Schöner Müll Computer-Disketten benutzt kein Mensch mehr. Aber die Aufbewahrungsboxen, die lassen sich noch gebrauchen
: Es wächst was nach

Löcher bohren, am Brett festschrauben, aufstellen Fotos: Waltraud Schwab

Von Waltraud Schwab

Jedem Ding wohnt Dinghaftigkeit inne. Eine Bedeutung, die über den konkreten Nutzen des Dings hinausreicht. Feuersteine zum Beispiel: Heute sind es Steine, vor Jahrtausenden waren es Handwerkszeuge. Wer welche am Strand aufhebt, denkt die Menschheitsgeschichte manchmal mit.

Im Alltag wird die Bedeutung eines Dings selten erfragt. Das Ding wird genutzt. Ein Teller, ein Glas, eine Gabel, ein Messer. Irritationen entstehen erst, wenn es plötzlich möglich ist, das Besteck durch Stäbchen zu ersetzen. Dann könnte die Gabel auch als dreizackiger Minispieß gesehen werden. Umgekehrt taugen Essstäbchen auch mal zum Trommeln.

Irritation ist das Stichwort, um der Dinghaftigkeit nachzuspüren. „Was ist das denn?“, fragen Kinder und deuten auf etwas, das sie nicht kennen.

Irritation entsteht auch, wenn ein Ding seinen Ursprungsnutzen verloren hat. „Kannst du das brauchen?“, fragte eine Freundin und stellte Diskettenboxen auf den Tisch – diese kleinen Kästchen mit durchsichtigem Deckel, in die zehn 3,5-Zoll-Disketten passten, damals, als Dateien noch auf solchen gespeichert wurden. Wie Feuersteine sind sie nur noch Teil der Geschichte.Bei „Schöner Müll“ wird versucht, Dinge umzudenken. Ihre Dinghaftigkeit zu ergründen. Was steckt also in den Diskettenboxen? Der erste Gedanke: irgendetwas mit Gewürzregal. Der zweite: Gewürzregal, wie langweilig. Der dritte: eine Anzuchtstation für Pflanzen. Das Ding selbst hat mich auf die Spur gesetzt. Denn die Boxen sehen mit ihrem Dach aus Plexiglas wie kleine Gewächshäuser aus.

Alle, die einen Garten haben, kennen das Problem: Jetzt im Januar sollte man bereits wissen, was im Frühjahr angepflanzt werden soll. Etliches davon muss auf der Fensterbank vorgezogen werden. Tut man das nicht, ist die Wachstumszeit zu kurz. Deshalb stehen bei ernsthaften Gärtnerinnen die Fensterbänke voll mit Töpfen, in die Tomaten- oder Kürbis-, Zucchini- oder Brokkolisamen gesteckt sind. Kein Fenster ist mehr vernünftig zu öffnen.

Da nahm meine Lösung Gestalt an: vertikal auf einem Brett befestigt lassen sich die Diskettenboxen, mit Erde und Samen bestückt, gut durch die Wohnung tragen – immer dahin, wo die meiste Sonne hineinscheint. Und sauber machen kann man sie auch im Freien.

Um die Schöner-Müll-Idee auf die Spitze zu treiben, bin ich zu Freundinnen an die Ostsee gefahren, in der Absicht, ein Stück Treibholz zu finden, auf dem ich die Kästen befestige. „Findest du nie“, sagten die Freundinnen. Fand ich doch. Das ideale Brett, von Salz konserviert, vom Meerwasser dunkel gefärbt und mit Algengeruch.

Beim Anschrauben der Kästen machte ich dann einen Fehler. Zwar habe ich sie absichtlich nicht kerzengerade draufgeschraubt, aber die Abstände zwischen den einzelnen Reihen habe ich zu kurz bemessen. Warum? Die Pflänzchen wachsen in die Höhe. Ich hatte das vergessen.

Es ist übrigens nicht ratsam, die Erde direkt in die Diskettenkästen zu tun. Dann wird es schwierig, die Pflänzchen herausheben, ohne die fragilen Wurzeln zu zerstören. Ich habe deshalb aus einem alten zerschlissenen Baumwolltuch kleine Säckchen genäht, in der Form wie lose Teebeutel, habe Erde und Samen da hineingetan. Die Säckchen, sofern es wirklich reine Baumwolle oder reines Leinen ist, kann man mit einpflanzen, sie vermodern zu Kompost.

Das Beste aber: Die vertikale Anzuchtstation sieht selbst im Zimmer schön aus. Und irritierend. „Was ist das denn?“

Anleitung

1. Sie brauchen alte Diskettenboxen und ein Brett.

2. Bohren Sie in den Boden der Box mit einem Holzbohrer ein Loch, es dient der Entwässerung. Ohne Druck bohren, dann zerspringt das Plastik nicht.

3. In die hintere Wand der Box zwei Löcher bohren. Sie sind für die Befestigung an dem Holzbrett da.

4. Die Kästen auf das Brett schrauben. Aber in einem größeren Abstand als auf dem Foto.

5. Kleine Säckchen aus einer Windel oder einem alten Geschirrhandtuch nähen. Als Vorlage eignen sich lose Teebeutel.

6. Die Säckchen mit Erde und Samen befüllen und in die Kästen drücken. Idealerweise zwei Stück nebeneinander.

7. Die Erde mit einer Sprühflasche befeuchten, die durchsichtigen Deckel schließen.

8. Darauf achten, dass die Erde nicht austrocknet. Wenn die Pflänzchen sprießen, weiter mit der Sprühflasche feucht halten. Sobald sie so groß sind, dass sie am Deckel anstoßen, den Deckel offen lassen.

9. Wenn es draußen endlich warm genug ist, die Setzlinge in große Töpfe oder ein Beet pflanzen.

Die Genussseite: Autorinnen der taz beschreiben hier einmal im Monat, wie man aus Müll schöne Dinge macht. Außerdem im Wechsel: Wir kochen mit Flüchtlingen, Jörn Kabisch befragt Praktiker der Kulinarik, und Philipp Maußhardt vereinigt die europäischen Küchen