Platz da für die Gretchenfrage: Bauen oder nicht bauen? Eine Brache mit Blick hinein nach Berlin, die Elisabethaue in Pankow Foto: Jürgen Ritter/imago

Wohnungsbau? Igitt!

Stadtplanung Berlins Wohnungspolitik schützt vor allem die günstig Untergebrachten. Wer nicht dazu gehört, hat Pech.Ein Gastbeitrag von Roland Stimpel vom „Deutschen Architektenblatt“ zur Debatte um den Wohnungsbau in der Stadt

Von Roland Stimpel

Andrej Holm hat neulich im Freitag eine ganze Seite zur Berliner Wohnungspolitik schrei­ben dürfen. Am bemerkenswertesten an dem langen Text ist, was nicht drin steht: Holm hat kein einziges Wort darüber verloren, dass am Ende dieses Jahrzehnts in Berlin eine halbe Million Menschen mehr leben werden und wohnen wollen als am Anfang. Das sind so viele, als wenn mal eben ganz Bremen, Leipzig oder Nürnberg herzöge. Und das hört im Jahr 2020 nach allen Prognosen noch lange nicht auf.

Die Wohnungsknappheit trifft auch viele Ansässige, die umziehen wollen oder müssen. Sollen sie und die Zuzügler anständig unterkommen, dann hilft nur Neubau. Und zwar viel mehr als die momentan etwa 10.000 Wohnungen, die pro Jahr fertig werden. Wir brauchen Neubau in der Dimension eines dichten, sehr urbanen Bremen oder Nürnberg.

Theoretisch gibt es zwei Alternativen: Entweder wir rücken enger zusammen. Freiwillig tun wir das allerdings nicht, sonst hätten Syrer nie in die Turnhallen gemusst. Unfreiwilliges Zusammenrücken mögen wir auch nicht so, etwa die Zuweisung von Syrern oder Stuttgartern durchs Wohnungsamt. Die zweite Alternative: Wir lassen die Leute nicht rein. Aber wer das ernsthaft wollte, der müsste Michael Müller durch einen märkischen Donald Trump ersetzen, der eine Mauer baut (diesmal um die ganze Stadt) und jeden abweist, der zu bleiben droht.

Nicht nur Andrej Holm, sondern auch der weiterhin von ihm inspirierte Senat und wohnungspolitisch Bewegte wie die Initiative Mietenvolksentscheid haben aber eine andere Priorität als das Bauen von Wohnungen: Sie wollen vor allem die Mieten derer dämpfen, die schon da sind und nicht umziehen. Die aber wohnen nach wie vor oft nicht teuer: 2015 zahlten Berliner Haushalte laut Mietspiegel im Mittel 5,84 Euro pro Quadratmeter.

Natürlich muss man dafür sorgen, dass das sozialverträgliche Niveau für die Ärmeren erhalten bleibt. Aber in Berlin sollen und wollen es alle billig haben, ob sie von Hartz IV leben oder vom Hochschulgehalt. Und sie wollen vom Andrang der anderen verschont bleiben. Die in der Stadt vorherrschende Haltung zum Neubau heißt: Ich wohne schon, und das muss reichen. Wichtig ist, dass mir die 6-Euro-Miete bleibt. Was interessieren mich die, die eine Wohnung suchen und sich um das spärliche Angebote schlagen müssen, für das im Mittel mehr als 9 Euro verlangt wird? (Die Mietpreisbremse ist Theorie – wirksam würde sie nur mit einer Wohnpolizei von stalinistischer Qualität.)

Wie viele Wohnungen insgesamt in Berlin pro Jahr neu gebaut werden sollen, hat Rot-Rot-Grün nicht in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die einzige konkrete Zahl betrifft den Neubau der sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Sie sollen 6.000 Wohnungen pro Jahr errichten. Insgesamt soll die Zahl der landeseigenen Wohnungen bis 2021 auf 355.000 steigen. Experten rechnen, dass Berlin angesichts des Bevölkerungszuwachses jährlich 20.000 Wohnungen braucht.

Der Neubau der landeseigenen Gesellschaften soll sich vor allem auf elf Standorte konzentrieren, die im Koalitionsvertrag genannt sind. Sie befinden sich im Blankenburger Süden, in Buch und auf den Buckower Feldern, in der Wasserstadt Oberhavel, Gartenfeld, der Europacity/Lehrter Straße. Die Standorte Michelangelostraße und Schumacher-Quartier sollen als ökologisch-soziale Modellquartiere für ökologischen Neubau, Nutzungsmischung und innovative Mobilitätskonzepte entwickelt werden. Dazu kommen die Stadtquartiere Johannisthal/Adlershof, Köpenick und Lichterfelde Süd.

Während die Wohnungsbaugesellschaften bislang oft nach dem § 34 des Baugesetzbuchs bauten, der es erlaubt, ähnlich wie in der unmittelbaren Umgebung zu bauen, sollen die künftigen Vorhaben einem Bebauungsplanverfahren unterzogen werden. Für Rot-Rot-Grün ist das auch der geplanten Ausweitung der Bürgerbeteiligung in diesem Bereich geschuldet. Im Vertrag heißt es da unter anderem: „Öffentliche Unternehmen und Träger führen bei Bauvorhaben eine angemessene Bürger*innenbeteiligung durch.“ (wera)

Wehe, es wird konkret

Von Neubau insgesamt und allgemein reden zwar Koalitionsvertrag und Bausenatorin Katrin Lompscher auch viel. Aber wehe, es wird konkret. Dann stellen sich Vertreter der 6-Euro-Fraktion aufs Bauland und blockieren es. Symbolischer Gründungsakt dieser Art Wohnungspolitik war der Volksentscheid ums Tempelhofer Feld vor drei Jahren. Im Lichte jüngerer Ereignisse gibt es ein passendes Wort dafür: Es war unser Texit. Geplant waren in Tempelhof 4.000 Wohnungen städtischer und genossenschaftlicher Unternehmen, aber wie 2016 in Großbritannien wirkte eine stark postfaktische Kampagne. Von drohender Total­bebauung war die Rede, vom Raub des Areals durch Spekulanten, von einem bald ruinierten Stadtklima und sogar davon, dass wir doch eigentlich gar keine neuen Wohnungen bräuchten.

So etwas wirkt nur, wenn der mentale Boden schon bereitet ist. In England wie in Berlin war und ist das der weit verbreitete Wunsch, auf der heimatlichen Insel den Lauf der Welt anzuhalten – ein Wunsch, der ja nicht auf politisch rechts Stehende beschränkt ist. Berlin soll wenigstens auf den vier Quadratkilometern bis auf Weiteres nicht zur normalen europäischen Metropole werden mit viel Zuzug, neuen Jobs, Enge und neuen Häusern. All das bleibt wenigstens dem Feld erspart, und Texit wie Brexit halten die Illusion am Leben: Stillstand ist möglich, man muss ihn nur wollen.

Der Koalitionsvertrag von R2G weitet das Texit-Prinzip auf die Gesamtstadt aus. In den Verhandlungen starb auf Drängen von Grünen und Linken wiederum das aktuell größte Projekt für landeseigenen Sozial-Neubau, die Elisabethaue in Pankow. Hier waren auf öffentlichem Land 5.000 Wohnungen vorgesehen. Und während es in Tempelhof noch hieß, wir müssen gerade eine so zentrale Fläche freihalten, begründet Lompscher den Stopp in Pankow mit dem Gegenteil: Es gebe da keine U- oder S-Bahn; „die Elisabeth­aue läge dazwischen in der Landschaft“.

Entweder wir rücken enger zusammen. Oder: Wir lassen die Leute nicht rein

Zwar stehen im Koalitionsvertrag elf größere Wohnbaugebiete. Aber vor allem steht dort ganz viel, das dort und anderswo die Welt so starr halten soll wie in Tempelhof. Erstens kann jetzt jedes Bezirks-Bürgerbegehren ein Projekt stoppen, was bisher bei „gesamtstädtischem Interesse“ nicht ging. Zweitens ist alles Mögliche separat geschützt. „Kleingärten werden dauerhaft gesichert“, Luftschneisen, Pflanzen und Tiere natürlich auch. Der Denkmalschutz ist vom Bau- zum Kultursenat gewandert, der bei Konflikten mit Bauplänen nichts abwägen muss. Nicht nur östlich vom Alex droht Komplett-Baustopp.

In engen Fesseln

Die engsten Fesseln legt die Koalition ausgerechnet den sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften an. Von ihnen verlangt der Koalitionsvertrag „eine umfassende Beteiligung von Anwohner*innen bei Bauprojekten“. Im Klartext: Wer bei der Stadt sicher und sozial untergebracht ist, der darf seinen Blick auf Parkplatz und Wiese schützen. In diesem Sinn rüffelte Katrin Lompscher in ihrer ersten öffentlichen Handlung als Senatorin das städtische Unternehmen WBM. Denn das trieb sozial gedachte Neubauprojekte in Friedrichshain gar zu stürmisch voran, was dort potenziellen Lompscher-Wählern gar nicht passte. Demontiert ist auch das städtische Projekt Fischerinsel. Parallel wird die Michelangelostraße kleingekocht: 2.700 Wohnungen waren dort mal geplant, momentan sind es noch 1.500, und auch davon werden die beiden Bürgerinitiativen aus der Nachbarschaft noch einiges tilgen.

Opfer sind, wie bei jedem Stillstand, vor allem die Ärmeren: Kommen sie neu in die Stadt, finden sie vielleicht noch zu fünft eine Marzahner oder Reinickendorfer Zweiraumwohnung, oder wir legen sie im Flüchtlingslager ab. Ärmere, die schon hier leben, können den Umzug in eine passende Familien- oder Rentnerwohnung vergessen.

Roland Stimpel

Foto: privat

geboren 1957 in Göttingen, ist gelernter Stadtplaner und war unter anderem Redakteur der Bauwelt. Seit 2007 ist Stimpel Chefredakteur des Deutschen Architektenblatts.

Mehr Chancen haben die Neu-Berliner und Umzugswilligen mit mehr Geld. Sie nehmen entweder bestehende Wohnungen, die dann für Ärmere noch knapper sind. Aber auch der Mittelschicht-Markt in der inneren Stadt ist leer. Viele andere gehen darum an den Rand oder darüber hinaus.

Es wird ja durchaus gebaut – im „Auenflügel“ oder in Potsdam-Golm „Am großen Herzberg“ entstehen Reihenhäuser en masse. Da ziehen auch viele Mittelschichtler hin, die eigentlich lieber weiter drinnen wohnen wollen. Da draußen wird Landschaft zugebaut, es werden Jägerzäune gezogen, und um in die Stadt zu kommen, steigt man in die volle Regionalbahn oder ins Auto – obwohl man viel lieber in der Stadt radfahren würde.

Unstädtisch, unökologisch und sozial egal – so sieht der Wohnungsbau aus, den wir mit unserer Texit-Blockade befördern.