Bremer Kinder gehen leer aus

BetreuungsNotDrei Wochen im Jahr könnenEltern ihre Kinder in Bremen für die Kindertagesstätte anmelden – theoretisch. Denn praktisch fehlen Hunderte Plätze

Wer isst was? Kita in Hamburg, 2011 Foto: Angelika Warmuth/dpa

An einem kalten Januartag ist Tag der offenen Tür in der Kindertagesstätte der SOS-Kinderdörfer in Huckelriede, einem Stadtteil am südöstlichen Rand Bremens. Sie befindet sich in einem Neubau, erst im August ist sie eröffnet worden. Heute führen die Leiterin Mechthild Schröter und ihr Team durch die hellen Räume, zeigen Kindertoiletten und Schlafzimmer.

Um halb sechs am Abend ist der größte Ansturm vorüber. Pünktlich zu Beginn um vier sei der Laden voll gewesen, erzählt Schröder. Jetzt kommen fast nur noch die jungen Paare mit Baby, die sich ihre Zeit frei einteilen können. Etwas verloren wirken sie in den Fluren, verunsichert, als könnten sie sich noch nicht vorstellen, ihr Kind, gerade mal drei, vier Monate alt, jemals aus den Händen zu geben.

Entscheiden müssen sie sich dennoch jetzt schon. Denn in Bremen werden Kinder grundsätzlich nur nach den Sommerferien neu aufgenommen, die Anmeldephase läuft im Januar. Drei Wochen bieten Kindertagesstätten Tage der offenen Tür an oder laden dazu ein, während der regulären Öffnungszeiten vorbeizukommen. Freitag endete diese Phase.

Wer diesen Zeitpunkt verpasst oder sein Kind nicht schon im August, sondern vielleicht etwas später eingewöhnen möchte, braucht sehr viel Glück, um einen Platz zu bekommen.

Immer wieder gibt es Eltern, die das Prozedere nicht kennen. So ging es auch Julia Liesand vor zwei Jahren. Sie heißt eigentlich anders, will aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, aus Sorge, dann bei der Platzvergabe benachteiligt zu werden. Gerade hat sie sich in der SOS-Kindertagesstätte von einer Erzieherin den Gruppenalltag erklären lassen und einen Blick auf den Spielplatz direkt am Haus geworfen. Sie sucht zwei Plätze.

Auf dem Arm trägt sie Baby Lisa, viereinhalb Monate alt, an der Hand hält sie deren ältere Schwester Pia, geboren im März 2014. Julia Liesand wollte ein Jahr nach Pias Geburt wieder arbeiten und fiel aus allen Wolken, als sie erfuhr, dass sie sich im Januar hätte anmelden müssen, um im August, ein halbes Jahr später als geplant, einen Platz zu bekommen. „Lisa hat dann drei Tage die Woche bei meinen Eltern gewohnt“, erzählt sie. Die leben in einer niedersächsischen Kleinstadt, eine Autostunde von Bremen entfernt. Ein halbes Jahr sah sie ihr einjähriges Kind nur die Hälfte der Woche, dann bekam sie die Zusage von einem privat organisierten Elternverein, der wegen eines Wegzugs einen Platz frei hatte.

In diesem Jahr will die 36-Jährige es richtig machen und ihre beiden Kinder rechtzeitig anmelden. In der Kindertagesstätte, die sie gerade besichtigt, werden aber nur wenige Plätze frei. Wenn sie sich dort trotzdem anmeldet und leer ausgeht, kann sie eine Zweit- und Drittwahl angeben. Wird es auch dort nichts, kann die Behörde, die in Bremen die Kindertagesbetreuung organisieren soll, ihr einen Platz in einem anderen Stadtteil anbieten. Das Problem ist aber: In Bremen fehlen in der ganzen Stadt so viele Betreuungsplätze, dass Liesand damit rechnen muss, wieder nichts zu bekommen.

Und zwar nicht nur für die Ein- bis Dreijährigen, für die es erst seit vier Jahren einen Rechtsanspruch auf Betreuung gibt. Fast alle Bundesländer mit Ausnahme von Hamburg mussten ihr Angebot für die Kleinkinder extrem ausbauen und hinken immer noch hinterher, weil mit dem Angebot die Nachfrage steigt. Bremen stand gar nicht so schlecht da, vor allem, weil es mit einem Trick 1.000 Plätze auf einen Schlag schuf. Ganz ohne Baumaßnahmen und fast ohne Neueinstellungen. Das gelang, weil seit 2013 schon Zweieinhalbjährige in die Kindertagesstätten mit seinen größeren Gruppen wechseln müssen.

Doch im vergangenen Sommer wurde wahr, was Opposition und Träger von Kindertageseinrichtungen wie die Evangelische Kirche vorausgesagt hatten. Bremens Ausbauplanung reichte zum einen nicht aus und wurde zum anderen nicht umgesetzt. Und: Die Plätze – rund 1.700 – fehlen nicht nur bei den Kleinen, sondern auch bei den Großen. Dort sogar in noch stärkerem Umfang. Auch eine Spätfolge des Rechentricks.

„Eine Katastrophe“, sagt dazu eine Mutter, die hier Anna Nowak heißen soll. Auch sie sieht sich die SOS-Kindertagesstätte an. Sie fragt nicht nach dem pädagogischen Konzept, sondern nach ihren Chancen. Die arbeitslose Kosmetikerin ist alleinerziehend. Gerade erst konnte sie ein Jobangebot nicht annehmen, weil sie schon im letzten Jahr keinen Betreuungsplatz für ihren zweijährigen Sohn bekommen hatte. Eiken Bruhn