„Immer weniger Lust“

Die Oppositions-Chefin Karoline Linnert (Grüne) über Liebesentzug, die Chancen von Rot-Grün und Henning Scherfs (SPD) Neigung, die Bremer Realität zu verdrängen

taz: Anfang Oktober sollen die Haushalte für 2005 und 2006 beraten werden. Was bedeutet es, wenn unmittelbar zuvor der Regierungschef samt seinem Kanzleichef Reinhard Hoffmann, dem Herrn aller Zahlen, zurücktritt?

Karoline Linnert: Die große Koalition ist ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Sie ist ein Bündnis des großen Geldausgebens, gepaart mit einer enormen Realitäts-Verdrängungsleistung. Es gab bereits zwei Verschiebungen der Haushaltsberatung und ich gehe davon aus, dass Scherfs Rücktritt eine abermalige Verzögerung nach sich zieht. Der Senat bringt nichts mehr zu Stande, im Grunde ist die gesamte Legislaturperiode verplempert.

Wann hätte Scherf denn zurücktreten sollen? Nach dem Kanzlerbrief-Debakel?

In jedem Fall wäre ein Politikwechsel schon viel früher notwendig gewesen. Dass Scherf immer weniger Lust hatte zu regieren, konnte jeder sehen. Wahrscheinlich spielt jetzt die Erkenntnis eine Rolle, nicht mehr von allen ständig geliebt zu werden.

Gibt es etwas, dass Sie an Scherf schätzen?

Ja. Er hat es geschafft, durch seine große Nähe zu den Menschen ein sympathisches Bild von Politik zu vermitteln.

Macht Scherfs Rücktritt den Weg frei für Rot-Grün?

An uns würde es nicht liegen. Allerdings gehe ich davon aus, dass die SPD ihren Koalitionsvertrag einhält.

SPD und Grüne haben bereits jetzt 52 von 83 Stimmen und damit die Mehrheit in der Bürgerschaft. Haben Sie aktuell schon in diese Richtung sondiert?

Kein Kommentar.

Interview: Henning Bleyl