Die Villa und das Heim

Vorurteile Als Hendrikje Blandow-Schlegel anfing, mit Geflüchteten zu arbeiten, sorgte sie sich um deren Rollenbilder. Dann passierte: nichts

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Aus Hamburg Simone Schmollack

Hendrikje Blandow-Schlegel ist das, was man im besten Sinne gutbürgerlich nennt: Juristin, SPD-Mitglied, verheiratet, drei Kinder. Sie wohnt in Hamburg-Harvestehude, einem der reichsten Viertel der Hansestadt. Dort, zwischen Villen, mit Blick auf die Alster und einem Quadratmeterpreis von bis zu 18.000 Euro, steht ein Flüchtlingsheim. Seit 2015 leben hier 190 Frauen, Männer und Kinder aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak.

Fast jeden Tag fährt Blandow-Schlegel in das ehemalige Verwaltungsgebäude der Bundeswehr, um sich ehrenamtlich um die Geflüchteten zu kümmern. Sie ist Chefin des Vereins Flüchtlingshilfe Harvestehude und sorgt dafür, dass die Neuankömmlinge Kleidung, Deutsch- und Integrationskurse bekommen, Fahrräder und Musikinstrumente. Dass die Teeküche läuft und den Müttern am Nachmittag auch mal die Kinder abgenommen werden.

Blandow-Schlegel ist aber nicht nur eine „Flüchtlingshelferin“ aus der gehobenen Mittelschicht, sondern auch feministisch geschult. Sie kennt sich aus mit Genderdebatten, als Anwältin für Familienrecht korrigiert sie Eheverträge und unterstützt Frauen bei der Scheidung. Auch für sich selbst hat Blandow-Schlegel emanzipatorisch alles erreicht. Was denkt so eine über das Geschlechterbild der Flüchtenden, das sich von unseren Vorstellungen über Gleichstellung von Frauen und Männern schon mal unterscheiden kann? Irritiert es sie, wenn Migrantinnen lieber häkeln als studieren wollen und Männer ihre Frauen eher in der Küche sehen als beim Deutschkurs?

„Nein“, sagt sie: „Wir hier in Deutschland sitzen auf einem hohen Ross, wenn wir so tun, als ob unsere Lebensvorstellungen die einzig richtigen sind.“ Blandow-Schlegel – blond, schwarze Intellektuellenbrille – hat sich in die Ecke eines Cafés in der Nähe des Flüchtlingsheims zurückgezogen. Sie ist heiser, zu viel geredet, zu viel gearbeitet. Bei grünem Tee und Apfeltorte mit viel Sahne will sie trotzdem über Flüchtlinge und deren Geschlechterbild sprechen.

Seit sie wusste, dass Flüchtende nach Harvestehude kommen und sie sich persönlich um sie kümmern wollte, stellte sie sich viele Fragen: Wie reagiere ich, wenn ein Migrant sich weigert, mir die Hand zu geben? Wenn er sich von mir nichts sagen lässt, weil ich eine Frau bin? Was mache ich, wenn ich mit einer Frau nicht reden kann, weil ihr Mann sie nicht aus dem Zimmer lässt?

Wenn Blandow-Schlegel darüber laut nachdenkt, versenkt sie sich tief in die deutsche Geschichte. Ihre Großmutter durfte nicht ohne Hut und Handschuhe aus dem Haus gehen, erzählt sie. Frauen, die damals auf der Straße rauchten, waren „G’schlamperte“. Sie erinnert daran, dass noch in den 70er Jahren in der alten Bundesrepublik Männer ihren Frauen verbieten konnten, arbeiten zu gehen. „Es ist nicht so lange her, dass bei uns Frauen dem Mann untergeordnet waren“, sagt sie: „Wir sollten nicht so tun, als ob Gleichberechtigung für Frauen hierzulande schon immer eine Selbstverständlichkeit war.“ Sexismus deutscher Männer, schiebt sie hinterher, „ist leider noch immer weitverbreitet.“

All das trieb sie um, und das teilte sie den anderen Frauen mit, die mitmachen wollten im Heim. Manche engagieren sich nicht – so wie Blandow-Schlegel – aus politischen Gründen. „Sie wollen einfach nur helfen“, sagt die SPD-Frau. Die Fragen zum Umgang mit Männern und Frauen mit einem anderen kulturellen Hintergrund aber, die möglichen unterschiedlichen Ansichten zur „Geschlechterfrage“, das wollten alle Helferinnen genauer wissen. Um nichts falsch zu machen. Um sich selbst zu schützen. „Wir haben uns damit ausführlich theoretisch auseinandergesetzt“, sagt Blandow-Schlegel.

Als die Flüchtenden und die Hamburgerinnen schließlich aufeinander trafen, passierte etwas Kurioses, wie Blandow-Schlegel sagt: „Nämlich nichts.“

„Wir sagen nicht: Ihr müsst jetzt leben wie wir. Aber wir scheuen uns nicht, unsere Werte zu vermitteln“

Hendrikje Blandow-Schlegel

Kein Migrant, der den Helferinnen nicht die Hand geben wollte. Keine abweisende Geste geflüchteter Männer gegenüber deutschen Frauen. In der Teeküche sitzen geflüchtete Frauen und geflüchtete Männer zusammen. Zum Deutschkurs melden sich beide Geschlechter an. Männer holen ihre Töchter und Söhne von der Kinderbetreuung ab. Und wenn mal einer nicht die Hand reichen wolle, sagt Blandow-Schlegel, „dann lässt er das eben sein“. In einer gewöhnlichen Hamburger WG würde sie auch nicht jeden mit Handschlag begrüßen.

Und ja, es gibt einen Handarbeitskurs, den „Häkelbüddelklub“. Der sei wichtig für Migrantinnen, deren Männer misstrauisch sind, wenn ihre Frauen sich außerhalb des Heimzimmers allein bewegen. „Der Häkelbüddelklub ist unverdächtig, dorthin lassen die Männer die Frauen gehen.“ Wenn die Frauen dort zusammensitzen, verhandeln sie alle Themen, die sie sonst nicht besprechen können: Verhütung, Schwangerschaft, Sprachkurse, Partnerschaftsgewalt. Und die Helferinnen wie Blandow-Schlegel erzählen, welche Werte in Deutschland gelebt werden: Jungen und Mädchen gehen gleichermaßen zur Schule und Frauen arbeiten. Frauen dürfen sich scheiden lassen, Gewalt gegen Frauen ist verboten. Männer dürfen Frauen nicht einsperren. So was.

„Wir sagen nicht: Ihr müsst jetzt so leben wie wir“, sagt Blandow-Schlegel, „das wäre unverschämt. Aber wir scheuen uns nicht, unsere Werte zu vermitteln.“ Das wirkt, wie sie findet: Einige Frauen, die nach ihrer Ankunft vor allem im Zimmer blieben, lernen jetzt Deutsch. Andere Frauen arbeiten in der Fahrradwerkstatt. Männer kochen Tee.

Und die Sache mit dem Häkeln? „Früher habe ich Handarbeitskurse verlacht“, sagt Blandow-Schlegel: „Heute weiß ich sie zu schätzen.“