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Urban gärtnern geht auch ohne teure Terrakotta-Töpfe: Manchmal tut’s auch ein alter CD-Player Foto: Jörg Carstensen/dpa

Urbane Gärten statt teurer Parkanlagen

Urban Gardening Immer mehr Initiativen nehmen sich gärtnerisch des öffentlichen Raumes an – als „Prozess der Stadtentwicklung“

von Sebastian Krüger

Bunte Beete neben der Straße, Obst und Gemüse, das in einem öffentlich zugänglichen Hochbeet wächst: Die gärtnerische Nutzung städtischer Flächen ist auch in Bremen immer häufiger zu beobachten. Urban Gardening heißt das Konzept, und unter diesen Begriff fällt viel: Für die Wildblumenaktivistin Rike Fischer bedeutet das jegliche Form von Gärtnern in der Stadt: Vom Blumentopf auf dem Fenstersims über die große Gemüsewerft am Gröpelinger Hafen bis hin zu den vielen Kleingärten in Bremen. „Und alles dazwischen“, findet sie. Fischer ist Kommunikationsdesignerin, Wildblumenexpertin und Umweltaktivistin. Die Beweggründe für ihr gärtnerisches Engagement sind ganz praktisch verortet: „Menschen sind ja auch nur irgendwelche Tiere“, scherzt Fischer, „nur am Ende der Nahrungskette.“

Ohne Pflanzen gibt es keine Insekten, welche wiederum Pflanzen bestäuben. Und wenn Insekten in der urbanen Betonwüste nichts zu fressen finden, hat dies auch Auswirkungen auf uns: „Ohne Insekten können wir keine Äpfel essen“, sagt sie. Und daneben mache Urban Gardening Spaß und verschönere das Stadtbild.

Kleingärten etwa sind für Fischer eine traditionelle Form vom Urban Gardening. „Kleingärten sind über 130 Jahre alt“, so die Aktivistin. Durch sie sollte die ärmere Bevölkerung die Möglichkeit bekommen, sich selbst fußläufig Obst und Gemüse anzubauen. Kleingärten gibt es in Bremen überall. Auf der Werderinsel seien die Plätze begehrt, Interessierte müssten mit Wartelisten rechnen. Aber etwas weiter draußen gebe es viel Leerstand, besonders im Westen. Der Landesverband der Gartenfreunde zählt etwa 17.000 registrierte Kleingärten in Bremen. „Damit befinden wir uns im Mittelfeld“, sagt der Vorsitzende, August Judel. In Städten wie Hamburg oder Berlin sei die Anzahl in Relation zur Bevölkerung noch höher.

Wer in der Stadt wohnt und keinen Kleingarten nutzen kann, dem stünden auch andere Möglichkeiten zur Verfügung, sagt Fischer: So pflanzen BürgerInnen nach Absprache mit den Ortsbeiräten auf Grün- und Brachflächen Gemüse oder Obst. Es geht aber auch kleiner: „Wildblumen auf den kleinen Grünstreifen zwischen Fußweg und Straße sorgen für mehr Artenvielfalt in der Stadt“, sagt sie.

Beispiele für Urban Gardening gibt es für sie viele. Der internationale Garten in Walle etwa bietet die Chance, alteingesessene BremerInnen mit NeubürgerInnen zusammenführen. Auch trotz Sprachbarriere kann man sich da beim gemeinsamen Gärtnern näherkommen und etwas vonein­ander lernen. GärtnerInnen haben Flüchtlingsunterkünfte zum Beispiel in Arbergen, Hastedt und Bremen-Nord gemeinsam mit den BewohnerInnen bepflanzt. Das verschönere die sterilen Behausungen und biete eine Möglichkeit zum Austausch, sagt Fischer.

Eines der wohl bekanntesten Urban-Gardening-Projekte in Bremen liegt in der Bremer Neustadt: Der Lucie-Flechtmann-Platz an der Westerstraße wurde jahrelang nicht genutzt. Im Juni 2013 wurde daraus ein nachbarschaftliches Gartenprojekt mit dem Namen „Ab geht die Lucie“.

Die OrganisatorInnen planen mittlerweile gemeinsam mit der Stadt einen weiteren und nachhaltigen Umbau des Platzes. Bisher durften die GärtnerInnen die Pflastersteine nicht entfernen und bauen ihre Pflanzen deswegen in Hochbeeten und Kübeln an. Sie bezeichnen die Entwicklung als den ersten basisdemokratischen Prozess der Stadtentwicklung.

Eine weitere Form von Urban Gardening sind Blühstreifen. Die Arbeitsgruppe „Blüten und Bienen“ vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Bremen verschönert Grünstreifen, indem sie bunte und vielfältige Blumen pflanzt. Das kann man vor allem am Rembertiring und am Hochschulring beobachten, so Fischer.

„Es ist bekannt, dass Bremen kaum Geld hat“, sagt sie, „das merkt man auch an der Betreuung der Grünflächen.“ Mitunter seien die Umweltbetriebe sogar dankbar für gärtnerische Initiativen und böten Patenschaften für bestimmte Grünabschnitte an.

Fischer selbst hat im Januar eine Parzelle mitsamt großem Grundstück im Stadtteil Findorff übernommen. Die Fläche liegt direkt neben dem Tafelobstgarten des BUND Bremen, der die Bremer Tafel unterstützt. Wer dort oder bei „Blüten und Bienen“ mitmachen möchte, kann sich an den BUND Bremen wenden.

Es braucht für Fischer nicht viel Vorwissen, um den städtischen Raum grüner zu gestalten: Zwiebeln von Frühjahrsblühern, die viele Wohnzimmer dekorieren, können ganz einfach draußen eingepflanzt werden. Darunter fallen etwa Narzissen und Perlhyazinthen. Resultate sind schnell zu beobachten. „Garten muss nicht immer Fläche sein“, sagt sie, „auch in der Senkrechte kann man arbeiten.“ Töpfe an der Balkonwand oder Bohnenstangen würden nicht viel Fläche einnehmen.

Bei aller kreativen Freiheit gibt es jedoch auch einiges zu beachten. „Wenn man direkt neben der Straße pflanzt, muss man natürlich auf den Verkehr achten“, so Fischer. Dabei gehe es nicht nur um die eigene Sicherheit. „Wenn der Bewuchs über 60 Zentimeter hoch wird, kann die Sicht der Verkehrsteilnehmer darunter leiden“, sagt sie. Wenn jemand große Bäume pflanzen möchte, könne die Kanalisation unterhalb der Anpflanzungen stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Beim Umweltbetrieb und beim BUND Bremen kann man sich über so etwas gut informieren.

Fischer befürchtet, dass Gartenflächen in Zukunft womöglich zerstört werden, um Platz für städtebaulich vorgeschriebene Ausgleichsflächen zu schaffen. „Dabei sind Gartenflächen wunderbare Ausgleichsflächen“, sagt sie. Teure Parkanlagen brauche man da nicht. „Lieber ein riesiges Brombeergebüsch als englischer Rasen, der von der Stadt gepflegt wird“, sagt sie. Davon profitiere auch die Artenvielfalt.

Wer an Urban Gardening interessiert ist, kann sich darüber bei Umweltverbänden informieren. Auf den Internetseiten von Projekten wie auf dem Lucie-Flechtmann-Platz gibt es Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. „Oder man spricht einfach jemanden an, der gerade seinen Grünstreifen pflegt“, empfiehlt die Aktivistin.