Autor José zur Lage auf den Philippinien: Große Klappe und überbordendes Ego

Der philippinische Literat Francisco Sionil José über die Entwicklung seines Landes. Und wie der Populist und Präsident Duterte an Zustimmung gewinnt.

ein alter Mann mit Baskenmütze und blau-weiß geblümtem Hemd

Francisco Sionil José im Gespräch mit dem taz-Autor Foto: Ralf Leonhard

WIEN taz | Mehr als 6.000 Todesopfer hat der Antidrogenkrieg auf den Philippinen gekostet, seit Präsident Rodrigo Duterte dort am 30. Juni 2016 sein Amt antrat. Duterte hat die außergerichtlichen Hinrichtungen – teils durch die Polizei, teils durch maskierte Killer auf dem Motorrad – während des Wahlkampfs als adäquates Mittel gegen Drogenhandel und -konsum gepriesen. Inzwischen hat er auch gestanden, selbst geschossen zu haben. Der blutige Charme des gelernten Rechtsanwalts verführt nicht nur das bildungsferne Proletariat, das unter Drogensüchtigen in der Nachbarschaft leidet. Auch Intellektuelle ließen sich anstecken.

Darunter ist selbst der große alte Schriftsteller Francisco Sionil José, der sich jahrzehntelang literarisch mit dem kolonialen Trauma seines Landes auseinandergesetzt hat. Der Mann, der im Dezember seinen 92. Geburtstag feierte, hielt Duterte anfangs sogar für einen Glücksfall, wie er im Gespräch in Manila zu Protokoll gibt: „Ich dachte, er sei wie Magsaysay. Der war unser bester Präsident.“

Ramon Magsaysay regierte in den 1950er Jahren und war sehr populär. Sionil: „Magsaysay verstand es, die Massen hinter sich zu vereinen. Die wirkliche Macht auf den Philippinen repräsentieren weder die Kirche, noch die Bürokratie. Es sind die Massen. Man kann sie mit Charisma aber auch falschen Versprechungen gewinnen. Auf den Philippinen wählen die Menschen kein Parteiprogramm, sondern eine Persönlichkeit.“

Die Massen hat jetzt auch Duterte tatsächlich hinter sich. Zwar wählten ihn landesweit nur 39 Prozent der Wähler, doch in Davao, wo er mehr als zwei Jahrzehnte als Bürgermeister regierte, gaben ihm unfassbare 96 Prozent ihre Stimme. Nun, nach einem halben Jahr im Amt, bescheinigen ihm die Umfragen eine landesweite Zustimmung von dramatischen 80 Prozent.

Illegale Hinrichtungen

Die zweite Machtbasis seien Armee und Polizei, die als einzige das Land zusammenhalten könnten. Doch Duterte braucht noch nicht einmal das Kriegsrecht auszurufen. Er stiftet die Polizei einfach zu außergerichtlichen und illegalen Hinrichtungen an. An dieser Politik, Verdächtige einfach eliminieren zu lassen, kritisiert der sich als antiimperialistisch verstehende Literat erstaunlicherweise zunächst nur die mangelnde Treffsicherheit. „Wie kann man sicher sein, dass das wirklich alle Drogenhändler oder Süchtige sind?“

In der Tat werden immer wieder auch die Falschen erwischt. Mehr als zwei Dutzend getötete Kinder werden von Duterte als bedauerliche „Kollateralschäden“ verbucht. Sionil präzisiert dann doch noch seine eigenen Aussagen: „Sie sollten geheilt und nicht ermordet werden.“ Er kritisiert die Apologeten der „Säuberungen“ im Anti­drogenkampf, die argumentieren, dass die Justiz überfordert, die Gefängnisse überfüllt und die Entzugskliniken überlastet seien.

Das will Sionil nicht gelten lassen: „Dann sollen sie eben gebaut werden. Man kann die Schulen nutzen und die Armee sollte mithelfen. Wenn man ein Programm hat, muss man auch dafür sorgen, dass es umgesetzt werden kann.“ Weiter geht seine Kritik an Duterte also nicht.

Dutertes Außenpolitik hält der Altlinke aber grundsätzlich für richtig: „Der kulturelle Einfluss der USA erstickt uns“

Sionil wirkt schon ein wenig gebrechlich. Er schleppt seinen massigen Körper nicht mehr gern in sein Büro im zweiten Stock über dem Solidarity Bookshop hinauf. In seinen in 22 Sprachen übersetzten Romanen und Kurzgeschichten setzt er sich mit dem Erbe des Kolonialismus und den sozialen Grundlagen von Klassenkämpfen in der philippinischen Gesellschaft auseinander.

Sionil ist dabei auf den Philippinnen nicht unumstritten, weil er auf Englisch und nicht in der Nationalsprache Tagalog publiziert. Seine Buchhandlung in der lauten Padre Faura Street in Manilas Stadtteil Ermita wird vor allem von Lesern aufgesucht, die politische oder sonst schwer erhältliche Literatur suchen. Andere Buchhandlungen beschränken sich meist auf Bestseller, Klassiker und populäre Ratgeber.

Große Klappe, überbordendes Ego

Duterte sei ein „unguided missile“, urteilt Sionil: Seine große Klappe und sein überbordendes Ego seien seine größten Feinde. „Er überschätzt seine eigene Bedeutung, wenn er sich auf eine Ebene mit Putin und Xi Jinping stellt.“ Seine Außenpolitik hält der Altlinke aber grundsätzlich für richtig: „Der kulturelle Einfluss der USA erstickt uns. Wir haben genug davon. Auch wenn es ein Fehler ist, Barack Obama als Hurensohn zu beschimpfen.“ Fastfoodketten und Hollywoodfilme sollen also das Problem der Philippinen sein?

Die USA würden von vielen unreflektiert als das Maß aller Dinge betrachtet, poltert er weiter. Dennoch sei es besser, die Beziehungen zu den USA zu entkrampfen, ohne die Supermacht vor den Kopf zu stoßen. Auch ohne Hasstiraden gegen Washington könne man bessere Beziehungen zu China und Russland pflegen. „Wir haben die Lektionen vom US-Imperialismus nicht gelernt. Die reichen Amerikaner – wir nennen sie Kautschukbarone – haben das Land und seine Arbeiter ausgebeutet. Aber sie haben auch Fabriken, Eisenbahnen, Banken und Universitäten gebaut. Unsere einheimische Oligarchie beutet nur aus und baut nichts auf. Warum haben wir keine Reederei-Industrie? Wir sind die größte Seefahrernation. Auf jedem Schiff gibt es Philippiner, sei es als Matrosen, Ingenieure oder Kapitäne. Warum hat es Korea geschafft? Die begannen in den sechziger Jahren eine Schiffsbauindustrie aufzubauen und heute übertreffen sie die Japaner und Skandinavier.“

Ohne die Unterstützung der alten, mit den USA verbundenen Oligarchie, glaubt Sionil, sei aber bisher noch kein Präsident an die Macht gekommen. Duterte sei nun der erste: „Er hat versprochen, die Oligarchie zu bekämpfen. Der Mann liebt sein Volk. Aber Magsaysay hat sich mit den besten Köpfen seiner Zeit umgeben. Und wenn er einen Fehler machte, dann korrigierte er ihn. Er war ein echter Demokrat, bescheiden und selbstlos. Duterte ist ganz anders. Er ist selbstherrlich und mag keine Kritik.“

Heldenbegräbnis für Marcos

Das Verhältnis zur Oligarchie ist auch nicht so eindeutig. Das zeigte sich im November, als Duterte den 1989 im Exil verblichenen Diktator Ferdinand Marcos nun auf den Heldenfriedhof von Manila umbetten ließ. „Das war sein größter Fehler. Er hat immer gesagt, Marcos und seine Familie waren die korruptesten Oligarchen.“ Ein hoher Preis für die Millionen, die Imee Marcos, die ältere Tochter des Diktators, für den Wahlkampf Dutertes gespendet haben soll. Das Heldenbegräbnis hat die größten Demonstrationen seit vielen Jahren ausgelöst.

Sionil José hat in jüngeren Jahren mit der maoistischen New People’s Army (NPA) sympathisiert und gilt noch jetzt als Anhänger von deren Anführer José María Sison, der im niederländischen Exil lebt. „Viele linke Intellektuelle schweigen zähneknirschend zu den Menschenrechtsverletzungen“, meint Emmanuel Amistad von der Gefangenenhilfsorganisation Taskforce for Detainees, weil Duterte Friedensgespräche mit der NPA angekündigt und mehrere Exponenten des politischen Arms in sein Kabinett aufgenommen hat. Sionil wünscht sich, „dass die Kommunistische Partei aus dem Untergrund auftaucht und den politischen Dialog damit bereichert“.

Ihm schwebt eine Lösung wie in Kolumbien vor. Dort wird den Farc-Rebellen für die nächsten fünf Legislaturperioden eine Mindestvertretung im Kongress garantiert. „Da bedarf es einer gewissen Vision. Ich würde die Rebellen in die Armee und die Polizei aufnehmen. Man kann ja nicht verhandeln und ihnen keine Friedensdividende anbieten.“ Die Ursachen des Konflikts seien aber so präsent wie eh und je: „Vor allem die Armut. Es gibt so viele Menschen, die nur einmal am Tag essen. Man muss Jobs für die armen Philippiner schaffen.“

Seinen eigenen Glauben an den Sozialismus verlor Sionil schon in den 1960er Jahren, als er als einziger Philippiner zur Fünfzigjahrfeier der Oktoberrevolution nach Moskau geladen war. Dort im Hotel musste er Seife und Klopapier selbst mitbringen. Und die Schriftsteller wagten es nicht, in der Öffentlichkeit den Mund aufzumachen. „Warum ließen die Sowjets Boris Pasternak nicht nach Stockholm reisen, um den Friedensnobelpreis entgegenzunehmen?“ Bei einem Treffen mit den Herausgebern der Literaturzeitschrift Nowy Mir habe man ihm damals gesagt, der Autor von „Doktor Schiwago“ sei nicht patriotisch genug. „So ein Unsinn. Keiner hat den russischen Winter berührender geschildert, als Pasternak.“

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