NSA

Fast drei Jahre läuft der Untersuchungsausschuss zur Spionageaffäre. Als letzte Zeugin wurde nun die Bundeskanzlerin aufgerufen

„Keinerlei Anlass, keinerlei Kenntnis“

Aussage Was wusste die Kanzlerin über das BND-Vorgehen? Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss gibt sich Merkel zugeknöpft

BERLIN taz | Mein Name ist Kasner und ich weiß von nichts. Das sagt Angela Merkel, sinngemäß, am Donnerstag als Zeugin im NSA-Untersuchungsausschuss. Dass der Bundesnachrichtendienst (BND) rechtswidrige, oder zumindest rechtlich äußerst fragliche Suchkriterien verwendet hat? Dass deutsche Agenten im Auftrag des amerikanischen Geheimdienste NSA spionierten? Dass der BND die Regierungen von Partnerstaaten ausgespäht hat? Das alles, beteuert die Bundeskanzlerin, habe sie erst im Nachhinein erfahren.

„Wie war das denn so, als die Enthüllungen von Edward Snowden in der Presse waren? Hatten Sie das Gefühl, da brechen Breaking News über Sie herein?“, fragt der Ausschusschef und CDU-Kollege Patrick Sensburg als Erstes. Mit höflich versteinerter Miene und einem Stapel Papier unter den gefalteten Händen antwortet Merkel: „Wenn Sie schon nach Gefühlen fragen, was ja nicht der Gegenstand des Ausschusses ist: Ich habe mich gefühlt wie nach dem Parteispendenskandal.“

Der Vergleich ist gut gewählt: Seit Helmut Kohl sich zum Parteispendenskandal ausschwieg, war kein Regierungschef mehr im Untersuchungsausschuss geladen – bis zum Donnerstag.

Im Sommer 2013 war durch Snowden bekannt geworden, wie umfassend die NSA auch in Deutschland Telefonate abhört. Der Bundestag hatte den Ausschuss im März 2014 eingesetzt, um die Affäre zu untersuchen. Stattdessen deckte er die dubiosen Praktiken des BND auf. Die Bundestagsabgeordneten im Ausschuss versuchen seit über drei Jahren herauszufinden, was der BND eigentlich macht. Mehr als 100 Zeugen haben sie verhört, rund 2.000 Akten ausgewertet. Als letzte Zeugin wird die Kanzlerin aufgerufen: Angela Merkel, die bei der Aufnahme ihrer Personalien ihren Mädchennamen – Kasner – angibt.

„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“, hatte die Kanzlerin im Sommer 2013 gesagt, als bekannt wurde, dass sogar ihr Handy angezapft wurde. Der Satz sei „spontan“ gewesen, habe ihre „politische Überzeugung“ und ihr Werteverständnis wiedergegeben, erklärt sie nun dem Ausschuss. Sie habe ihn als Kritik am amerikanischen Geheimdienst NSA geäußert und sei damals völlig überzeugt gewesen, dass aus Deutschland keine „Freunde“, also EU- und Nato-Partnerstaaten abgehört würden. „Ich hatte keinerlei Anlass oder Kenntnis, dass der Satz nicht eingehalten wurde“, sagt Merkel. Sie hatte die Formulierung 2013 mehrfach verwendet, als nach und nach Snowdens Enthüllungen ans Licht kamen.

Im Oktober 2014 scheint sie damit beim BND eine Art Kettenreaktion ausgelöst zu haben: Acht Tage, nachdem die Kanzlerin den Satz geäußert hatte, löschte der Dienst fieberhaft eine Reihe von Selektoren, also Suchkriterien anhand derer Datensätze gefiltert werden, um so bei gezielter Spionage zu helfen. Das Löschen ordnete Ronald Pofalla an, der damals Kanzleramtsminister und für die Geheimdienste verantwortlich war. Laut Christian Flisek, SPD-Obmann im Ausschuss, war die zeitliche Abfolge kein Zufall.

Merkel besteht darauf, dass sie den Mitarbeitern vertraut und von den Selektoren erst im März 2015 erfahren habe. Da war schon Peter Altmaier Kanzleramtsminister. Er habe nichts von den rechtswidrigen Suchkriterien gewusst. Als der BND ihn im März 2015 informierte, sei Altmaier sofort zur Kanzlerin gegangen. Dass die dubiosen Selektorenlisten jahrelang verwendet wurden – „das fällt unter organisatorisches Defizit. Oder technisches. Kann ich nicht beurteilen“, so die lapidare Bewertung der Kanzlerin.

Sie habe sich nicht im Detail mit den Selektoren beschäftigt, sondern ihren Kanzleramtsminister „ermutigt“, sich um die Sache zu kümmern, sagt Merkel. Die Linkspartei-Obfrau Martina Renner reagiert mit authentischem Entsetzen: „Sie haben bestimmt wenig Zeit. Aber ich empfehle Ihnen dringend, sich mal mit den Selektoren auseinanderzusetzen.“

Da mache sie sich gar keine Sorgen, erklärte Merkel. Schließlich sei das BND-Gesetz überarbeitet worden und der Untersuchungsausschuss mache in seinem Abschlussbericht im Sommer sicher noch hilfreiche Vorschläge. „Ich bin hoffnungsvoll, dass die Dinge sich so nicht wiederholen werden.“ Und später sagt die Kanzlerin noch, sie sei ganz sicher, „dass wir heute einen vollständigen Überblick haben“. Jana Anzlinger