Nachruf

Der polnisch-britische Philosoph und Soziologe Zygmunt Bauman ist am Montag in Leeds gestorben. Er wurde 91 Jahre alt

Ein Leben lang Pole

Vita Der jüdische Intellektuelle verließ 1968 seine Heimat wegen einer antisemitischen Kampagne

BERLIN taz | „Ein Nürnberg für die Kommunisten,“ forderten kahlgeschorene, nationalistische Aktivisten 2013 bei einer Veranstaltung mit Zygmunt Bauman im polnischen Breslau. Die Szene steht sinnbildlich für das Verhältnis des großen Soziologen zu seiner Heimat: Seine kommunistische Vergangenheit trugen ihm viele Polen sein Leben lang nach.

Baumans Vater Maurycy war Jude und Kaufmann. Das habe aber nicht geheißen, dass die Familie reich gewesen sei, so Bauman 2013 im Interview mit Polens größter Tageszeitung Gazeta Wyborcza: „Wir waren arm, mein Vater versuchte sich deswegen das Leben zu nehmen. Und dass ich Jude bin, machte es auch nicht einfacher.“

Beim deutschen Überfall auf Polen 1939 flohen die Baumans in die Sowjetunion, der Sohn wurde Mitglied im kommunistischen Jugendverband. 1943 schrieb er sich an der Universität in Nischni Nowgorod ein, 1944 wurde er Soldat. Bei der Befreiung des heutigen Kołobrzeg wurde er 19-jährig verletzt. Nach Kriegsende blieb er in Polen und wurde Geheimdienstoffizier. Damals galt er als linientreu.

„Man muss versuchen, sich in die Zeit zu versetzen“, erklärt der polnische Publizist Marek Beylin. Krieg und Holocaust hätten zu einer tiefen Depression geführt, der Kommunismus habe sich als Zukunftsmodell angeboten. Später allerdings zeigten viele damals hoffnungsvolle KommunistInnen Reue und distanzierten sich von ihrer Ideologie – so auch Bauman.

Vorerst aber studierte er Soziologie und Philosophie in Warschau, lehrte ab 1954 an der Universität. Nach Promotion und Habilitation stand er ab 1964 dem soziologischen Seminar vor. Zu dieser Zeit stemmte sich Parteichef Władysław Gomułka gegen Liberalisierungsbestrebungen. Während des Sechstagekrieges 1967 kam es zu spontanen Solidaritätsbekundungen polnischer Bürger jüdischer und nichtjüdischer Herkunft für Israel. Die Sowjetunion dagegen verurteilte das israelische Vorgehen als „imperialistisch“. Damit war die Direktive an Warschau klar.

Der Anführer der innerparteilichen Gruppe der „Partisanen“, Mieczysław Moczar, versuchte die Gunst der Stunde zu nutzen, um einen nationalistisch-kommunistischen Kurs umzusetzen und Gomułka zu stürzen. Zu Moczars Strategie gehörte dabei eine antisemitische Kampagne: In Folge der Märzunruhen 1968, die auf die Aufführungen des Stücks als antisowjetisch gedeuteten Theaterstücks „Dziady“ ausbrachen, wurde offen gegen Polen jüdischer Herkunft agitiert. Gomułka sprach von einer „fünften Kolonne“. Ungefähr 8.000 Parteimitglieder wurden zum Austritt gezwungen, 30.000 Menschen verließen bis 1970 das Land.

Bauman gab aus Protest sein Parteibuch ab. Er verlor seine Anstellung an der Universität und emigrierte nach Israel, wo er in Haifa lehrte. Als Kritiker von Israels Politik gegenüber den Palästinensern hatte er aber auch dort keinen leichten Stand. 1971 verließ er das Land wieder und ging an die Universität Leeds, wo er bis zu seiner Emeritierung 1991 als Professor tätig war. Darüber hinaus war er Gastprofessor in Berkeley, Yale, Canberra und Kopenhagen.

In erste Ehe war Bauman verheiratet mit der 2009 verstorbenen Autorin Janina Lewinson, mit der er drei Töchter hatte. Danach lebte er mit der bekannten polnischen Soziologin Aleksandra Jasińska-Kania zusammen.

„Sein ganzes Leben war Bauman ein Pole“, sagt Publizist Beylin. Die Ehrendoktorwürde der Universität Breslau nahm er nach den Anfeindungen von 2013 nicht an. Philipp Fritz