Für die Hamas stehen jetzt alle Türen offen

GAZASTREIFEN Die israelische Regierung kann ihre militärische Überlegenheit auch diesmal nicht in einen politischen Erfolg ummünzen. Die politischen Sieger dieses Krieges sind Hamas und die Muslimbrüder

Die Politik der politischen Isolation der Hamas, wie sie Israel, Europa und die USA fahren, ist gescheitert

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Im Gaza-Konflikt schweigen die Waffen. Doch die Menschen in Gaza stehen erst mal als die Verlierer der letzten acht blutigen Tage da. Wieder stehen sie vor ihren Ruinen und zählen ihre Toten. Die anderen Verlierer sind die Israelis, die in den letzten Tagen im Feuer der Raketen aus Gaza gelebt haben oder die in Tel Aviv zum falschen Zeitpunkt in den falschen Bus gestiegen sind.

Wieder einmal hat es sich gezeigt, dass man ein internes Kräfteverhältnis nicht von außen militärisch verschieben kann, trotz aller Erfolgsmeldungen der israelischen Armee über die vermeintlich zerstörte Infrastruktur der Hamas. Die militärische Überlegenheit lässt sich auch diesmal nicht in einen politischen Erfolg ummünzen. Das war im Libanonkrieg 2006 so, aus dem die Hisbollah gestärkt hervorging. Und das war beim letzten Gazakrieg 2009 so, als die Hamas aus der Asche und den Ruinen Gazas mit mehr Selbstbewusstsein konkurrenzlos hervorging. Es ist anscheinend eine Lektion, die man in Israel, das so stolz auf die unangefochtene Stärke seines Militärs ist, nicht lernen will.

Vor allem regional geht die Hamas als großer Sieger vom Platz. Die Politik der politischen Isolation der Hamas, wie ihn Israel, Europa und die USA seit dem Hamas-Wahlsieg gefahren haben, ist gescheitert. Die beiden großen Regionalstaaten, Ägypten und die Türkei, stellen sich hinter die Hamas. Die Außenminister der Arabischen Liga haben Hamas-Premier Hanijeh sogar unter israelischem Feuer ihre Aufwartung gemacht. Noch nie war die Hamas in der offiziellen arabischen Welt so eingebettet wie heute.

Und alle Welt spricht mit ihr, mindestens indirekt. Da mag der deutsche Außenminister Guido Westerwelle noch so oft betonen, dass man nicht direkt mit der Hamas in Kontakt stehe. Da mag die Hamas auf noch so vielen „Terroristenlisten“ stehen. Der einzige Grund, warum Westerwelle und auch seine US-Amtskollegin Hillary Clinton nach Ägypten reisten, war die Kontaktsuche zur Hamas. Ägypten und der von der Muslimbruderschaft kommende Präsident Mohammed Mursi ist für sie Gold wert, nicht weil er ein ehrlicher Makler ist. Ägyptens Sympathien für die Palästinenser in Gaza liegen offen auf dem Tisch. Ägypten ist wichtig, weil es Zugang und Einfluss auf die Hamas hat. Ehrliche Makler gab es im Nahen Osten nie. Auch die Vermittlerrolle der USA entsprang immer nur der Tatsache, dass Washington Einfluss auf Israel hatte. An eine amerikanische Neutralität hat nie jemand ernsthaft geglaubt.

Das bisherige „Vermittlermonopol“ der USA hat nun mit der Achse Kairo–Ankara Konkurrenz bekommen. Diese Achse hat Hamas zum diplomatischen Partner gemacht. Mit dem Waffenstillstandabkommen ist die seit Jahren andauernde Blockade von 1,6 Millionen Palästinensern im Gazastreifen zum internationalen Thema geworden.

Laut Waffenstillstandsabkommen sollen nun Erleichterungen im Güter- und im Reiseverkehr vereinbart werden: „mehr Güter über Israel und Ägypten, Reiseerleichterungen über Ägypten“. Das hätte eine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen in Gaza zur Folge. Es ist vor allem Ägypten, das die Rolle der Hamas von einer militanten Organisation zu einer politischen Partei verschiebt. Es ist andererseits die Rolle der Vereinigten Staaten und Europas, Israel zu einem endgültigen Ende der Gaza-Blockade zu bewegen.

Dabei reicht es nicht mehr aus, lediglich dem üblichen europäischen Reflex zu folgen und Geld in den Gazastreifen zu schütten, weil man das, wie bisher, als billiger ansieht, als Israel ein Ende der Blockade abzuringen. Die Lösung ist nicht, im Freiluftgefängnis Gaza mit europäischem Geld die Haftbedingungen zu verbessern.

Das Waffenstillstandsabkommen ist auch ein Aufruf an die USA und Europa, von Israel die längst überfällige Öffnung des Gazastreifens zu fordern – im Interesse aller. Das Kalkül ist simpel: Palästinenser im Gazastreifen, die ihr Leben aufbauen, haben kein Interesse, Raketen auf Israel abzuschießen.