Beziehungen und Broccoli

Kulinarische Konkurrenz für Kubas fade Hotelküche: Privatrestaurants sind en vogue in Kuba. Wer auf sich hält, reserviert den Tisch nicht im protzigen Hotel Nacional, sondern etwa im La Guarida

von KNUT HENKEL

Das mächtige mit gusseisernen Nägeln beschlagene Eingangstor steht sperrangelweit offen. Hinge nicht die Metallstange mit dem im Wind schaukelnden Plastikschild, auf dem La Guarida zu lesen ist, an der brüchigen Wand neben dem Eingang, würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, dass sich in dem heruntergekommenen Gründerzeithaus das berühmteste Privatrestaurant Havannas befindet. Die marmorne Treppe hinauf in den dritten und letzten Stock des ehemals mondänen Bürgerhauses haben schon zahlreiche Prominente erklommen, unter ihnen Königin Sofia von Spanien und Jack Nicholson. Es riecht nach Moder und Waschpulver. Dann ist die unscheinbare Wohnungstür erreicht, hinter der sich das La Guarida verbirgt.

Alte Filmplakate, Fotos vom Ché-Fotografen Alberto Korda hängen im Flur. An der Küche vorbei betritt man einen der drei Wohnräume. Hier wird serviert. Ein altes Grammofon steht auf einer Anrichte, daneben ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto der Monroe. Darüber hängen die Ballettschuhe von Lorna Feijóo, der Primaballerina des kubanischen Nationalballetts. Das private Ambiente macht Enrique Núñez, der das Restaurant gemeinsam mit seiner Frau Odeysis Baullosa seit Juli 1996 betreibt, für den Erfolg mitverantwortlich. Dass einige Szenen von „Erdbeeren und Schokolade“, dem erfolgreichsten kubanischen Film der letzten Dekade, hier gedreht wurden, war ein weiterer Startvorteil.

Doch für die vielen Stammgäste ist die einfallsreiche Küche von Toni der zentrale Grund zu kommen. Seine Spezialität ist die Zubereitung des Red Snapper. Doch auch Kaninchen-Lasagne oder Schweinemedaillons in Mangosauce stehen für etwa 10 Euro auf der Karte. Mit Spinat, Aubergine oder Broccoli weiß der Küchenchef im Gegensatz zu vielen seiner kubanischen Kollegen umzugehen. Toni hat in den letzten Jahren einigen Kollegen in Spanien und Frankreich über die Schulter geschaut und sich inspirieren lassen. „Für diese Kontakte haben die Stammkunden aus dem Diplomatenkorps gesorgt“, verrät Enrique Núñez. Er hat einflussreiche Gäste. La Guarida ist mit eigener Homepage im Internet vertreten – ein Novum für ein kubanisches Privatrestaurant.

Von derart guten Beziehungen kann die Konkurrenz nur träumen. Viele der „Paladares“ der ersten Stunde haben längst wieder dichtgemacht. 700 dieser privat geführten Restaurants gab es allein in Havanna, als Mitte der Neunzigerjahre der Paladar-Gründungsboom in Kuba grassierte. Heute sind es etwa die Hälfte, schätzt Núñez. Auch das La Guarida, im Juli 1996 eröffnet, entstand in der Boomphase. Für die sorgte eine brasilianische Seifenoper, eine Telenovela, die im Sommer 1994 in Kuba Tränen der Rührung hervorrief. Protagonistin der Serie war eine einfache Frau, der das Kunststück gelang, sich über den Straßenverkauf von belegten Brötchen den Traum vom eigenen Restaurant zu erfüllen. Dem ersten folgte ein zweites, bis eine Kette entstand, die sie paladar, zu Deutsch Gaumen, taufte. Name und Idee wurden von den Kubanern schnell übernommen, und viele Wohnzimmer verwandelten sich quasi über Nacht in Restaurants – erst illegal, dann ab Mitte 1995 legal.

Für das große Geschäft lassen die gesetzlichen Vorschriften allerdings kaum Raum. Auf zwölf Sitzplätze ist die Kapazität der kubanischen Privatrestaurants begrenzt. Rind und Meeresfrüchte auf der Speisekarte sind tabu, und nur Familieangehörige dürfen dort arbeiten. Abgaben, Gebühren und Steuern werden zudem pauschal, unabhängig vom Umsatz, erhoben. „Vielen Neugastronomen fehlte die Kapitaldecke, um eine längere Durststrecke zu überstehen“, sagt Núñez. Er hat es genauso wie Juan Carlos Fernández vom Hurón Azul geschafft.

Das Restaurant Hurón Azulin in der Nähe des Hotels Habana Libre setzt auf traditionelle kubanische Gerichte mit Pfiff. In der Küche duftet es nach frittierten Kochbananen, Tostónes, Süßkartoffeln und Spanferkel, dem kubanischen Nationalgericht. Umgerechnet 10 Euro kostet ein Hauptgericht. Das ist es auch den kubanischen Stammgästen wert. Schwierigkeiten, alle Zutaten für seine Gerichte zu bekommen, sind für ihn normal. Einen Großhandel für Gastronomiebedarf gibt es in Havanna genauso wenig wie Vorsteuerabzug, Abschreibungsmöglichkeiten oder Investitionskredite. Das Gros der Lebensmittel kauft Fernández auf den Bauernmärkten der Hauptstadt und in den staatlichen Supermärkten. Doch bei frischem Fisch oder Lamm ist er auf gute Kontakte angewiesen. Die hat er sich im Laufe der Jahre aufgebaut. Einige Kellner im benachbarten Hotel Habana Libre werben unter der Hand bei den internationalen Gästen für ihn.

Guter Service und die einfallsreiche traditionelle Küche sind die wichtigsten Zutaten seines Erfolgsrezepts. Ingredienzen, die in der staatlichen kubanischen Gastronomie selten sind. Deren Angestellte sehen sich gerade mit einer neuen Order von oben konfrontiert: Sie sollen fortan auf die Annahme von Trinkgeldern verzichten und so ihre sozialistische Moral unter Beweis stellen. Den Paladares könnte die sinkende Motivation der schlecht bezahlten Mitarbeiter in der staatlichen Gastroszene zu einem neuen Boom verhelfen. Kellner, die den Touristen bereitwillig Auskunft geben, wo sich gut essen lässt, finden sich in Kuba immer.

La Guarida, Centro Habana, Calle Concordia Nr. 418, zwischen Gervasio und Escobar, Tel. 8 63 73 51www.laguarida.com Hurón Azul, Vedado, Calle Humboldt Nr.153 Ecke Calle P, Tel. 8 79 16 91Flüge: Air France und Iberia fliegen zweimal täglich Havanna an. Preise ab 640 €ĽWeitere Auskünfte: Fremdenverkehrsamt Kuba, Kaiserstraße 8, 60311 Frankfurt/Main, Tel. (0 69) 28 83 22info@cubainfo.de