Şehitlik-Moschee: Neuer Vorstand: „Ich möchte keine Politisierung“

Süleyman Küçük studierte Geschichte in Berlin und Theologie in Saudi-Arabien und ist der neue Vorstand von Berlins größter und bekanntester Moschee.

Innenraum der Sehitlik-Moschee am Berliner Columbiadamm. Foto: DPA

taz: Herr Küçük, Sie sind seit einigen Wochen Vorstand der größten und bekanntesten Moschee von Berlin, die sich bislang vor allem durch ihre Offenheit für BesucherInnen ausgezeichnet hat. Was wollen Sie anders machen als der bisherige Moscheevorstand?

Süleyman Küçük: Mich unterscheidet von meinem Vorgänger Ender Çetin …

… der Erziehungswissenschaften und Politik studiert hat …

… zunächst mein Studium. Ich bin eher auf die philosophisch-theologische Schiene ausgerichtet und werde da meine Schwerpunkte setzen.

Was bedeutet das?

Ich werde mich vor allem um Austausch mit den Religionsgemeinschaften hier bemühen. Aber ich achte meinen Vorgänger sehr, er hat hier viele Projekte und Kooperationen aufgebaut, die wir auch weiterführen werden.

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion/Diyanet Işleri Türk Islam Birliği“ (Ditib) wurde 1984 in Köln gegründet. Der Name verweist auf die Verbundenheit mit der staatlichen Anstalt für religiöse Angelegenheiten der Türkei.

Die Ditib-Gründung war eine Reaktion der damals von laizistischen Parteien regierten Türkei auf das Erstarken der politisch-islamischen Milli-Görüş-Bewegung auch in Deutschland. Mit der Regierungsübernahme der islamisch orientierten AKP in der Türkei sind die einst klaren Grenzen zwischen Ditib und Milli Görüş aber verwischt. Vorsitzender der Ditib ist traditionell der Religionsattaché der türkischen Botschaft.

Die Ditib ist unter Druck, seit bekannt wurde, dass Imame ihrer Moscheen in Deutschland Gemeindemitglieder ausspioniert haben. Dem Berliner Ditib-Landesverband gehören 20 Moscheegemeinden an, auch die Şehitlik-Moschee am Neuköllner Columbiadamm.

Deren Vorstandsneuwahlen im Dezember standen im Verdacht, der Wechsel an der Spitze sei aus Ankara bestimmt worden. Dies wiesen der alte und neue Vorsitzende in einer gemeinsamen Presseerklärung zurück. Es habe sich um turnusgemäße Neuwahlen gehandelt. (akw)

Sie haben an der Freien Universität Berlin Islamwissenschaft und Neuere Geschichte und dann islamische Theologie in Saudi-Arabien studiert. Was bringt einen in Berlin geborenen Türkeistämmigen dazu, in Saudi-Arabien Theologie zu studieren?

Mich hat das Thema schon als Kind fasziniert hat. Ich hatte einen fürsorglichen und einfühlsamen Koranlehrer, bei dem ich lernte, den Koran zu lesen …

… auch bei der Ditib?

Ja. Mich haben die andere Sprache des Korans, die andere Schrift des Arabischen fasziniert. Ich habe mich schon während meiner Schulzeit mit religiösen Schriften beschäftigt, gemeinsam mit meinem Vater theologische Werke gelesen. Daher kam die Entscheidung für das Studium.

Ihr Vater war ein religiöser Mann?

Ja. Aber einer, der die heilige Schrift auch durchdachte und versucht hat, sie facettenreich auszulegen, zu interpretieren und zu reflektieren.

Wenn man an Saudi-Arabien denkt, fällt einem nicht unbedingt eine facettenreiche Auslegung des Islam ein.

Da haben Sie recht. Man musste dort schon viel auswendig lernen und in den Prüfungen einfach wiedergeben. Für mich war es aber auch eine Möglichkeit, einen tieferen Zugang in die Sprache der islamischen Primärliteratur zu bekommen.

Kann man also sagen, dass Sie als Theologe künftig mehr religiöse Themen in den Mittelpunkt der Moscheeaktivitäten stellen werden, während Ihr Vorgänger sich stärker um gesellschaftspolitische Themen gekümmert hat?

Nein, so würde ich das nicht sagen. Ich möchte beide Bereiche verbinden.

Herr Çetin hat in der Moscheegemeinde oft auch Kritik geerntet – wenn er etwa Homosexuelle in die Moschee eingeladen hat oder PolitikerInnen, die für die Armenienresolution des Deutschen Bundestags gestimmt haben. Wie werden Sie mit solchen Themen umgehen?

Ich verschließe mich grundsätzlich keiner Thematik. Damit würde ich ja nur eins äußern: Angst. In unserer Moschee verkehren Menschen mit ganz verschiedenen politischen Haltungen. Und ich bin als Vorstandsvorsitzender für alle da. Ich muss die verschiedenen Interessenlagen unserer bunt – und damit gut – gemischten Gemeinde berücksichtigen. Ich habe, was Homosexualität angeht, aber natürlich eine Meinung, auch theologisch.

Und die lautet?

Das Ausleben von Homosexualität ist theologisch gesehen für mich nicht richtig. Das heißt aber nicht, dass ich mich dem Kontakt oder dem Dialog mit diesen Menschen verschließe. Ich baue keine Mauer auf. Und ich kann ja auch nicht behaupten, dass es unter uns Muslimen keine Homosexuellen gibt.

Die Stimmung gegenüber Muslimen wird eher schlechter. Sehen Sie Muslime als ausgegrenzte Minderheit?

Nein. Wir sind Teil dieser Gesellschaft, sind hier geboren, hier aufgewachsen. Ich kann mir anderswo keine Zukunft vorstellen. Ich bin ein Bürger dieses Landes, der eine Meinung hat und seinen Teil hier leistet. Ich bin glücklich in Berlin und möchte hier bleiben – trotz der Anfeindungen, die man natürlich manchmal zu spüren bekommt.

Was sind das für Anfeindungen?

Ich bemerke eine zunehmende Radikalisierung aufseiten der Islamophoben.

Würden Sie sagen, Sie sind ein deutscher Muslim?

Ich bin ein türkischstämmiger deutscher Muslim. Ich kann und will die Wurzeln meiner Eltern nicht negieren, die trage ich im Herzen. Aber meine Wurzeln sind in Berlin, und hier bin ich Teil der Gesellschaft.

Warum engagieren Sie sich dann in der Ditib, einer türkisch-islamischen Organisation, deren Imame aus der Türkei entsandt werden?

Die Ditib-Imame kamen in den vergangenen Jahrzehnten aus der Türkei, weil es keine hier ausgebildeten Imame gab. Und wir müssen eigentlich froh sein, dass wir deren theologische Kompetenz hier hatten und junge Muslime damit nicht allein auf das Internet und Youtube als Quelle religiöser Informationen angewiesen waren. Dann hätten wir sicher noch mehr Probleme mit Radikalisierung.

Mittlerweile gibt es aber in Deutschland ausgebildete islamische TheologInnen. Und die Ditib steht unter Druck, weil ihre Imame Gemeindemitglieder für den türkischen Staat ausspioniert haben.

Es gibt seit Kurzem auch Imame, die hier studiert haben und die der deutschen Sprache mächtig sind. Und unsere Aufgabe für die Zukunft wird sein, dass wir auch Imam-Stellen bei Moscheen der Ditib mit solchen besetzen. Und was die spionierenden Imame betrifft: Das hat der Ditib-Bundesverband zugegeben, und er wird dagegen vorgehen.

Am 9. April können auch in Berlin lebende türkische StaatsbürgerInnen über das Verfassungsreferendum in der Türkei abstimmen, das dem türkischen Staatspräsidenten mehr Macht geben soll. Wird in den Ditib-Moscheen Wahlkampf betrieben werden?

Ich kann für meine Moschee sagen, dass eine solche Gefahr nicht besteht, weil ich jede Politisierung und politische Instrumentalisierung hier vermeiden werde. Wählen zu können ist ein Bürgerrecht, davon soll jeder Bürger Gebrauch machen. Aber wir werden den Menschen nicht sagen, wofür sie stimmen sollen. Das wird bei uns nicht passieren, und ich denke, auch in keiner anderen Ditib-­Moschee in Berlin. Was außerhalb der Moschee auf der Straße passiert, kann ich nicht be­einflussen. Aber in den Moscheen achten wir darauf, dass jegliche Propaganda ausgeschlossen ist.

Können Sie im positiven Sinne etwas dafür tun, dass die politischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei sich nicht auf das Zusammenleben hier auswirken?

Das wünsche ich mir sehr. Ich bekomme die Stimmung natürlich mit, es gibt wirklich kaum eine Veranstaltung, wo ich als Gemeindevorsitzender nicht nach meiner Meinung zu Erdoğan gefragt werde. Ich möchte diese Politisierung nicht. Wir leben in der hiesigen Gesellschaft zusammen. Da kann unser Miteinander doch nicht auf so ein Pro oder Contra reduziert werden.

Nach dem Attentat eines ­abgelehnten Asylbewerbers aus Tunesien dachten deutsche Politiker sofort über die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft nach. ­Haben Sie Verständnis dafür, wenn dann junge Menschen türkischer Herkunft sagen: Dann ist eben die Türkei mein Land, Erdoğan mein Präsident?

Die Aufgabe unseres Staates, der Bundesregierung, der Parteien ist es, den Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl zu vermitteln, dass sie hier willkommen sind. Und das dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse, das muss fühlbar sein. Ich persönlich fühle mich als Teil Berlins und lasse mir nicht vorschreiben, ob ich mich so fühlen darf oder nicht. Aber solange Menschen mit türkischen oder arabischen Namen etwa auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden, haben viele von ihnen dieses Gefühl nicht. Es muss mehr Lehrer, Richter, Polizisten mit Migrationshintergrund geben. Und da wende ich mich auch an unsere Leute, nicht in der Opferrolle zu bleiben, sondern sich mehr für solche Karrieren und gesellschaftliche Mitgestaltung zu interessieren. So entsteht Heimatgefühl.

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