaftliche Kräfte formieren, die sich sehr wohl wieder über Feindschaften definieren. Wie geht der gute Populismus damit um, dass es auch einen bösen Populismus gibt? Wie geht eine offene Gesellschaft, die Offenheit für alle propagiert, mit einer Feinderklärung um?

Manchmal ist so eine taz- Seite wie ein Sinnbild. Dann findet sich neben Giegolds großem Kommentar Stefan Reineckes Glosse zur neuen Schulz-SPD. Bei Schulz, lesen wir da, drehe sich alles um das „Wir“. „Seine Rede glüht vor Gefühlsworten. Respekt. Dankbarkeit. Demut.“ Ein „neues, wärmendes SPD-Wir“. Ein Wir, das alle in der SPD erfasst und emotional mobilisiert hat. Zu 100%. Ein Wir jedoch, das, so Reinecke, dann doch nicht alle umfasst. Es ist das Wir all jener, die arbeiten. Langzeitarbeitslose und Hart-IV-Empfänger seien nicht einbegriffen. Ohne Ausschlüsse ist Zusammenhalt und faires Miteinander scheint’s nicht zu haben.

Die Autorin ist freie Publizistin und lebt in Wien