Merkels Türkei-Besuch

Erdoğan will mit der Einführung eines Präsidialsystems seine Macht noch auszubauen. Am Donnerstag empfängt er die Kanzlerin

Abkehr vom Westen

Referendum Es geht um mehr als das Präsidialsystem: Erdoğan plant einen radikalen Kurswechsel

ISTANBUL taz | Anfang April wird in der Türkei abgestimmt. Das steht so gut wie fest. Wozu die Türken beim Referendum ja oder nein sagen sollen, ist dagegen nicht ganz so klar. Einige sind der Meinung, dass über Erdoğans Präsidentschaft abgestimmt wird, und im Prinzip ist das nicht falsch. Denn einerseits ermöglicht die angestrebte ­Verfassungsänderung ein Präsidialsystem, in dem es nur eine Person geben soll, die zum Ministerpräsidenten gewählt ­werden kann: Recep Tayyip Erdoğan.

Andererseits ist es zu einfach, das Referendum auf eine Person zu reduzieren. Erdoğan ist schon jetzt kein machtloser Präsident im Sinne des Bundespräsidenten. Er wird auch nicht wie der amerikanische Präsident vom Justizapparat oder dem Parlament kontrolliert. Er verhält sich eher wie der russische Präsident Putin. Wenn das Referendum eine Abstimmung wäre, um Erdoğan zum Ministerpräsidenten zu wählen, hätte er nicht so viel Krach und Diskussionen in Kauf nehmen müssen.

Die Mehrheit der AKP-Abgeordneten stimmt Erdoğans Worten und Wünschen zu, ohne auch nur die Notwendigkeit zu verspüren, deren Inhalt zu verstehen oder darüber zu diskutieren. Durch das Referendum wird der Status quo allenfalls verfassungsrechtlich legitimiert.

Sollte der Verfassungsänderung zugestimmt werden, geht es in der Türkei jenseits des Präsidialsystems um eine tiefgreifendere Veränderung – die radikalste Wende seit Gründung der türkischen Republik. Die AKP strebt ein oligarchisches System an. Darin ist der Staat eine über den Menschen stehende, gnadenlose und beschützende Macht. Diese Staatsidee ist in der Tradition des Nahen Ostens tief verwurzelt und mit der islamischen Weltanschauung durchaus vereinbar.

Doch warum so eine Wende? Die Antwort auf diese Frage findet sich in der Demokratie – genauer gesagt: in den westeuropäischen demokratischen Standards. Die Türkei hat vom letzten Jahrhundert des Osmanischen Reichs bis heute ihre politische Ausrichtung kaum verändert: Es ging immer gen Westen. Die Struktur des Staats, das Rechtssystem, das Bildungssystem und die Lebensweise hat sich 190 Jahre lang am „westlichen Modell“ orientiert. Für Erdoğan war die Demokratie jedoch schon immer ein Albtraum. Das Referendum im April ist für ihn ein Weg, sich dieses Problems zu entledigen. Aydın Engin