zwischen den rillen
: Mehr Footwork, weniger Deutschpop

Der Ringer: „Soft Kill“ (Staatsakt/Caroline International/Universal)

Betritt man dieser Tage einen Plattenladen und sieht ein LP-Cover, das irgendwie gar nicht so passen mag zu seinen Nachbarn im Regal oder in der Auslage, dann könnte es sich um „Soft Kill“ von der Band Der Ringer handeln. Darauf ist ein schlafender junger Mann abgebildet, in einer sterilen Welt, das Gesicht für den morgigen Tag fit gehalten – mit einer Kühlmaske, wie sie auch in Bret Easton Ellis’Roman „American Psycho“ (1991) eine Rolle spielt. Gleichwohl die Musik von Der Ringer auf dem Album beim ersten Hören eher an den scheinbar unendlichen Achtziger-Jahre-Flashback (inklusive Post-Punk, Indie und Grunge) erinnert und Cocteau Twins oder The Cure als Referenzen kennt, verweist das Cover sehr genau auf die Welt, in der sich die fünf Hamburger aufhalten.

Die Band bewohnt das Hier und Jetzt – mit all seinen Folgen. Pop zum Beispiel begegnet man nicht euphorisch oder zynisch, sondern in seiner allumfänglichen Durchflutung des Alltags. So wie es weltweit eben zurzeit überall exerziert wird. Und nicht etwa nur in Deutschland. Deswegen lehnt man konsequenterweise schon von vornherein die Zuschreibung „Deutschpop“ ab. „Wie kann man sich in Zeiten des Internets und seiner unendlichen Möglichkeiten zu kommunizieren nur eingrenzen? Wir machen moderne Popmusik.“

Was bei vielen Bands wie ein Marketing-Statement der stumpferen Art wirkt, scheint dem hanseatischen Quintett ernst zu sein. Die Selbstverortung ist dabei nicht bloßes Abgrenzen gegenüber den „verklebten Szenen“, die dann Schubladen-Namen wie New Stuttgart oder Neue Hamburger Schule verpasst bekommen. Nein, das wird fest geglaubt von der Band selbst. Man interessiert sich im Hause eher für Trap à la Yung Lean, Footwork-Sound aus Chicago, den Brit-Prankster Dean Blunt oder doch gleich ­Kanye West – und all die anderen Superstars, die aus guten Gründen nicht aus Deutschland kommen. „Hier hat man einen Diskurs verpasst, der alle Musiker bremst. Sei in Deutschland erfolgreich, mehr kannst du gar nicht schaffen, bekommt man dann vorgehalten.“

Dieser Selbstaufgabe stellt sich Der Ringer mit dem Album „Soft Kill“ selbstbewusst entgegen. Geschichten, Gefühle, Storys, Emotionen stehen im Vordergrund – alle Mittel scheinen erlaubt. „Orbit“, der Auftaktsong, ist zum Beispiel eine Geschichte über zwei Flugobjekte, Planeten, Trabanten, die sich im Weltall umeinander drehen müssen. Der Schwerkraft wegen. Fragen nach Sinn, nach der Freiheit und danach, seine Wege selbst zu wählen, aber auch nach einem Schöpfer werden im Songtext aufgerufen. Große Hoffnungen, sich irgendwann zu treffen und eine Beziehung einzugehen, sind zum Scheitern verurteilt.

Geschichten, Gefühle, Storys, Emotionen stehen im Vordergrund – alle Mittel scheinen erlaubt

Musikalisch ist das weit mehr als nur ein schnöder Indierocksong. Schon durch seine gesangliche Verfremdung (Autotune liegt auf der Stimme!) passt er nicht ganz in das Spektrum der jungen Gitarrenbands. Auch in den anderen Songs nehmen die fünf Musiker vom Ringer Haltungen, Positionen und Rollen ein, die alle auf einen nicht-identitären Ansatz hinauslaufen. Musikalische und textliche Begebenheiten wirken bei Der Ringer nie als Ausformung eines originären Gedankens, sondern stellen stets affirmative „Now!“-Realität dar. Der Ausbruch aus Simon Reynolds oft bemühter „Retromania“-Theorie wird erfolgreich geprobt.

Wer „Soft Kill“ kauft, wird selbst herausfinden, inwieweit das der Band gelingt. Wir drücken die Daumen! Lars Fleischmann