Neue Chefredaktion des „Freitag“: Ein Neuer unter Todenhöfer

Jakob Augstein zieht sich aus der Chefredaktion des „Freitag“ zurück. Nachfolger wird Christian Füller, einst taz-Bildungsredakteur.

Mann mit Mikrophon in der Hand

Christian Füller bei einer Veranstaltung der Boell-Stiftung Foto: Stephan Röhl/Boell-Stiftung (CC2.0)

BERLIN taz | Mit Jakob Augsteins Übernahme des Freitags im Jahr 2008 wurde das Wochenblatt als das ausgewiesen, was es von Anbeginn war: ein, und nach dem eigenen Selbstverständnis sogar „das Meinungsmedium“. Der Sohn des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein krempelte das gediegen-melancholisch stimmende Blatt des linken ostdeutschen (und DKP-nahen) Bildungsbürgertums gründlich um. Mit ihm wurde aus dem alten Kulturwehmutsblatt im Zeichen einer nie zuwege gebrachten Volksfrontidee aller „fortschrittlichen Kräfte“ eine Zeitung mit aktuellen Fragestellungen.

Die Auflage sank zwar stetig weiter, aber das war nichts Besonderes, weil das Internet schon damals aktuell orientierte Medien kriseln ließ. Die Zeitung verkaufte im vierten Quartal 2016 im Durchschnitt 21.597 Exemplare – das entspräche, so der Medienbranchendienst meedia, einem Plus von 12,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Jetzt hat Augstein, der dem Vernehmen nach seinen Erwerb mithilfe der Tantiemen als Spiegel-Miteigentümer am Leben hält, nach dem früheren Burda-Medienmanager und CDU-Politiker Jürgen Toden­höfer binnen weniger Wochen eine zweite Figur mit stark populärem Profil an Bord geholt. Ende voriger Woche wurde die Bestallung des Chefredakteurpostens bekannt. Für Philip Grassmann, der ins familiäre Independent-Kino­unternehmen Abaton in Hamburg eintritt, kommt im März Christian Füller. Er war bis 2013 Bildungsredakteur der taz.

Christian Füller, Jahrgang 1963, hat sich freilich nicht nur als Bildungsexperte einen Namen gemacht – 2013 war er es hauptsächlich, der der grünen Partei eine tiefe Verbundenheit zur Bagatellisierung pädosexueller Politiken attestierte: Was als These umstritten war und blieb – aber die Grünen Wählerstimmen kostete.

Die „anonymen Miserablen“

Freitag-Autor ist Füller bereits seit Längerem. Wie aber wird sich das Blatt mit ihm als Chefredakteur in Zukunft politisch verorten? „Der Freitag ist links, aber das bedeutet nicht das gleiche wie früher“, sagt Füller und führt weiter aus: „Begriffe wie Solidarität und Emanzipation gelten weiter – und dass wir die Ausbeutung durch das Kapital überwinden müssen. Aber wir müssen noch genauer hinschauen: Wie leben die anonymen Miserablen, die Rentner, die Soloselbständigen und die neuen Prekären? Ihnen wieder Gesicht und Würde zu geben, ist unsere Aufgabe.“

Links – das ist ein feines Attribut. Die taz versteht sich auch als links. Was also kann der Unterschied zu der Wochenzeitung sein? Füller sagt: „Der Freitag ist offener, ist nicht so eng, wie die taz oft ist – wo man zum Beispiel die Grünen nicht hart anfassen darf. So etwas wäre im Freitag, wo praktisch jeder über die Onlinecommunity an der Zeitung mitschreiben kann, nicht denkbar.“ Diesen Forumscharakter wolle Füller mit „überraschenden AutorInnen“ auf das ganze Blatt ausweiten.

Christian Füller

„Wir bauen auf die Popularität des neuen Herausgebers“

Nun ist mit Jürgen Todenhöfer jüngst ein Herausgeber zu Jakob Augstein hinzugetreten – seine Haltungen zur Israelfrage (zum Gazastreifen schrieb er etwa: „Die Gazaner leben im weltgrößten Konzentrationslager“), zu 9/11 oder zur Frage des Genozids an den Armeniern in der Türkei betreffend: ein umstrittener Mann. Die Frage ist, welche Bedeutung er für die redaktionelle Arbeit im Freitag hat.

Füller sagt: „Jürgen Todenhöfer wird gewiss Texte schreiben, aber die Entscheidung, was ins Blatt kommt, trifft selbstverständlich die Redaktion. Seine ablehnende Haltung zum Irakkrieg und seine Kritik am amerikanisch-arabischen Desaster finden übrigens die allermeisten plausibel, auch in der Gesellschaft. Wir bauen auf die Popularität des neuen Herausgebers in den sozialen Medien – die Hunderttausende Follow­er von ihm und Jakob Augstein sind für den Freitag wichtig.“

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