Hart wie Cox Orange

Wenn in Leipzig die Neonazis aufmarschieren, demonstrieren die Mitglieder der Front Deutscher Äpfel meist mit. Sie fordern „Südfrüchte raus!“ und treten ein gegen die „Überfremdung deutschen Obstbestandes“. Die Boskopisten sind Kopisten: Sie ahmen nach, was rechte Früchtchen ihnen vormachen

VON CLAUDIA LEHNEN

Der Führer treibt zur Eile. Sein Adjutant Hermann von Gloster hat seinen rechten Schuh sportlich von sich geworfen, auf das Gaspedal tritt er in Socken. Auf der Nähmaschine tanzt eine rote Farbspule. Die Nadel keckert monoton wie ein sehr kleines Maschinengewehr. Der Minister für Propaganda, Volksaufklärung und interne Koordinierungsfragen des Nationalen Frischobsts Deutschlands (NFD) sitzt auf einer weiß lackierten Gartenbank in einem Leipziger Wohnhaus und jagt rote Armbinden durch die Nadelsalven der Nähmaschine. „Wir kämpfen für die Reinerhaltung deutschen Obstbestandes. Wir sind gegen Pampelmusen und das ganze Gelumpe!“ Von Gloster spuckt das Wort Pampelmuse aus, als handle es sich dabei um einen Tabakbrösel, der nur durch Schlamperei beim Zigarettendrehen in seine Mundhöhle geraten ist.

„Der Führer erklärt die Aufbaujahre, für die ihr Blut, Schweiß, Tränen und unendlich viel Zeit aufgewendet habt, für beendet. Die Front deutscher Äpfel ist die einzige nationale Kraft“, quäkt Alf Thum im preisgekrönten Dokumentarfilm „Boskopismus“ von Witja Frank über die Straße. Wie ein überdimensionales Auge glotzt ein Megafon aus einem Menschenauflauf heraus. An einer Leipziger Haltestelle setzt sich die Linie 11 Richtung Schkeuditz in Bewegung. Der Blick aufs Volk wird frei. Die Jugendlichen in schwarzen Anzügen tragen identische Armbinden, die Assoziationen ans Dritte Reich wecken. Erst bei näherem Hinsehen sieht der Neugierige, dass in weißem Kreis statt eines Hakenkreuzes ein Apfel prangt.

Des Führers Kinn ist in den abendlichen Himmel gereckt, durch schwarz gerahmte Brillengläser glotzt ein heller Blick, an seinen Lippen kleben gut zwei Dutzend Augenpaare. Wenn der Führer der Front Deutscher Äpfel (F.D.Ä.) zum Megafon greift und dem Leipziger Volk seine Parolen einbläut, kommt es gelegentlich zu Irritationen. Wo man hinsieht, scheinen da Fetische rechter Krawallmacher in neckischer Deutlichkeit aufzutauchen. Vorübergehende schauen fragend, bis sie nach einem Blick auf die verteilten Flyer zu lächeln beginnen. Ein älterer Herr bleibt skeptisch: „Hoffentlich versteht das jeder!“

Die Forderungen der F.D.Ä. sind ähnlich schlicht wie das Wahlprogramm der NPD: Die Fraktion der rechten Wölfe im Demokratenpelz macht in ihrem Wahlprogramm Stimmung mit den Parolen „Fremdarbeiter stoppen!“ und „Gegen multiethnische Exzesse“. Auf der Internetseite der Initiative www.apfelfront.de kann man lesen: „Gegen die Überfremdung deutschen Obstbestandes!“, „Südfrüchte raus!“ und „Weg mit faulem Fallobst!“ Um das Programm der vor einem Jahr gegründeten Gegen-Rechts-Bewegung um den Künstler Alf Thum zu ergründen, müssen die Bürger allerdings tiefer eintauchen in das Obstwasser der Ironie und Komik.

„Indem wir Goebbels-Reden und NPD-Parteiprogramme nachäffen, dechiffrieren wir sie als propagandistische Konvolute“, erläutert Thum. Deshalb die eindeutige Farbsymbolik, das faschistische Gebaren – und der Jargon, dessen Zutatenliste sich recht übersichtlich gestaltet: Viel Volk, Vaterland, Nation, Führer, ein bisschen Blut, ein bisschen Stolz, ein Schuss Überfremdung, schon ist die gute deutsche Propagandarede gebacken.

Die Apfelfront will karikieren, entlarven, verlachen, was sich gerade in Sachsen jährlich zum 1. Mai und um den Tag der Einheit herum als braune Truppe auf den Straßen zusammenrottet. „Vielen fällt gar nicht auf, dass die Argumentationen der NPD lächerlich sind. Indem wir die Logik der Rechten aufgreifen und bis zum Äußersten überspitzen, wird deutlich, wie inhaltslos das Gerede ist“, sagt Hermann von Gloster, im wirklichen Leben ein siebzehnjähriger Schüler mit Vornamen Tilman.

Der alte Führer trägt Seitenscheitel, einen schmalen Schnauzer im nur faustgroßen Gesicht und einen winzigen ausklappbaren Penis zwischen den Beinen. Neben ihm glänzt die Insignie der Macht, ein kleiner rotwangiger Reichsapfel. Wenn der neue Führer alias Alf Thum an seinem Schreibtisch sitzt und über die Ziele der ätzenden Äpfel nachdenkt, wandern seine Augen wie Pingpongbälle zwischen der ausgestopften Identifikationsfigur und dem Inbegriff deutschen Obstes hin und her. Dieses ganze Kuba-Lebensgefühl, poltert er los, müsse guter deutscher Kultur weichen. „Wir sagen nein zum Caipi-Saufen. Auf deutschen Feiern muss es wieder Apfelkorn geben!“ Seine Rede ist zu Ende. Thum kichert wie ein Kind, das gerade erfolgreich ein Pupskissen auf dem Stuhl des Lehrers platziert hat.

Als im vergangenen Jahr die NPD den Einzug in den Sächsischen Landtag schaffte und der Hamburger Neonazi Christian Worch die Faschisten Deutschlands zum nationalen Marsch gen Leipziger Völkerschlachtdenkmal aufrief, gab es in der Sachsenmetropole eine Handvoll Aufgebrachter, die etwas unternehmen wollten gegen die haarlosen Horden. Mit bierernster Miene protestieren wollten Alf Thum und seine Anhänger allerdings nicht. „Bei den autonomen Gruppierungen fehlte uns der Pfiff“, sagt der 41-Jährige. Der Zankapfel, den die undogmatische Bande langsam, aber sicher mürbe machen will, war unfreiwillig Namenspatron der Vereinigung: Holger Apfel ist Fraktionsvorsitzender der NPD im Sächsischen Landtag.

So weit zumindest die inoffizielle Version. Nach außen beharren die Streiter von der F.D.Ä. darauf, dass sich im Namen der Initiative nicht das Spiel mit Worten, sondern die Stärkung deutscher Früchtchen spiegele. Es gehe um die Zurückeroberung einer Identifikationsfrucht. „Deutsche, seid wie die Äpfel: Zäh wie Gravensteiner! Prall wie Elstar! Hart wie Cox Orange!“

Statt mit moralinsauren Gesichtern kämpft ein Dutzend Apfelguerilleros und die doppelt so große Gruppe vom Nationalen Frischobst Deutschlands, der Jugendorganisation der F.D.Ä., nun mit den Waffen der Komik gegen die Nationalisten. „Wir wollen über den Faschisten einen Kübel Spott auskippen. Das ernste Geschäft ist nicht unseres“, sagt Thum.

Das Original, zu dem die Protestpomologen ein satirisches Abziehbild sein wollen, bietet sich als Ziel linker Spotttiraden geradezu an. Und die Kameraden sind bisweilen arg verwirrt durch die Obst darbietenden Doppelgänger, die ebenso laut brüllen, ebenso stramm marschieren. So manche Finger, eben noch zur Faust geballt, kratzten beim Rechtsextremen-Aufmarsch im Mai dieses Jahres verunsichert über den haarlosen Kopf. „Wir tragen Armbinden in eindeutigen Farben. Sie dürfen die ihren nicht tragen“, sagt Thum mit einem heiseren Lachen.

Aus etlichen rechten Internetforen dringen Schimpftiraden über die „billige Antifa-Verarsche“. Da ist die Rede von „linksextremen Sauköpfen“, „Gesindel“, und „Apfelfront! Scheiß Antifa Säuen“. Auf den Spott der Äpfel reagieren die Rechten wie ein Kind, das auf Angriffe der Klassenkameraden nur ein „Ihr seid doch alle blöd!“ im Ärmel hat. Irritationen sind erwünscht. Wer ist Apfel-Sympathisant, wer wirklich Ewiggestriger? „Auch in Bezug auf das Obst sind die Forderungen wahr“, schreibt ein User mit dem Namen Staatspolizei. „Schließlich bin ich hier wohl nicht der einzige, dem es stinkt, dass billiges Polenobst hier zum Teil mit Absicht als deutsches Obst verkauft wird.“ Und auch die „Totendivision“ gibt dem Thum-Trupp Recht: „Ich fress keine Bananen, weil sie von Niggern kommen.“

Der jährlich zweimal anreisende Magnet der Neofaschisten, Christian Worch, will sich von der FDÄ nicht provozieren lassen. Er gibt vor, heimlicher Sympathisant der Obstnationalen zu sein: „Ich habe bei den Aufmärschen auch immer eine Packung Äpfel dabei.“ Gehört der Organisator der Neonazi-Demonstrationen am Ende dem der Apfelfront nahe stehenden „Bund weicher Birnen“ (BWB) an? Vielleicht. Die Sache mit den Armbinden scheint den 49 Jahre alten Rechten trotzdem zu wurmen. Ästhetisch würde er die Mode der Apfelfaschisten gerne kopieren. „Das Emblem, das ich aufdrucken würde, ist aber in der momentanen gesetzlichen Lage nicht möglich.“

Die Polizei versteht die subversive Affirmation rechter Symbole durch die Apfelfront nicht immer. Das Fluidum der Komik kann zuweilen ja auch undurchsichtig sein. „Die Frage ist, ob das, was Sie hier tragen, verboten ist“, sieht man im Film einen Mann in grüner Uniform sagen. Seine Augen flackern unsicher, als ein Megafon auftaucht, der Führer hinterdrein stolpert und erklärt: „Jetzt werden unsere Personalien aufgenommen. Das ist auch richtig so!“

Unangenehm aufgefallen seien die seltsamen Apfeldemonstranten noch nie, versichert einige Monate nach dem Dreh die Pressesprecherin der Leipziger Polizei. Nicht ein vergifteter Apfel! Niemals eine Apfelschießübung von Köpfen der Feinde! „Gewaltausschreitungen liegen nicht vor“, sagt sie. Im Frühjahr wusste man noch nicht so recht, was man von den uniformierten Apfelkämpfern halten sollte. Etliche rote Armbinden mit schwarzem Apfel auf weißem Grund wanderten ins Polizeiarchiv. Die Truppe verkneift sich, die Hand mit abgespreiztem kleinen Finger zum Gruß zu recken und „Heil Boskop!“ zu brüllen. Nicht aus Furcht, dafür ist man schon zu oft aneinander geraten mit den Sachwaltern des staatlichen Gewaltmonopols. Eher aus Mitleid mit den irritierten Ordnungshütern. Wer ein guter deutscher Apfel ist, der kennt die Uniformträger von Sitzstreiks gegen Christian Worch und seine Kameraden. Wer ein echtes Stück deutschen Frischobstes ist, hat sich von Grünbehelmten bei gleicher Gelegenheit schon mal Wasser ins Ohr pusten lassen.

Der „bestangezogene schwarze Block“ besteht nicht nur aus Faschistenparodisten, sondern ausnahmslos auch aus Verwandlungskünstlern, die man glitschigen Fischen gleich nie dort zu fassen bekommt, wo man sie schon fast im Netz zu haben glaubte. Wo eben noch der neue Führer mit knatternder Stimme Blödsinniges ausschied, redet jetzt der Künstler Alf Thum über Adaptierung linker Symbole durch Rechtsradikale. Wer mit Thum ein vernünftiges Gespräch beginnt über Wahlen und rechtes Potenzial, muss darauf gefasst sein, dass der Begründer der Initiative einen Haken schlägt, plötzlich auf den dumpfen Klang des Volksempfängers umschaltet und sagt: „Als Führer sage ich: Wir treiben die nationale Wahlmüdigkeit durch ständige Wahlen in die Höhe. Dann planen wir die nationale Machtergreifung.“

Die Deutschobstfanatiker fallen aus der Rolle. Ständig. Auch wenn sie gar keine Rolle spielen. Sie lungern wie alte Gummischläuche auf der Straße herum und nehmen einen Wimpernschlag später mit Arno-Breker-Gesichtern Haltung an, als hätten sie einen Skistock verschluckt. Die gröhlenden Horden wissen nicht so recht, woran sie mit ihren Abziehbildern sind, die sie selbst, die Originale, an Authentizität scheinbar noch übertreffen. Der rechte Mob ist zu einem Haufen mutiert, dessen Kumpanei der Dummheit nach außen längst nicht mehr durch eine einheitliche Etikettierung zu erkennen ist. In Christian Worchs Kameradenmarsch halten Schmächtige mit Glatzen ebenso Schritt wie Bullige mit Che-Guevara-Button und Palästinensertuch. Drin ist eben nicht immer, was draufsteht. „Die Rechten haben zuerst bei uns geklaut“, sagt Tilman und weist darauf hin, dass auf rechten Internetseiten Brecht zitiert wird und Ulrike Meinhof. „Der schwarze nationale Block ist heute von autonomen Gruppen kaum noch zu unterscheiden“, ergänzt Alf Thum.

Bei diesem Karneval der Weltanschauungen möchte die Kernobstfraktion vor allem eins: gut aussehen. Wenn seine korrekt gekleideten Anhänger mit Fackeln und einem leichtfüßig über die Lippen hüpfenden „Was gibt der deutschen Jugend Kraft? Apfelsaft!“ durch Leipzigs Straßen walzen und jede einzelne Armbinde sitzt, dann steigt dem Führer schon mal vor Stolz der Most in die Augen. Dann bekommt er einen Blick, als habe er gerade erfahren, dass sein eigener Sohn mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, und sagt: „Der Führer ist gerührt.“

Wenn Thum plötzlich diesen glasigen Blick bekommt und er seine Worte durch den Raum flitzen lässt wie ein Messerwerfer seine Messer, dann ist es nicht immer der rechte Rand, dessen Sprache er sich leiht. Bisweilen landet er unverhofft mitten im „guten Nationalismus“ der bürgerlichen Parteien. „Wenn ich meine blödsinnigen Reden inszeniere“, sagt Thum, „denke ich oft: So klingt Stoiber ja auch!“ Der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie „starkes Deutschland“ und „nationale Stärke“ sei etwas, wogegen sich die Anti-Ananas-Agitatoren ebenso wehren wie gegen den braunen Schaum am rechten Rand des gesellschaftlichen Stroms.

Am gegenüberliegenden Ufer allerdings lassen sich Thum, seine Apfelträger und Fruchtzwerge auch nicht einordnen. Thum ist schon wieder entwischt, jetzt ist er nur noch der schnarrende Führer, der sagt: „Jede kleinliche Trennung zwischen links und rechts schadet dem deutschen Vaterland!“

CLAUDIA LEHNEN, ab morgen 27, lebt als freie Autorin bei Köln. Äpfel isst sie am liebsten weich gekocht, als Kompott