rauchen unter der Abzugshaube und Kaninchen im Garten
: Fatma freut sich

Foto: privat

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Ihr Dorf auf West Møn ist ja noch schlimmer als unseres auf Ost Møn“, sagte mein Mann neulich, und redete mir damit nach dem Mund.

Ihr Mann hat sich in der Zwischenzeit einen Taubenschlag in den Garten gestellt, Kaninchen in den Garten gesetzt für die Kinder und bei seinen Zigaretten vor der Abzugshaube guckt er stolz auf die anderthalb Hühner, die den Kaninchen die Essensreste aus der Pizzeria abspenstig machen. Denn das hat er auch: ein ramponiertes Auto und einen Job in der Pizzeria.

Und daher muss er sich nicht tagtäglich das Elend jenseits der Abzugshaube mit angucken: die menschenleeren Häuser an der befahrenen Straße, den regnerischen Matsch, der sich als sein Garten ausgibt. Er muss am Wochenende die Kämpfe nicht führen: ums iPad, um den besten Freund der Kinder, der die Kinder in die Ecken drängt und nach ein paar Stunden genauso matschig aussehen lässt wie der Regen den Garten.

Er denkt, er hätte seine Pflicht getan, mit den Kaninchen für die Kinder: genauso weiß wie der Hund, den die Älteste sich eigentlich wünscht und der laut Mietvertrag verboten ist. Jeden Abend weint sie sich in den Armen der Mutter in den Schlaf. „Pubertät“ schreibt Fatma ins Übersetzungstool, denn obgleich ihr Dänisch so gut geworden ist in der letzten Zeit, für sowas braucht sie es trotzdem noch.

Und ich empfehle ihr, sich auf die Möglichkeiten zu konzentrieren. Ihre Familie fehlt ihr. Und da der Krieg praktischerweise ihre sechs Geschwister nicht nur in die Nachbarstaaten, sondern auch in sämtliche europäische Länder zerstreut hat, suchen wir nach Tickets. Zunächst in die Türkei, zu der Schwester, die ihr am nächsten steht. Aber im Sommer sind die Tickets unerschwinglich.

Und dann fällt ihr ihre älteste Schwester in Österreich ein. „Du wirst es hier lieben“, sagte sie ihr per Whats-App, „es ist hier so warm wie in Syrien und Berge haben wir hier auch.“ Und zehn Telefonate später, 20 SMS, ein Anruf in die Ausländerbehörde und einen Gang zu ihrer Sachbearbeiterin später, kaufen wir tatsächlich das Ticket. Bei der Deutschen Bahn.

Es ist so billig, dass ich gegen ihren Mann die Wette um ein Mittagessen gewinne. Wir essen Huhn und Bulgur, und ihr Mann raucht wieder unter der Abzugshaube.

„13 Stunden! Die Kinder gehen verloren. Die überleben das nie. Das schafft Fatma doch nie im Leben. Warum fliegst du nicht gleich in die Türkei!“ und: „Und sag mal: Weißt du wo ich ein paar Enten und Gänse herholen kann?“

Er guckt wieder in seine Gartenmenangerie. „Du bereitest dich wohl darauf vor, Fatma los zu sein? Sie schnell mit ein paar Gänsen ersetzen?“ – Endlich, nach zwei Jahren haben wir die Sprache für sowas.

Und er dampft ab, in die Pizzeria. Fatma freut sich. „Und die Gemeinde hat ja gesagt?“, frage ich. Und: „Konzentrier dich auf das Positive.“ Als ich höre, dass sie ihr die Leistungen für die zehn abwesenden Tage gestrichen haben.

Obgleich zu dem Zeitpunkt Ferien sind und sowieso weder Praktikum oder Schule. „Die Sätze sind ja eh so gering, dass zehn Tage Leistung mehr oder weniger sowieso keinen Unterschied machen.“

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle.