Die etwas andere Demonstration

SpanienIn Barcelona gehen Hunderttausende für die Aufnahme von Flüchtlingen auf die Straße

MADRID taz | Unter dem Motto „Schluss mit den Ausrede, nehmen wir sie jetzt auf!“ zog am Samstag eine riesige Menschenmenge durch Barcelona. Nach Angaben der Polizei waren 160.000 Menschen gekommen, um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zu fordern. Die Veranstalter sprachen gar von 300.000 bis einer halben Million.

In Zeiten der Debatten über Mauern und Ausländerfeindlichkeit in Europa richteten sich die Demonstranten gegen die zögerliche Flüchtlingsaufnahme durch Spanien und gegen die Abschottungspolitik der Europäischen Union. Beide müssten endlich ihrer Verpflichtung nachkommen, notleidenden Menschen aus Konfliktregionen Zuflucht zu gewähren und eine Gesellschaft aufzubauen, die der Integration verpflichtet sei, forderten die Veranstalter. „EU-Gelder für Sozialprogramme statt Stacheldraht und Gummigeschosse!“ lautete eine andere Parole. Die konservative Regierung in Madrid hatte gegenüber der EU die Aufnahme von 18.000 Flüchtlingen zugesichert. Tatsächlich durften bisher nur 1.100 ins Land.

Die Bürgermeisterin von Barcelona und einstige Aktivistin gegen Wohnungszwangsräumungen, Ada Colau, nahm ebenfalls an der Demonstration teil. „Barcelona ist einmal mehr nicht nur die Hauptstadt Kataloniens, sondern die Hauptstadt der Solidarität, des Engagements, der Verteidigung der Menschenrechte und des Friedens“, erklärte Colau.

Viele Demonstranten schwenkten katalanische Unabhängigkeitsfahnen. Die Teilnehmer trugen meist blaue Kleidung und blaue Transparente, damit die Demonstration, die von der Innenstadt an den Stadtstrand zog, wie eine gewaltige Welle wirkte.

Damit wollten die Demonstranten daran erinnern, dass im Jahre 2016 laut Menschenrechtsgruppen mindestens 5.000 Flüchtlinge ums Leben gekommen sind. Zu der Großdemonstration hatte eine Bürgerinitiative mit dem Namen „Casa Nostra Casa Vostra“ (Mein Haus ist dein Haus) aufgerufen. Nach der Großdemonstration empfing der katalanische Autonomiepräsident Carles Puigdemont die Veranstalter in seinem Amtssitz.

Der in ganz Spanien für seine Interviews bekannte TV-Journalist Jordi Évole kritisierte die Autonomieregierung, die ihre Untätigkeit in Sachen Flüchtlinge immer wieder mit der fehlenden rechtliche Kompetenz Kataloniens entschuldigt. „Es ist nicht nur ein Problem der Kompetenz, sondern der Inkompetenz“, rief er unter tosendem Beifall. Reiner Wandler