Die Notbremse ziehen

P.E.N. Russland Swetlana Alexijewitsch tritt aus Protest aus dem Schriftstellerverband aus

Die weißrussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch fand wie so oft deutliche Worte. Nein, einer Organisation, die der Staatsmacht die Stiefel lecke, wolle sie nicht mehr angehören, sagte sie der weißrussischen Zeitung Nascha Niwa. Die Organisation ist das russische P.E.N.-Zentrum, dem die 67-Jährige jetzt den Rücken kehrte.

Stein des Anstoßes ist der Fall von Sergej Parchomenko. Der Journalist, Blogger und Aktivist war Ende Dezember 2016 aus dem P.E.N.-Zentrum ausgeschlossen worden – wegen „provokativer Aktivitäten“, wie es zur offiziellen Begründung hieß.

Parchomenko selbst stellte die Causa jedoch auf der Website des Radiosenders Echo Moskwy etwas anders dar. In Wahrheit sei er für seine Kritik am russischen P.E.N. abgestraft worden, den ukrainischen Filmemacher Oleg Senzow nicht unterstützt zu haben. Senzow stammt ursprünglich von der Krim und ist ein erklärter Gegner der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel durch Russland. Am 11. Mai 2014 wurde er wegen des Verdachts, terroristische Aktionen geplant und vorbereitet zu haben, festgenommen und nach Moskau überstellt. Im August 2015 erging das Urteil: 20 Jahre Straflager wegen Terrorismus. Seine auch international scharf kritisierte Haftstrafe sitzt Senzow derzeit in Irkutsk ab.

Doch nicht nur die gehäufte Anzahl an Austritten zeigt an, dass es im P.E.N. mächtig gärt. So wandten sich jetzt 47 Mitglieder mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit. Darin fordern sie unter anderem, so schnell wie möglich eine Versammlung des Zentrums in Moskau einzuberufen und dem Exekutivkomitee das Misstrauen auszusprechen. P.E.N.-Chef Jewgeni Popow vermag indessen keine Probleme zu erkennen. Im P.E.N. gebe es immer noch mehr als 400 Mitglieder, aber nur einen Parchomenko, sagte er der russischen Nachrichtenagentur Interfax.

Verfolgte nicht verteidigt

Swetlana Alexijewitsch ist nicht die Einzige, die jetzt die Notbremse gezogen hat. Vor wenigen Tagen verabschiedete sich auch der bekannte Autor historischer Kriminalromane, Boris Akunin, aus dem Club. Akunin war einer der Wortführer bei den Protesten 2011/2012. Zehntausende waren damals gegen Fälschungen bei den russischen Parlamentswahlen im Dezember und Wladimir Putins Rückkehr ins Präsidentenamt auf die Straße gegangen. Das P.E.N.-Zentrum habe verfolgte Schriftsteller nicht verteidigt und mit der globalen P.E.N.-Bewegung nichts mehr gemein, sagte Akunin jetzt.

Alexijewitsch, die mit ihrer Dokumentarprosa dem Homo sovieticus ein literarisches Denkmal gesetzt hat, haderte offensichtlich schon länger damit, ob sie dem russischen P.E.N. erhalten bleiben solle. Man habe sie lange gebeten, nicht zu gehen, und sie sei geblieben, erzählte sie der Zeitung Nascha Niwa. Doch die Hoffnung, diesen Kampf durchhalten zu können und einen Sieg der „dunklen Seite“ zu verhindern, habe sich nicht erfüllt.

„So etwas Ähnliches hat es mit Schriftstellern auch zu Zeiten Stalins gegeben“, sagte sie. „Da hielten sich sowohl die Schriftsteller als auch deren ­Organisationen zurück. Wladimir Putin wird irgendwann gehen. Doch diese Seite wird immer in der Geschichte des P.E.N. bleiben.“ Barbara Oertel