Frauen als die besseren Menschen?

Drama Für ein Theater der Überwältigung ist Ulrich Rasche bekannt geworden. In Frankfurt lässt er Männerleiber und Frauenchöre aufeinanderprallen

Man kennt das von ihm: das Laufen und das Skandieren, die dunklen Bühnen, die Drehscheiben und Laufbänder, das unbarmherzige Licht, den Lärm, das Zuviel, die Wiederholung – Aufdringlichkeit als Stilprinzip. Ulrich Rasches Theater ist ein Theater der Penetranz. Am Münchner Residenztheater glückte dem Regisseur damit zum Spielzeitauftakt eine XXL-Version von Schillers „Räubern“, deren Überwältigungsfuror sich rasch herumgesprochen hat. Kanonpflege ­in ­Blockbuster-Manier.

Am Schauspiel Frankfurt stellte Rasche vor zwei Jahren die Schauspieler in „Dantons Tod“ auf riesigen nimmermüden Walzen aus. Jetzt hat er im dortigen Bockenheimer Depot ein Antikendoppel aus „Sieben gegen Theben“ und „Antigone“ zu einem dreistündigen Theaterabend vereint. Erzählt wird das Schicksal der von Ödipus mit der eigenen Mutter gezeugten Kinder Eteokles, Polyneikes, Antigone und Ismene. Im ersten Stück vernichten sich die beiden Brüder, die eigentlich abwechselnd regieren sollten.

Alexander Fehling, der zu Recht als Filmschauspieler berühmter ist denn als Theatermann, wagt sich dazu auf eine sich drehende schwarze Scheibe, die den Spielort markiert. Wobei von Spielen im herkömmlichen Sinne keine Rede sein kann. Fehling stößt als wächsern wirkender Eteokles mit schwerer Zunge Worte aus, zieht sie dabei in die Länge, als wollte er die Sätze in Slow Motion formulieren. Der überhöhte Ton: forciert und manieriert. Dazu bewegt er sich sachte in tänzelnden Kreuzschritten und erweckt dabei den Eindruck, als käme er geradewegs aus dem Power-Yoga-Studio. Wie man sich überhaupt an diesem Abend zuweilen so fühlt, als sei man in eine besonders abgefahrene Prêt-à-porter-Schau geraten.

Allerlei Boten und der Frauenchor der thebanischen Jungfrauen entern später die Scheibe. Die Männer sind mit Pech beschmiert und tragen Schwarz, die Frauen sind hell bepinselt und stecken in weißen Kleidern, als sollten Männer und Frauen hier zwei unterschiedliche Prinzipien verkörpern. Frauen als die reineren, besseren Menschen?

Antikriegsklage

Das von Ari Benjamin Meyer mit manipulativer Live-Musik eskortierte Stück gipfelt in einer alles überragenden Szene: Da stehen die Frauen dann dem Kriegsheer der Männerleiber, die sich auf Laufbändern tierischen Armeen gleich fortbewegen, im gleißenden Licht gegenüber; bloß noch getrennt von einer schwarzen Wand, die langsam herunterfährt, wobei die Frauen ohne Unterlass die Worte „Ihr Verrückten! Wehe!“ stampfen. Diese Antikriegsklage sorgt für den letzten und besten Moment vor der Pause, in dem die Kunstfertigkeit von Rasches Regie und der Aufmarsch der Maschinenmenschen ihren gemeinsamen Höhepunkt erleben.

„Antigone“ inszeniert er dann kurz und knackig, wobei sich das Stück seinem Stil besser unterordnet als das von Botenberichten beherrschte „Sieben gegen Theben“. Zwei Laufbänder, nicht ganz so bombastisch wie in München, stehen jetzt längs auf der Bühne. Auf dem vorderen des nur ein wenig in Schieflage gebrachten Laufbands setzen Bettina Hoppe als Antigone und Paula Hans als Ismene einen Fuß vor den anderen, wobei man ihnen die dafür nötige Anstrengung und Konzentration anzumerken meint. Alle anderen Darsteller bevölkern das hintere, ziemlich schräge und schnell in die andere Richtung laufende Band und sind zu ihrer Sicherheit angeleint.

Antigone widersetzt sich auch hier dem Gesetz ihres Onkels Kreon, der verfügt hat, nur Eteokles bestatten zu dürfen, nicht aber den Angreifer Polyneikes. Doch Rasche scheint sich weniger für Antigones Widerstand zu interessieren, als für den Beistand, den ihr ihre Schwester Ismene angedeihen lässt. Fulminant spielt sich Paula Hans dabei in die Rolle der ­Wütenden, während die Musik sich zu licht verherrlichenden Klängen aufschwingt, die sich beinahe freudig ihrem Schicksal ergeben.

Beim Schlussapplaus wirken die Schauspieler müde und abgekämpft. Nicht minder die Zuschauer, von denen so einige schon in der Pause das Weite suchten. Auch Rasche scheint sich diesmal eher müde selbst zu zitieren. Seinem neuen Abend mangelt es an Wahn und an Wucht. So marschiert er vergleichsweise lahm daher.

Shirin Sojitrawalla