Der vergessene
Ort des Todes

Erinnerungskultur Das Deutsch-Russische Museum Karlshorst zeigt eine Sonderausstellung über das Nazi-Lager Malyj Trostenez. Sie ist ein Zeichen weißrussisch-deutscher Annäherung

Der Koffer von Richard Hirsch Foto: Belorusskij gosudarstwennyj muzej istorii Welikoj Otetschestwennoj wojny, Minsk

von Klaus Hillenbrand

Der Prager Richard Hirsch war 44 Jahre alt, als er aus dem Getto Theresienstadt zusammen mit etwa 1.000 weiteren jüdischen Leidensgenossen deportiert wurde. Das geschah am 25. August 1942. Das Ziel des Transports war die weißrussische Hauptstadt Minsk. Drei Tage nach seiner Ankunft wurde Hirsch ermordet.

Zwei Jahre später, im Sommer 1944, wurde Minsk von der Roten Armee befreit. Eine Historische Kommission begann mit der Untersuchung der Massenmorde. In den Ruinen einer Scheune fand sie Hunderte verkohlte Leichen von Frauen, Kindern und Männern. Man entdeckte auch einen Reisekoffer, darauf mit weißer Kreideschrift in großen Buchstaben der Name von Richard Hirsch.

Das Foto dieses demolierten Koffers hängt in der Ausstellung über einen Vernichtungsort, dessen Namen nur wenige Deutsche jemals gehört haben dürften: Malyj Trostenez. Das ­Lager entstand auf den Gelände der ehemaligen sowjetischen Kolchose „Karl Marx“ außerhalb von Minsk. Von dort wurden die Besatzer mit Lebensmitteln und anderen Gütern versorgt. Die Häftlinge – weniger als eintausend – waren sorgfältig ausgesuchte Facharbeiter, die man bei Selektionen zunächst am Leben ließ, damit sie bis zu 15 Stunden täglich als Sklaven arbeiteten. Zudem wurden in Malyj Trostenez Agenten für die Partisanenbekämpfung trainiert und SS-Einheiten stationiert.

Bei den weißrussischen Gedenkstätten dominiert noch immer der Sowjettyp

Malyj Trostenez war zugleich auch ein Ort der Vernichtung: Die übergroße Mehrheit der Deportierten, darunter mehr als zehntausend jüdische Menschen aus Deutschland und Österreich, wurden bereits gleich nach ihrer Ankunft in Gruben erschossen, ihre Kleidung musste von den Gefangenen sortiert werden.

Kurz vor der Eroberung des Geländes durch die Sowjets ermordeten die Bewacher, darunter auch ukrainische und weißrussische Kollaborateure, die meisten der sogenannten Arbeitsjuden. Nur sehr wenige Menschen haben überlebt. In der Ausstellung findet sich eine Tafel mit den Worten der Wienerin Julie Sebek, deportiert am 6. Mai 1942, der kurz vor Auflösung des Lagers die Flucht gelang. Sie schreibt: „Es würde zu weit führen, wenn ich berichten würde, was wir dort durchgemacht haben. Ich will nur kurz bemerken, dass täglich Menschen gebracht und geholt, täglich einige Erschießungen vorgenommen wurden, ganz willkürlich, und immer musste man fürchten, selbst dranzukommen. Man kann sagen, stündlich hatten wir Angst vor dem Tod.“

Wie viele Menschen in Malyj Trostenez den Tod fanden, ist unsicher. Die Historische Kommission schätzte 1944 ihre Zahl auf 150.000. Das Lager gilt als größte Massenvernichtungsstätte in der von der Wehrmacht eroberten Sowjetunion.

Die Ausstellung im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst ist nicht nur deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie an ein in Deutschland vergessenes Kapitel der NS-Vernichtung erinnert. Zugleich ist sie das Zeichen einer noch zarten, aber wachsenden Kooperation zwischen Weißrussland und der Bundesrepublik zur Erinnerungskultur. Denn die Wanderausstellung beruht auf einer deutsch-weißrussischen Zusammenarbeit; gezeigt wird sie in beiden Staaten. Zur Eröffnung in Berlin fand sich auch der weißrussische Botschafter ein.

Richard Hirsch, ermordet in Malyj Trostenez Foto: Národní archiv Praha

Wie unterschiedlich Gedenkkultur weiterhin sein kann, zeigt auch die Schau im Museum Karlshorst. Bei den weißrussischen Stätten dominiert noch immer der Sowjettyp, bei dem eine explizite Erinnerung an die jüdischen Opfer ausgeblendet wird. Sie werden subsumiert unter zivile sowjetische Opfer, gekrönt von Heldenstatuen für die ruhmreiche Sowjetarmee – und damit vergessen. Doch das beginnt sich langsam zu ändern. Seit 2000 gibt es eine zentrale Gedenkstätte für die Opfer des Holocaust, bestehend aus einer einen steilen Hang hinabsteigenden Skulpturengruppe.

Das deutsche Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) unterstützt diese neue Gedenkpolitik – angesichts der prosowjetischen Geschichtsschreibung in Weißrussland eine nicht immer ganz einfache Angelegenheit. Die geplante Gedenkstätte Malyj Trostenez soll als gemeinsames Projekt von Weißrussen, Deutschen, Österreichern und Tschechen entstehen – 75 Jahre nach dem Massenmord.

„Vernichtungsort Malyj Trostenez. Geschichte und Erinnerung“. Sonderausstellung bis zum 23. April. Deutsch-Russisches ­Museum Berlin-Karlshorst, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Der zweisprachige Katalog kostet 10 Euro