Debatte Silvesternacht in Köln: Jetzt reden die Männer

Die Diskussion um die Silvesternacht macht aus Frauen Opfer, die es zu beschützen gilt. Wo sind die weiblichen Stimmen, die dem widersprechen?

Polizisten umringen am Silvestertag 2016 vor dem Hauptbahnhof in Köln eine Gruppe Männer

Wer ist Täter und wer ist Opfer? Die Frage wird nach der Silvesternacht 2016/2017 in Köln neu diskutiert. Um Frauen geht es dabei nicht mehr. Foto: dpa

Frauen, egal welcher Herkunft, sehen die Silvesternacht von Köln 2015 als Chiffre für sexualisierte Gewalt und Frauenverachtung. Auch für jene Verachtung von Frauen, die in patriarchal strukturierten Gesellschaften – aber nicht nur dort – vorkommt. Für zumeist deutsche Männer dagegen steht die Nacht, in der Hunderte Frauen am Kölner Hauptbahnhof sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, für den Verlust der Hoheit über den Ort. Und den der Deutungshoheit. Die wollen sie zurück.

Während sich kurz nach der Silvesternacht 2015 noch Frauen zu Wort meldeten und die Universalität von sexualisierter Gewalt in die Debatte mit einbrachten, werden ihre Stimmen, bis auf jene von Alice Schwarzer, zum Jahrestag der Ereignisse nicht mehr wahrgenommen. Statt dessen schreiben oft Männer die Leitartikel zu Köln, erklären Wissenschaftler, wofür es steht. Und sie führen in ihren Artikeln zu dieser „Zeitenwende“, so Guido Wolf (CDU), all das an, was seit einem Jahr wie Tatsachen gehandelt wird: Dass Köln das Scheitern der Willkommenskultur zeige, wie auch das Versagen der Polizei.

Dass Köln belege, wie notwendig flächendeckende Videoüberwachung sei und dass Political Correctness zum Problem beigetragen habe. Dass populistische Parteien durch die Ereignisse erst stark geworden seien und auch die Erosion der Zivilgesellschaft wird als Folge von Köln genannt. Als „Entfesselung des Bestätigungsdenkens“ bezeichnete Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler, die Erklärungswut schon vor einem Jahr.

Männerthema: Sicherheit

Neu in den Analysen zum Jahrestag ist vor allem die Frage nach der Sicherheit. Kaum eine Zeitung, in der kein Mann dazu etwas sagt. Das Sicherheitsthema – eine Männerbastion – bekam dann nach Silvester 2016 überraschend eine neue Wendung: Rassismus. Um nicht erneut die Ortshoheit zu verlieren, hätte die Kölner Polizei Maßnahmen ergriffen, denen ein rassistisches Raster zugrunde liege. So wird aus dem Täterprofil dann wieder ein Opferprofil, was manchen auch ins Diskursschema passt.

Der Großteil der Frauen meldet sich indes nicht mehr zu Wort – oder wurde, wenn doch, kaum gehört. Warum nicht? Weil ihre Erklärungen nicht weltgreifend genug sind? Auf der Webseite des Feministischen Instituts Hamburg ist eine andere Erklärung zu lesen. Frauen würden durch die Schlüsse, die aus der Silvesternacht in Köln gezogen werden, „erneut zum Schweigen gebracht, zu Opfern gemacht, es gelte sie zu beschützen.“

Die Erkenntnisse aus dem Desaster in Köln zeigen ein Muster: Es wird nach Schuldigen gesucht jenseits eigener Verantwortung

Die Erkenntnisse, die aus dem Desaster in Köln gezogen werden, zeigen ein Muster: Es wird nach Schuldigen gesucht jenseits der eigenen Verantwortung. Die Polizei hat versagt. Merkels Politik hat versagt. Die Herkunftsländer, aus denen die Täter kommen, sind „failed states“ und versagen. Die Integrationspolitik in der Bundesrepublik hat versagt. Die Linken mit ihrem Toleranzgebaren ebenso.

Allerdings bringt es keine Entlastung, Schuldige zu benennen. Nur, was bringt es dann?

Und ebenfalls fatal in dieser ganzen Deutungswut: Wenn von der Art, wie über Köln geredet wird, tatsächlich rechte Parteien profitieren, fördert die Diskussion gleichzeitig, was sie beklagt. Denn diese Parteien stehen wie die Täter von Köln, der modernen, zivilen Gesellschaft, in der sich Frauen über einen langen Zeitraum das Recht erkämpft haben, emanzipiert, gleichberechtigt und selbstbestimmt zu leben, abwehrend gegenüber.

Ja und natürlich auch das: Alle, deren Frauen und Töchter den öffentlichen Missbrauch erlebten, konnten von ihren Familien, ihren Männern nicht geschützt werden. Sie werden es als Versagen wahrgenommen haben, ihr Ehrgefühl mag berührt worden sein.

Dies in einer Kultur, wie der hierzulande, die seit dem Kriegsende im Jahr 1945 selten nur noch in überkommenen Kategorien der Ehre verhaftet war. Der verlorene Weltkrieg, aber auch die Erkenntnis, was für eine Unrechtsregime in der Nazizeit herrschte, ließ Vergeltungsdenken im Namen der Ehre nicht länger glaubwürdig erscheinen ließ.

Umgekehrt wird dann aber auch die Gewalt gegen Frauen im Krieg nicht mehr wahrgenommen. Wie sonst ist der Satz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Dezember 2016 zu verstehen? Dort steht: „Zwar war das Phänomen massenhafter sexueller Übergriffe in Europa bisher unbekannt“, doch habe es schon vorher einschlägige Erfahrungen mit Intensivtätern gegeben. Schon vergessen, die massenhafte Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg? Begangen von deutschen Soldaten. Begangen von russischen Soldaten. Und die Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien, fanden die außerhalb Europas statt?

Widersprüche zulassen

„Köln“ ist zur Chiffre geworden für Silvesternächte, die aus dem Ruder laufen. Was diesmal wirklich passiert ist und was daraus folgt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Januar 2017. Außerdem: Die digitale Patientenkarte ist Pflicht beim Arztbesuch. Unsere Autorin will sich dem System verweigern, weil sie Angst vor Datenmissbrauch hat. Geht das? Und: Der zweite Band der neapolitanischen Saga „Meine geniale Freundin“ ist erschienen. Andreas Fanizadeh hat ihn gelesen. Das alles und noch viel mehr – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Ein Denkansatz fällt in der Diskussion heraus: Jener, der ausgehend von den Ereignissen in Köln deutlich machen kann, dass es keine widerspruchsfreie Diskussion gibt. Man kann sich in der Flüchtlingshilfe engagieren und die Migranten, die die Kölner Silvesternacht nutzten, um ein frauenverachtendes Herrschaftsbild zu zeichnen, trotzdem kritisieren. Armin Nassehi sagte es in der taz so: „Menschen, für die man sich einsetzt“, können „durchaus Arschlöcher sein.“ Welche Befreiung, wenn diese Erkenntnis nicht länger als Tabu gehandelt wird.

Was Nassehi in dem Interview auch sagt: „Nicht aus Zufall sind Themen wie die Familienpolitik, die Geschlechterrollen, die sexuelle Orientierung und die Frage der Migration die entscheidenden Trigger in einem Kulturkampf“, in dem autoritäre, patriarchale Herrschaftsstrukturen auf die deutsche Gesellschaft treffen. Eine Gesellschaft, die in sich aber ebenfalls widersprüchlich ist und in der neoautoritäres Denken die Flüchtlinge aus patriarchalen Gesellschaften zwar ausgrenzen will, aber im Grunde ihr Herrschaftsmodell in Teilen wieder gut findet – eben in der Familien- und Geschlechterpolitik.

Wenn dem so ist, stellt sich erst recht die Frage: Warum melden sich Frauen kaum zu Wort und was wäre anders, wenn man sie hörte? Vielleicht würde dann deutlicher, dass Frauen im öffentlichen Raum noch nie Ortshoheit hatten. Vielleicht ginge es dann weniger um die Frage, wer Schuld am Desaster hat, sondern um Verantwortung. Nicht die Verbotskultur, sondern die Ermöglichungskultur bekäme Vorrang. Nicht Eskalation sondern Ausgleich, nicht schneller Populismus, sondern intelligentes Denken gelten.

Möglicherweise würde auch, hätten Frauen die Diskurshoheit, anders über das, was passiert, geredet. Widerspruch zulassend. Vielleicht würde auch weniger in Substantivierungen, gesprochen sondern in handlungsorientierter Sprache. Männer fordern lautstark mehr Sicherheit im öffentlichen Raum; Frauen hingegen fühlen sich unsicher. Das ist ein Riesenunterschied. Das könnte doch alles sein. Oder?

Gewalt skandalisieren

Möglich auch, dass Frauen endlich lautstark von Männern erwarteten, dass Männer Männer erziehen. Nicht den Frauen soll es obliegen, sexualisierte Gewalt zu skandalisieren und Tabus zu brechen, sondern auch den Männern. Nicht nur am Bahnhof in Köln, sondern in jeder Familie, in jeder Nachbarschaft, auf jedem Dorf. Beziehungstaten – you know.

Die Ideen wollen nicht abbrechen, was sein könnte, wenn die Stimmen von Frauen an prominenterer Stelle zu hören, zu lesen wären. Vielleicht würden sie ein Patenmodell für Flüchtlinge fordern. Vielleicht würde durchgesetzt, dass Werbung Kulturvermittlung sein muss und nicht Konsumvermittlung. Vielleicht würden Strategien entwickelt, wie das gute Leben nicht auf der Ausbeutung Dritter beruht.

Und wenn es stimmt, was der Aggressionsforscher Alexander Schauss herausfand, als er die Wirkung von Farben auch in Gefängnissen erforschte, dass Pink nämlich die Farbe ist, die am stärksten befriedet, dann werden Frauen in Zukunft fordern, dass es mehr von dieser Farbe im öffentlichen Raum gibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.