protest Einwohner des nordfriesischen Dorfes Enge-Sande wehren sich gegen den Bau zweier großer Windräder. Diese sind Teil eines einzigartigen Zentrums für das Training von Einsätzen an Offshore-Anlagen. Doch das wollen die Mitglieder der Initiative nicht glauben: Sie unterstellen, es gehe bloß darum, Geld zu scheffeln
: Das Brummen der Rotoren

Aufs Land gezogen und trotzdem keine Ruhe: Rolf Thiedemann und Jenny Brodersen können Offshore-Leute beim Trainieren beobachten. Dabei kommen auch Hubschrauber zum Einsatz Foto: Sven-Michael Veit (oben), Offtec (unten)

Aus Enge-Sande Sven-Michael Veit

Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, den Jenny Brodersen und Rolf Thiedemann führen. Und davon gibt es reichlich hier in Nordfriesland. Mehr Windräder als Bäume, so will es scheinen, stehen im äußersten Nordwesten Deutschlands entlang der Nordseeküste. Auch hier in Enge-Sande zwischen Husum und Niebüll, 20 Kilometer hinterm Deich. Zwei Windräder mehr können da eigentlich kein Grund zur Aufregung sein. „Doch“, sagt Jenny Brodersen, „wir haben nichts gegen Windkraft. Aber wir wollen nicht die Opfer der Energiewende sein.“

Die Energiewende ist die Vision von Marten Jensen. Auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände am Ortsrand der 1.000-Seelen-Gemeinde will der 48-Jährige sie realisieren. Green-Tec Campus heißt die Konversionsfläche jetzt. Mit allein vier selbst gegründeten Unternehmen sitzt Jensen als Geschäftsführender Gesellschafter auf dem 130 Hektar großen Gelände.

„Wir sind ein Living Lab“, sagt Jensen, ein lebendes Laboratorium „für die Weiterentwicklung grüner Technologien in Theorie und Praxis“. Seine Firma Green-Tec verkauft Windstrom und kümmert sich um die Ansiedlung weiterer Unternehmen aus der regenerativen Branche. Die Geo-mbh plant und realisiert Windparks. Easywind baut kleine Windanlagen für die Stromversorgung kleiner Firmen und großer Häuser.

Und Offtec, die größte seiner Firmen, bietet im grünen Gewerbepark in Enge-Sande Sicherheitstraining für Windparkbetreiber an; Rettungseinsätze in Notfällen an Land und auf See, onshore und offshore, sollen hier unter realistischen Bedingungen simuliert werden, und dafür will Jensen nun zwei neue große Windkraftanlagen neuesten Typs errichten, 180 Meter hoch. Das sorgt für Widerstand in Enge-Sande.

Zwei Windräder zu viel

„So ein Projekt ist hier nicht vorgesehen“, sagt Rolf Thiedemann, „es dürfte nie genehmigt werden.“ Der Lärm, der Schattenschlag, die Sichtbeeinträchtigung, der Wertverlust der Häuser – zehn Anwohner sind sie, die das nicht mit sich machen lassen wollen: die Scholzens, die Jessens, die Pohlmanns, das Ehepaar Brodersen und Thiedemann. Ein Dutzend gelber Plakate haben sie im Ort aufgestellt, auf denen eine Windanlage zu sehen ist und die Forderung „Stop den Wahnsinn“. 100 Unterschriften haben sie gesammelt, fast ein Zehntel aller Einwohner hat unterschrieben, aber wahrscheinlich vergeblich.

„Höchste Protektion“ für Jensen durch politische Kreise vermutet Thiedemann. Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) sei schon bei Offtec gewesen, der grüne Energieminister Robert Habeck ebenfalls. Erst im Sommer besuchte Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) die Firma: „Da gibt es direkte Kontakte“, vermutet Thiedemann. „Die bekommen eine Ausnahmegenehmigung für ein Gebiet, wo gar keine Windanlagen stehen dürfen“, sagt er. „Offtec ist ein für die politisch gewollte Energiewende wichtiges Unternehmen in Schleswig-Holstein“, sagt Minister Meyer. „Aber gemauschelt wurde da nichts.“

Marten Jensen ist Ingenieur und hat selbst als Techniker auf Windkraftanlagen gearbeitet. Er sprudelt vor Energie, Ideen und Worten. Der nordfriesische Kleiderschrank, zwei Meter groß und mit Händen wie Schaufeln, ist der Typ, den man beim Handball oder Eishockey nur ungern zum Gegenspieler hätte. Das Hindernis, das Marten Jensen aufhält, so will es scheinen, muss erst noch erfunden werden. „Ich bin doch nur ein Bauernjunge aus Enge-Sande, ich bin doch von hier, alle kennen mich“, sagt Jensen treuherzig. „Wir alle müssen uns arrangieren mit der Energiewende, die wir doch alle wollen.

Jensen will sie aber auch gestalten. Das Trainingszentrum von Offtec in den ehemaligen Bundeswehr-Anlagen umfasst Kletterhallen, ein Wasserbecken, in dem bei 2,50 Meter hohen Wellen Einsätze an Offshore-Windanlagen trainiert werden können, und Windmühlen verschiedener Größe im Freigelände. Raufklettern kann man, Verletzte bergen, sie und sich wieder abseilen. Auch mit dem Hubschrauber werden Notfälle selbst an rotierenden Anlagen simuliert. 10.000 amtlich anerkannte Zertifikate für Techniker sind hier bereits ausgestellt worden. „Das ist weltweit einzigartig“, sagt Jensen, „das können nur wir bieten.“ Und diesen Vorsprung an Know-how will er nicht an die internationale Konkurrenz verlieren.

Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat am 6. Dezember 2016 neue Regionalpläne für den Ausbau der Windkraft beschlossen:

In 354 „Vorranggebieten“ auf 1,98 Prozent der Landesfläche sollen Windräder erlaubt sein. Das sind etwa 310 Quadratkilometer. Zurzeit stehen im Land etwa 3.100 Windräder – 1.300 von ihnen außerhalb der künftigen Zonen. Für sie gibt es Bestandsschutz, sie dürfen aber nicht durch neue ersetzt werden (Repowering).

Alle Windräder zusammen haben eine Leistung von etwa 6.500 Megawatt. Das entspricht der Leistung von viereinhalb großen Atomkraftwerken wie Brokdorf und Grohnde. Bis 2025 sollen sich an Land (onshore) 3.600 Windmühlen mit 10.000 Megawatt Leistung drehen – genug, um Schleswig-Holstein und Hamburg vollständig mit Ökostrom zu versorgen.

Der Abstand zu Einzelhäusern soll mindestens 400 Meter betragen, 800 Meter zu Siedlungen. Immer muss der Abstand aber mindestens dreimal so groß sein wie die Höhe der Anlage.

Zum Schutz von Seeadlern dürfen rund um die großen Seen der Holsteinischen Schweiz keine Windanlagen errichtet werden.

Training für Siemens

Deshalb hat Offtec eine Ausbildungsvereinbarung mit Siemens abgeschlossen, Deutschlands größtem Windanlagenbauer. Hier in Nordfriesland will der Weltkonzern seine Leute trainieren lassen, hier sollen sie fit gemacht werden für gefährliche Einsätze weltweit auf hoher See. Damit das unter realistischen Bedingungen geschehen kann, müssen zwei Windmühlen der neuesten Generation installiert werden. Die Errichtung von zwei Siemens SWT-3.6-130 mit einer Nabenhöhe von 115 Metern, einem Rotordurchmesser von 130 Metern, einer Gesamthöhe von 180 Metern und einer Nennleistung von 3,6 Megawatt wurde beantragt.

„Wir können die ja nicht in Timbuktu aufstellen“, sagt Klaus Loesmann, kaufmännischer Geschäftsführer bei Offtec. Die mehrwöchigen Trainings mit theoretischen und praktischen Anteilen müssten an einem Ort stattfinden. Ein Schulungszen­trum hat Offtec auf dem Gelände errichtet, ein Gästehaus samt Mensa wurde jüngst fertiggestellt, wo die Teilnehmer der Lehrgänge wohnen und essen.

Millionen hat Offtec investiert, und jetzt soll es bitte losgehen. Die Zahl der MitarbeiterInnen – 42 Voll- und Teilzeitkräfte plus 23 Honorarkräfte bei Offtec sowie 40 weitere Beschäftigte bei den anderen Jensen-Firmen – werde auf 200 und mehr steigen, versprechen Jensen und Loesmann. Ausbilder und Techniker würden ebenso gesucht wie Personal für den Betrieb von Gästehaus und Mensa. Der mit Abstand größte Arbeitgeber in weitem Umkreis ist Offtec und mit rund 700.000 Euro Gewerbesteuern seit 2011 der größte Steuerzahler von Enge-Sande. „Alle hier profitieren von uns“, sagt Jensen, „was sollen wir denn noch machen, damit das Gemecker aufhört?“

Für Thiedemann erinnert Jensen eher an einen Großrancher, der einen kleinen Ort im wilden Nordwesten unterjocht. „Gegen den kommt man hier nicht an“, sagt er. Auch im Gemeinderat säßen vier Leute, die mit Offtec „geschäftlich verquickt“ seien. „Das war alles schon in trockenen Tüchern“, glaubt Thiedemann. „Wir werden hier nur veralbert.“

Aufs Land rausgezogen

2010 sind Jenny Brodersen und Rolf Thiedemann aus Hamburg hierhergezogen. Brodersens Elternhaus haben sie übernommen, Jenny ist hier aufgewachsen und Jensen kannte sie schon, „als der Marten noch so’n Steppke war“. Sie haben das alte Haus saniert und umgebaut, und nun wollen sie hier ihr Pensionärsdasein genießen. Brodersen, jetzt 62, hatte jahrzehntelang ein Geschäft in der Hamburger Innenstadt unweit vom Rathaus, Thiedemann, inzwischen 75, war Konrektor an der Realschule in Wedel.

Doch kaum hatten sie sich häuslich eingerichtet, passierte im März 2011 Fukushima. Es folgten Atomausstieg und Energiewende und mit ihr kamen Marten Jensen und Offtec. Der freie Blick aus den bodentiefen Fenstern im Haus von Brodersen und Thiedemann geht nach Süden, zur Sonne und auf ein Dutzend Windräder auf einem Feld, das ehedem eine Kuhweide war. Und eben dort will Offtec jetzt auch noch die beiden Trainings-Windräder aufstellen.

Mauschelei vermutet

„Da gibt es direkte Kontakte. Die bekommen eine Ausnahmegenehmigung für ein Gebiet, wo gar keine Windkraftanlagen stehen dürfen“

Anwohner rolf thiedemann

Thiedemann hat Mathe und Geografie unterrichtet. Er kann rechnen, und er kann mit komplizierten Karten und Grafiken umgehen. „Die Schallisophonenkarte“, sagt er, „die ist erstaunlich.“ Haarscharf vor den ersten betroffenen Häusern weist diese Karte aus den Antragsunterlagen die Einhaltung des Schall-Grenzwerts von 45 Dezibel auf – „so ein Zufall“, spottet Thiedemann. Aber wie dagegen angehen? Rund 10.000 Euro haben Brodersen und Thiedemann und die anderen Kritiker bereits ausgegeben für juristischen und technischen Rat. Ein eigenes Schallgutachten in Auftrag zu geben, wäre unbezahlbar.

Eine öffentliche Anhörung hat es gegeben, am 1. Dezember in Niebüll, veranstaltet und geleitet vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) im Umwelt- und Energieministerium des grünen Ministers Habeck. Alles wurde da einen ganzen Tag lang zwischen 9 und 17 Uhr besprochen, räumen Brodersen und Thiedemann ein, aber alles wurde abgewiesen: die Zweifel an den Schallmessungen, die Kritik an den langen Schatten der Windanlagen, die Planierung einer 15.000 Jahre alten eiszeitlichen Binnendüne, die aber nach Einschätzung der Naturschutzbehörde „kein Biotop gemäß Landesbiotopaufnahme“ ist, der Hinweis auf die unmittelbare Nähe zu Flora-Fauna-Habitat-Gebieten, die Abholzung eines Nadelwalds, für den Offtec in der Nähe neue Bäume pflanzen will. „Uns wurde vorgegaukelt, wir könnten auf dem Erörterungstermin noch etwas bewirken“, sagt Thiedemann, „aber das war alles schon entschieden.“

Handstreichartig, so mag es scheinen, genehmigte das LLUR nur vier Wochen später vorläufig die Windanlagen von Offtec – am 29. Dezember. „Die hatten es aber eilig“, spottet Thiedemann. Mal so eben zwischen den Jahren solche Entscheidungen zu treffen, sei schon merkwürdig. Obwohl es ihn nicht wirklich überrascht hat. Denn bereits am 11. April 2016 hatte die Staatskanzlei von Ministerpräsident Albig in einer Mail an Marten Jensen mit Kopie an Umweltminister Habeck bestätigt, dass sie sich „weiterhin an die bisherige Zustimmung zu dem Projekt gebunden fühlt. Die Landesplanung wird deshalb eine Ausnahme mittragen.“

Solche Ausnahmegenehmigungen können „in besonders begründeten Einzelfällen“ erteilt werden, antwortete die Landesregierung am 20. Dezember 2016 auf eine Kleine Anfrage des FDP-Abgeordneten Oliver Kumbartzky. „Aufgrund des hohen landespolitischen Interesses an der Sicherung von Arbeitsplätzen in einer strukturschwachen Region“ überlege die Landesregierung, für Offtec eine „Sonderregelung für die Errichtung von Windkraftanlagen zu Trainings- und Ausbildungszwecken als Erweiterung eines landesweit einmaligen Betriebes“ zu erlassen, lautete die Auskunft. Davon hätten „die Hausspitzen“ der Staatskanzlei und des Umwelt- und Energieministeriums „Kenntnis“, also Albig und Habeck. In der Tat – Offtec ist Chefsache in Schleswig-Holstein.

Nicht im Vorranggebiet

Dass die beiden Rotoren außerhalb der definierten Vorranggebiete für Windanlagen aufgestellt würden, bestätigte auf Anfrage der taz der stellvertretende Regierungssprecher Lars Erik Bethge. Voraussetzung für die erforderliche Ausnahmegenehmigung sei ein Mangel an Alternativstandorten, und der sei nachgewiesen worden – Timbuktu sei eben keine Option.

Eben das ist es, was Brodersen und Thiedemann für ein abgekartetes Spiel halten. Denn die Ausnahmegenehmigung enthält auch die Erlaubnis, die beiden Trainingsanlagen zur regulären Stromerzeugung zu nutzen. Diese sei „projektimmanent“ für den Trainingsbetrieb „technisch erforderlich“ und zudem „Teil der wirtschaftlichen Darstellbarkeit“ des Vorhabens, heißt es in dem Bescheid. Für Thiedemann und Brodersen ist das der Beleg, dass der Trainingszweck Etikettenschwindel ist.

„Unzweifelhaft geht es um die Produktion von elektrischer Energie und damit vorrangig um Erzielung hoher Einnahmen“, glauben sie. Denn nur der Stromproduktion dienende Windmühlen wären an den geplanten Standorten außerhalb der festgelegten Bereiche niemals genehmigt worden: „Lediglich das vorgeschobene Argument ‚Trainingszweck‘ hat letztlich die Genehmigung auf dem Wege einer Sonderregelung möglich gemacht.“

Loesmann weist das zurück. Der Strom, den die Anlagen im Trainingsbetrieb produzierten, werde in der Tat ins Netz „eingespeist, somit verkauft“. Wegen ihres Sonderstatus unterlägen sie aber verschärften Auflagen. Deshalb sei „mit Mindererlösen zwischen 20 und 80 Prozent der maximal möglichen Einspeiseerlöse“ zu rechnen. Überdies sei Offtec bereit, einen Teil des Windstroms kostenlos an die Gemeinde abzuführen, „für die Schule, den Kindergarten, das Sportheim, die Feuerwehr und so“, sagt Loesmann. „Das haben wir jetzt zusätzlich angeboten, um des lieben Friedens Willen.“

Am kommenden Montag wird die Genehmigung der Offtec-Anlagen im Amtsblatt Schleswig-Holsteins veröffentlicht. Dann werden die Unterlagen ausgelegt, danach beginnt die vierwöchige Widerspruchsfrist. „Und dann wollen wir stringent und so bald wie möglich mit dem Bau anfangen“, sagt ­Loesmann, „im Frühherbst wollen wir gerne fertig sein.“

Was sie dann tun werden, Brodersen und Thiedemann, die Scholzens, die Jessens und die Pohlmanns, wissen sie noch nicht. Vor die Gerichte ziehen, einen vorläufigen Baustopp erwirken, das Projekt verzögern – „das müssen wir in Ruhe besprechen“, sagt Thiedemann. Der Kampf gegen Windmühlen in Enge-Sande ist noch nicht zu Ende.