Die alternativen Facts von Fünfjährigen
: Das Zeitalter der Dunkelheit und des Aberglaubens

Bridge And Tunnel

VON

Ophelia AbelerThe first orange President, wie die Amerikaner ihn inzwischen nennen, hat nicht nur Angst vor dem Teil der muslimischen Weltbevölkerung, mit dem er Geschäftsbeziehungen unterhält und den er sich deswegen unter seinen Muslim-Bann zu stellen nicht traut. Nein, er hat jetzt auch Angst vor allein reisenden Fünfjährigen, die eine Bedrohung von Amerikas Sicherheit darstellen könnten, weil es, wie sein Sprecher Sean Spicer anmerkte, schlichtweg fehlgeleitet wäre, zu glauben, jemand stelle nur aufgrund seines Alters keine Gefahr dar.

Ich werde auch immer ängstlicher, weil ich in einem Land lebe, dessen auf Selbstverteidigung fixierte Hosenschisser-Bevölkerungshälfte einem angstgetriebenen und hasserfüllten Tyrannen den Atomkoffer in die Hand gedrückt hat, während die andere, klarsichtige und mutige Hälfte versucht, ihm das Amt und damit auch den Koffer wieder zu entwinden. Klingt nach einem horrenden B-Movie-Plot, nur leider ist es kein Film und wir sind alle im Kino eingesperrt.

So hatte ich neulich auch Angst vor einem Fünfjährigen – denn er erinnerte mich auf erschreckende Weise an Donald Trump.

Mein Sohn kam aus dem Kindergarten und rief: „Liar, liar, pants on fire – Lügner, Lügner, Hose brennt!“, ein Klassenkamerad habe ihn so gerufen, ein „Bully“ sei der, und ich solle bitte am nächsten Tag beim Drop-off mit ihm sprechen und ihm sagen, dass ich meinem Sohn das Toni-Kroos-Trikot wirklich zu Weihnachten geschenkt habe.

Eigentlich ermutige ich meinen Sohn, seine Konflikte selbst zu bewältigen, aber sein Leid und seine Verstörung dar­über, dass ihm kein Glauben geschenkt wurde, obwohl er doch die Wahrheit gesagt hatte, waren so stark, dass ich beschloss, mit dem Klassenkameraden zu reden.

Der Junge schaute mich unbeeindruckt an und sagte, und es klang wie eine sachliche Feststellung: „You found it in the street – Du hast es auf der Straße gefunden.“ Alternative facts, schoss es mir durch den Kopf, und mir fiel die Kinnlade runter vor Entsetzen über die kaltschnäuzige Unbeirrbarkeit dieses Kindes. Ich hätte ihm am liebsten eine gescheuert.

Der Wissenschaftler Bill Nye sagte kürzlich in einem Interview, es dauere zwei Jahre, bis jemand einen Irrglauben, der durch Fakten widerlegt sei, tatsächlich überwinden könne – wenn überhaupt.

Es stehen sich hier zwei Parteien in einem brutal gespaltenen Land gegenüber, die mir vorkommen wie Besoffene auf der einen Seite, die behaupten, stocknüchtern zu sein und deren Gleichgewichtssinn ihnen derartige Streiche spielt, dass sie nur in Schieflage nicht stürzen, und Nüchterne auf der anderen Seite, denen vom Betrachten der Schieflage ihrer Gegenüber so schwindlig und schlecht ist, dass sie sich fragen, ob sie selbst vielleicht total besoffen sind. An der Spitze dieses Landes steht der Unbelehrbarste von ihnen allen, Aussicht auf Sinneswandel: null.

Carl Sagan hat in „The Demon-Haunted World: Science as a Candle in the Dark“ 1995 erschreckend präzise vorhergesehen, wie in einem Amerika der Service- und Informationsökonomie, in dem furchteinflößende technologische Möglichkeiten in den Händen einer kleinen Elite liegen, die Fertigungsindustrie jedoch in Billiglohnländer abgewandert ist, das wissenschaftliche Denken verloren gehen und ein neues Zeitalter der Dunkelheit und des Aberglaubens anbrechen werde. Der Unterschied zwischen dem, was sich gut anfühlt, und dem, was wahr ist, könne nicht mehr bestimmt werden, die Menschen klammerten sich an Kristallkugeln und Horoskope.

Was kann man tun, wenn man frustriert ist, das Wetter miserabel und auf den Speisekarten in Brooklyn zu viel kalter Grünkohl steht? Ins italienische Sternerestaurant Del Posto nach Manhattan fahren, wo jeder Schritt von dickem Teppich geschluckt wird, der Klavierspieler lauter bekannte Songs derart herunterklimpert, dass man sie immer nur fast erkennt, wobei ein Faktencheck über die Musikerkennungsapp Shazam unmöglich ist, und die besten Grüße aus der Küche kommen. Diesmal drei Interpretationen eines sizilianischen Gerichts, nämlich eine jüdische, eine christliche und eine muslimische.

Das ist das Schöne in diesen Tagen und etwas, das ich wirklich für typisch amerikanisch halte: auf kreativen und überraschenden Wegen positive Botschaften zu senden wie hier den Ausdruck der toleranten Gesinnung eines Küchenchefs. Alles wird politisch jetzt, herzliche Grüße zurück.

Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York