Erotisch-bodenständige Alchemie

MALEREI Lange bevor die Pop-Art die Linie in der Malerei entdeckte, experimentierte William N. Copley freizügig mit comicartigen Motiven und Figuren. In Hannover ist nun bis Ende März eine Retrospektive mit rund 40 Werken Copleys zu sehen

William Copleys Kunst ist Schmelztiegel, Wegkreuzung und Startpunkt

VON BEATE BARREIN

„Copley“ steht auf einer Karte, die die vier Männer auf dem Schwarzweißfoto hochhalten. Da stehen René Magritte, Marcel Duchamp, Max Ernst und Man Ray mit der Einladung ihres Freundes zu seiner Einzelausstellung 1966 in Amsterdam. Knapp zwanzig Jahre zuvor waren es die vier Surrealisten, die Copley ermutigten, weiterzumalen. Denn der us-amerikanische Maler hatte viele Interessen: Er schrieb, fotografierte, sammelte Kunst, gab Kunstbücher heraus und führte kurzzeitig eine Galerie in Beverley Hills, wo sie sich auch kennenlernten.

Dies alles konnte sich der 1919 in New York Geborene als Adoptivsohn der wohlhabenden Familie des Zeitungsverlegers Ira Copley leisten. Doch er entfernte sich früh, auch politisch, von seiner konservativen Familie und überließ die elterlichen Verlagsgeschäfte seinem älteren Bruder.

1951 ging Copley nach Paris und atmete dort den letzten Rest surrealistischer Atmosphäre. Er inspirierte sich an seinen Zeitgenossen und half ihnen im Gegenzug oft finanziell. Dennoch entwickelte er unabhängig eine stark zeichnerische Formensprache. Seine vielfach nackten, weiblichen Figuren erinnern an die wogenden Linien von Flaschengeistern – sie tauchen überall auf, oft gesichtslos, umgeben von Accessoires wie Spitze und Strapsen.

Überhaupt geht es Copley bei der Konfrontation der Geschlechter weder um das Ernsthafte noch um das Reale. In „West“ (1974) etwa steht sich ein nacktes Paar mit Revolvern gegenüber, eine abgefeuerte Kugel ruht bewegungslos zwischen ihnen. „Mein Leben ist eine Suche nach dem lächerlichen Bild“, sagte Copley selbstironisch.

Das bestätigt auch Kurator Dr. Götz Adriani. „Copley gehört zu den wenigen, die vielleicht im Anschluss an Dada das Anarchische in der Kunst mit aufgenommen haben. Also er ist weniger durch den Surrealismus geprägt, durch Künstler, mit denen er befreundet war, wie Max Ernst, Duchamp oder Man Ray.“

Der gedrungene, dunkelhaarige Mann mit den buschigen Augenbrauen, der bei den Künstlern in Paris und später in New York ein- und ausging, schuf bereits 1948 mit „Herself an Exile“ eine wegweisende Bildsprache, die an moderne Mangas erinnert. Seine wiederholten Motive, der unterteilte Bildraum lassen an seinen Freund Andy Warhol denken. Seine gemusterten Hintergründe und kurvigen Figuren antizipieren einen Keith Haring. Copleys Kunst ist Schmelztiegel, Wegkreuzung und Startpunkt.

Sein karg gemaltes „Grabmal für die unbekannte Hure“ (1965) steht sowohl für seine Liebe zu Frauen und Sex als auch für seine gesellschaftspolitische Kritik an den Grabmälern für die unbekannten Soldaten. Beim comichaften „Electric Chair“ (1970), einem Bauernstuhl mit Kabel und Stecker, gefriert dem Betrachter das aufkommende Grinsen.

Kurator Adriani hat die Ausstellung mit ungezeigten privaten Leihgaben, auch von den Kindern Copleys, für das Frieder Burda Museum Baden-Baden im Februar konzipiert. Anschließend kam sie in das Max Ernst Museum Brühl, jetzt ist die Schau mit gut 40 Werken im Norden nur in Hannover zu sehen. Und zwar 17 Jahre nach der ersten großen Copley-Retrospektive in Deutschland in exakt den gleichen Räumen.

■ Hannover: bis 31. 3. 2013, Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte, Warmbüchenstraße 16, Fr – So 12 – 17 Uhr, Führungen: Sa, 15 Uhr