Leben In Bremen treffen sich KurdInnen im Verein Birati, um Tee zu trinken und über Politik zu diskutieren: Wie kann man den türkischen Präsidenten stoppen, der den Kurden gerade wieder den Krieg erklärt?
: Diskutieren über Erdoğan

Familientreffen in Hannover: Kurden beim traditionellen kurdischen Neujahrsfest im März 2016 Foto: Alexander Körner/dpa

AUS BREMEN UND OSTERHOLZ-SCHARMEBEK Vanessa Reiber

An den großen Fenstern hängen Sichtschutzfolien, sodass niemand von außen hineinsehen kann. Streifen in der Farben Rot, Gelb und Grün verraten dennoch, wer sich in der Bremer Neustadt trifft: Der Verein Birati e. V. ist die zentrale Anlaufstelle für KurdInnen in Bremen und Umgebung. Trotz des Namens, der aus dem Kurdischen übersetzt „Bruderschaft“ bedeutet, gehen hier auch Frauen und Kinder ein und aus.

Am Donnerstagnachmittag ist wenig los. Eine Gruppe von Männern sitzt bei Tee aus kleinen Gläsern in einer Runde zusammen an einem Holztisch neben der Tür. Im Fernsehen läuft eine kurdische Musiksendung, der wenig Beachtung geschenkt wird. Wer zur Runde dazukommt, begrüßt alle Anwesenden mit Handschlag, ein Mann weiter hinten in dem großen Raum bringt noch mehr Tee für Neuankommende.

Kenan, der 1998 aus der Türkei nach Deutschland flüchtete, kommt drei bis viermal die Woche hierher. Gerade sei es sehr ruhig, die meisten KurdInnen kämen am Wochenende, wenn sie nicht arbeiten müssten. 460 Mitglieder hat der „Verein zur Förderung demokratischer Gesellschaft Kurdistans“, so der offizielle Beiname, derzeit. „Das hier ist ein offener Ort, es können auch Nichtmitglieder vorbeikommen“, sagt Kenan und deutet auf die vielen Tische und Stühle, die an Schulmobiliar erinnern.

Eine Person im Raum scheint doch auf das Fernsehprogramm zu achten. „Der da, der mit der Geige, das ist mein Cousin“, ruft der Mann. Sein Name ist Mohsen, er ist ebenfalls Musiker und stammt aus dem Iran. Donnerstagabends gibt er hier Kurse für das Spiel der Daf, einer kreisrunden Rahmentrommel. In seinem Kurs würden kurdische Folklorelieder gesungen, sagt Mohsen, es kämen überwiegend Frauen.

Musikgruppen und Chöre gibt es einige hier. Der 80-köpfige Kinderchor des Vereins trat am Dienstag vergangener Woche beim traditionellen kurdischen Neujahrsfest Newroz auf, dass die KurdInnen in Deutschland in diesem Jahr in Frankfurt feierten. Fünf Busse aus Bremen fuhren zu dem Fest. „Dass allgemein mehr Menschen zur Kundgebung kamen, zeigt, dass das kurdische Volk sich nicht unterdrücken lässt“, sagt Fatma, eine junge Frau, die sich in der Hochschulgruppe YXK dafür einsetzt, „die kurdische Frage an die Unis zu bringen“.

Fatma gehört zur zweiten Generation der KurdInnen in Deutschland. Die meisten KurdInnen kamen Anfang der Sechzigerjahre als türkische Gastarbeiter nach Deutschland. Wie viele KurdInnen es in Deutschland gibt, lässt sich nur schätzen, da Kurdistan nicht als Staat gilt und die ankommenden Menschen somit als TürkInnen IranerInnen, SyrerInnen oder IrakerInnen erfasst werden.

Die Studentin nennt Deutschland ihre Heimat, fühlt sich dennoch auch als Kurdin. Seit eineinhalb Jahren ist sie Vereinsmitglied bei Birati. Der Grund für ihren Eintritt? „Erdoğans Unterdrückungspolitk des kurdischen Volkes.“ Es sei wichtiger denn je, dass die KurdInnen zusammenhielten, sagt Fatma.

Die anwesenden Männer stimmen ihr da zu. Politik sei für den Verein immer ein großes Thema gewesen, erzählt einer der Ko-Vorsitzenden. „Wir diskutieren jeden Tag darüber, wie Erdoğan gestoppt werden kann“, sagt Kenan. Jahrelang sei die Unterdrückung des kurdischen Volkes nicht wahrgenommen worden. „Stattdessen werden wir Terroristen genannt“, so Kenan.

Der Grund dafür lässt sich auch in den Vereinsräumen schnell identifizieren. „PKK? Na klar!“ heißt es auf zwei Stickern, die dort kleben. Die kurdische Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, gilt in Deutschland als Terrororganisation und ist verboten. An den Wänden hängen Bilder von PKK-Idolen: Der seit 1999 inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan hängt in einer Reihe mit der ermordeten Mitgründerin Sakine Cansız. Darunter hängen an einer großen Fotowand Bilder von getöteten Familienmitgliedern der Vereinsmitglieder.

In den einfach eingerichteten Vereinsräumen sind PPK-Symbole erlaubt, im öffentlichen Raum sind sie jedoch verboten. „Wir dürfen nicht einmal Bilder von Öcalan zeigen“, sagt ein junger Mann, der an der Hochschule Bremen studiert. Das sei ein Einschnitt in die Meinungsfreiheit. „Das Ziel aller KurdInnen ist eine demokratische Gesellschaft“, sagt er.

Der Verein unterstützt ehrenamtlich auch Flüchtlinge, die aus dem kurdisch-syrischen Gebiet Rojava nach Deutschland kommen. „Wir arbeiten nicht nur politisch, sondern auch kulturell und integrativ“, sagt Kenan, der seit seiner Flucht nicht mehr in der Türkei war. Er und die anderen, sagt er, hätten Angst um ihre Familienmitglieder.

Der Verein halte regelmäßig Seminare ab, erzählt Kenan: gegen Gewalt, gegen Drogen, für den Dialog zwischen den Religionen. „Wir leben in Deutschland, nicht wie im Nahen Osten“, sagt er. Die Referenten seien kurdisch und deutsch, die Seminarsprache sei überwiegend Deutsch. Ansonsten wird im Verein überwiegend Kurdisch gesprochen, nur die Kinder sprechen meistens Deutsch.

Kicken, um zu vergessen

Ein Sprachmischmasch wird auch beim Fußballverein SV Barispor Osterholz in der Nachbarschaft von Bremen gesprochen. Überwiegend Kurden, aber auch Libanesen, Albaner und Deutsche spielen für den Verein. Das Vereinslogo ist eine weiße Taube auf schwarzen Grund, der Name bedeutet frei aus dem türkischen übersetzt „Sport für den Frieden“.

Seit 1998 gibt es den Verein, bei dem laut dem Vereinsvorsitzenden Halil Ölge „nicht der Pass, sondern gute Pässe wichtig“ sind. Wer woher komme, sei egal, es ginge darum, Sport zu treiben und einander kennenzulernen.

Der dreißigjährige Azez, ist seit September bei Barispor. „Ich habe in der Mannschaft Freunde gefunden und mein Deutsch verbessert“, erzählt der Jeside. Fußball helfe ihm beim Abschalten. Wenn er kicke, könne er seine Flucht aus dem syrischen Rojava für den Moment vergessen.

Der Verein hat für Azez und die anderen fünf Geflüchteten im Kader Fußballschuhe und Schienbeinschoner gekauft. Das Geld dafür kam vom Deutschen Fußballbund (DFB): Mit jeweils 500 Euro unterstützt der DFB Vereine, die Geflüchtete bei ihrer Integration unterstützen.

Haiki Berisha, Trainer der 2. Herren von Barispor Osterholz, klagt über mangelnde Unterstützung. Der Verein müsse auf einem Rasenplatz spielen, der etwa ein halbes Jahr gesperrt sei, ein Vereinsheim gebe es auch nicht. „Unter diesem Bedingungen können sich die Spieler nicht entwickeln und sie wechseln die Vereine“, sagt Berisha. Spenden erhalte der Verein nur vom Linken-Kreisverband Osterholz, der 240 Euro an Barispor spendete.

„Der Verein erreicht besser als andere Vereine auch sozial Benachteiligte“, sagt Mizgin Ciftci, Vorsitzender der Linken-Fraktion im Kreistag Osterholz.Ciftci war der erste Kurde, dem es gelang, in den Kreistag in Osterholz einzuziehen.

Während bei Birati in Bremen am Donnerstagabend musiziert wird, schaut in Osterholz der Vereinsvorsitzender Ölge seinen Spielern zu – beim ersten Training des Jahres auf dem wieder freigegebenen Platz. Trotz der schlechten Bedingungen wolle er nicht aufgeben, sagt er, schließlich seien „das alles gute Jungs“.