Landshut
: Hier wird nicht mehr getanzt

von Judith Schacht

Landshut, größte Stadt Niederbayerns mit fast 70.000 Menschen. Schön, reich und aufgeräumt ist sie. An der Isar reihen sich die Häuser wie Perlen nebeneinander auf: rot, gelb, grün. Die Fassaden noch so wie zu Herzogszeiten. Unten am Boden Kopfsteinpflaster, oben am Horizont die alte Ritterburg. „Wie „g’schleckt“, sagen die Leute. Es ist Schönheit, der man die Mühe ansieht. Nur: In Landshut tanzt man nicht mehr.

Eine Holztür mit Messing in einem der kulissenhaften Häuser. Dahinter ein Raum, zugig und kalt. Er quillt über von Zigarettenrauch und Kisten mit Wein, mit Gin. Ein paar Holzstühle stehen dazwischen. Auf denen sitzen ein paar Männer, rauchend. „Wie tot ist Landshut“, sagt Alexander Saponjic und zieht an der Zigarette. Er hat einen schwarzen Anzug an, mit glänzendem Kragen. Er ist Anwalt. Tagsüber. Nachts gehört ihm und seinem Partner das Flux. Da kann man in Landshut noch tanzen. Noch. Im Trixi Schneider auch, im Beat-Schuppen ab und zu. „Für dieses Jahr haben wir die Konzession bekommen. Wie es nächstes Jahr ist, weiß niemand“, sagt Saponjic. Es brauche sich nur einer beschweren wegen Lärm. Jemand beschwere sich immer. Tanzen und Feiern sei laut. Neue Leute, solche mit Geld, seien nach Landshut gezogen, Bars und Clubs sind gewichen. Das war nicht immer so.

Szenenwechsel: ein Café in der Altstadt. Ludwig Huber sitzt dort, ein echter Landshuter. Ende fünfzig, das schwarze Haar nur von wenigen grauen Strähnen durchzogen. „Landshut – das war Freiheit für mich.“ Ein Blitzen in seinen Augen, nur kurz. Er merkt: Die Freiheit ist abhanden gekommen. „Da drüben, in dem weißen Haus, habe ich meine Lehre gemacht“, erzählt er, „und nebenan, im gelben, war früher das Bistro“. Dort hat er, als er fünfzehn war, darauf gewartet, dass das Tanzen losgeht – zusammen mit den Freunden. „Eine Berliner Weisse haben wir bestellt und langsam getrunken.“ Um 13 Uhr machten damals am Samstag die Geschäfte zu, dann hatte er Feierabend. Aber erst um 16 Uhr hat der Jugendtanz angefangen. „Da haben wir draufhin gewartet.“

Abends kamen die Erwachsenen dazu. „Sogar von den Dörfern sind sie reingefahren.“ Gefeiert wurde überall, in Gastwirtschaften, in Sälen, in Discos. „Eins neben dem anderen. Hinter jeder Tür ein neues Abenteuer.“ Die Landshuter nahmen einander wahr, sahen sich an. Der Hut, die Krawatte, die Strenge der Arbeitswoche – alles wurde weich am Abend. „Man sah die Männer rauchend, mit aufgeknöpften Kragen“, sagt Huber. Man sah, wie sie Mädchen aufforderten und tanzten. Das hat den Alltag verändert. „Man sah in den Cafés die Geschichten der Stadt.“

Und heute? Er kann nichts mehr entziffern.

Getanzt haben damals alle. Ludwig Huber mochte den „Disco-Fox. Ich hab mir ein Mädchen ausgeschaut, Mut gesammelt und hab sie aufgefordert. Ich hab so lange mit ihr getanzt, bis ich sie hatte.“ So hat er die Mutter seiner Tochter kennengelernt. So ging das in den 70ern, 80ern und sogar noch in die 90er hinein. Und dann nichts mehr. Irgendwann wurde in Landshut nicht mehr getanzt.

Die Samstage in Landshut sind nun anders. Vor Huber steht eine Tasse Kaffee, 3,30 Euro kostet er, kein Bier. An seinem Arm trägt er eine Fitnessuhr mit GPS und Pulsmesser. „Die Gesundheit“, sagt er. Und die Leute, die um ihn herum sitzen, kennt er nicht. „Die kommen von überall her, nur zum Shoppen.“ Und wenn er es in den letzten Jahren mal wieder mit dem Ausgehen probiert hat, musste er um elf Uhr nach Hause. „Weil zugemacht wurde.“

Im Weinlager hinter der historischen Fassade hocken die rauchenden Männer immer noch. „Keiner erwartet mehr etwas von Landshut“, sagt Alexander Saponjic. Und Mario Schulz meint: „Studenten fahren am Wochenende heim oder woanders hin.“ Schulz trägt Nasenpiercing und Hut. Er ist jung, eben vierundzwanzig geworden. Er hat eine Aktion gestartet auf Facebook: „Make Landshut Great Again“. Auch wenn es ein Trump-Slogan ist, hatte er gleich 2.000 Likes. Viele Landshuter sind unzufrieden. Womit genau, fragte er und hat 700 Antworten bekommen: „Zu wenig HipHop.“ „Zu wenig Techno.“ „Zu wenig, wo man tanzen kann.“

Saponjic vom Flux sagt: „Als wir bei uns HipHop hatten, ist keiner gekommen.“ Mario sagt: „Die Landshuter haben verlernt, wie man feiert.“ Weil sie so gut sind im Vernünftigsein. Trotzdem fasst die rauchende Runde im Hinterzimmer einen Beschluss: Sie wollen ein Event organisieren. Ein Versprechen, ein Deal: eine Party. Bei Alex vom Flux geht es los.

Ludwig Huber, der im Café vor seinem Kaffee sitzt, hat auch schon von „Make Landshut Great Again“ gehört. „G’schleckt war’s immer schon, aber Landshut kann mehr“, sagt er. „Ich bin dabei, wenn wieder was los ist.“