Doku über Urban Gardening: Der Geschmack der wilden Birne

In „Wild Plants“ geht es nicht nur um das Gärtnern im Stadtraum. Der Zuschauer lernt etwas über Spiritualität, Werden und Vergehen.

Eine Frau im T-Shirt hält sich die linke Hand vor den Mund

Erdige Hände gehören dazu: Szene aus „Wild Plants“ Foto: Close Up Films

Mehr oder weniger abgeschlagen vom allgemeinen Gewusel wird hier gelebt, hat man sich eine Existenz aufgebaut, die näher den Zyklen der Natur verpflichtet ist als den Öffnungszeiten des Supermarkts. Im Falle von Maurice Maggi, Anwohner der Stadt Zürich, erfüllt sich sogar ein weiteres Gleichnis: Maggi sät, seit einigen Jahren schon, Pionierpflanzen im gesamten Stadtgebiet. Eine Karte, die er Humbert präsentiert, zeigt dies eindrücklich: überall rote Streifen, Hunderte.

Wie ein Spinnennetz, findet Maggi, der selbst eine Pionierpflanze ist, ein Gewächs, das nicht viel braucht, um zu gedeihen, das den Boden aber gleichsam anreichert, ihn bewohnbar macht für alles und jeden, der noch kommen möge. Nachts zieht Maggi los, streut Samen aus, sitzt zwischendrin auf einer Bank und raucht eine Zigarette.

Daheim gibt es Plastiktöpfchen, auf denen Blütenfarben vermerkt sind. Bevor er sich auf Tour begibt, stellt er eine gute Mischung zusammen. Er wirkt friedlich, von der Statur her ist er eher hager, so, als hätte er selbst seine Wurzeln in kargem Boden versenkt. Maurice Maggis Welt ist die Stadt bei Nacht.

Auch Kinga Osz und Andrew Kemp sind mit einer Stadt verbunden, allerdings ganz anders als Maggi. Osz und Kemp leben in Detroit. Die Stadtflucht hat zahlreiche Häuser hinterlassen, Brachen, nicht wenige von ihnen unheimlich. Doch so wie Humbert beide bei ihrer Arbeit beobachtet, spielt die Stadt im Hintergrund überhaupt keine Rolle. Die beiden könnten überall leben, wo es genügend Fläche zu bewirtschaften gibt.

Hände, Erde und Pflanzen

Ähnlich ist es bei den Mitgliedern der Les Jardins de Cocagne, einer Gemeinschaft zumeist junger Landwirte, die Bioerzeugnisse für die umliegenden Städter erzeugen. Was zu sehen ist, sind Hände und Erde und Pflanzen. Und zu hören? Allerhand Tiefsinniges, das sich durch die Beschäftigung mit den Kreisläufen von Werden und Vergehen erschlossen hat.

In einem langen Monolog etwa filmt Nicolaus Humbert Kinga Osz, die vor einigen Jahren aus Ungarn nach Detroit gekommen ist – und die erst durch den Umgang mit Kompost ihren Frieden mit der Sterblichkeit machen konnte. Schließlich würde alles einmal zu Kompost, diesem unattraktiven, doch unerlässlichen Rohstoff. Kinga Osz interessieren die verschiedenen Zustände, in denen sich das Leben präsentiert – und vor allem die Tatsache, dass sie alle voneinander abhängen.

Sinn und Spiritualität

In „Wild Plants“ geht es um Transformationen, und damit ist dieser Film nicht nur eine Beobachtung sympathischer Gärtner bei der Arbeit, sondern auch ein Film über Sinnhaftigkeit. Zuweilen geht es auch spirituell zu, etwa wenn Milo Yellow Hair im Reservat Pine Ridge in South Dakota Rituale mit Pflanzen vollführt.

In „Wild Plants“ hat man es mit Suchenden zu tun, die auf ihrem Weg schon ein ganzes Stück vorangekommen sind. Für sie, die Reisenden und die Wildpflanzen, interessiert sich Regisseur Humbert schon lange. In „Step Across the Border“ (1990) folgte er dem Musiker Fred Frith, der, so heißt es, „im unaufhörlichen Stoffwechsel mit der Welt“ steht. „Brother Yusef“ (2005) lässt sich auf Yusef Lateef ein, einen alten Jazzmusiker, der zurückgezogen in einem Holzhaus in den Wäldern Massachusetts lebt. Und in „Lucie & Maintenant – Journal nomade“ (2007) fährt man mit einem jungen Paar in einem VW-Bus rum.

„Wild Plants“. Regie: Nicolaus Humbert. Deutschland/Schweiz/USA 2016, 108 Min.

All diese Filme sind in enger Zusammenarbeit mit Werner Penzel entstanden, von dem im letzten Jahr „Zen for Nothing“ zu sehen war, ebenfalls ein Dokumentarfilm (der eine Frau während ihres Aufenthalts in einem Zen-Kloster zeigt). Hier konnte man auch ab und zu mal jemanden weinen sehen, aufgrund von Einsichten, die zwischen Meditation und Duschen unter eiskaltem Wasser an die Oberfläche drängten.

In „Wild Plants“ scheinen derartige Prozesse weitgehend abgeschlossen: Andrew Kemp erfreut sich glaubhaft an dem Geschmack einer wilden Birne, der Gründer der Les Jardins de Cocagne hockt zufrieden unter einem Baum, es gibt weder Konflikte noch Stunk. Das ist so ungewohnt, dass es fast schon wieder skeptisch stimmt.

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