Revolution zieht blank

Sex & Sexismus Vor 50 Jahren erschien der Comic „Barbarella“ bei Schünemann. Er markiert bis heute nicht überwundene Widersprüche sexueller Emanzipation im Pop

Nicht gerade für seine gekonnt gesetzte Schrift berühmt: der Comic „Barbarella“ in deutscher Übersetzung Foto: Schünemann-Verlag

von Jan-Paul Koopmann

Endlich am Ende des Labyrinths angelangt, steht Weltraum-Amazone Barbarella überrascht vor ihrer bisher größten Herausforderung: „Wie soll ich weiterkommen, wenn es gar keinen König zum Verführen gibt?“, fragt sie: „Was nun?“ Denn die Weltraumbluse aufzuknöpfen und mit Freund und Feind zu schlafen, das ist ihre über den gesamten Comic erprobte Strategie. Sex ist das, was Barbarella eben tut. Ihre Strahlenpistole ist Nebensache.

Vor einem halben Jahrhundert, im Dezember 1966, erschien Jean-Claude Forests Comic in deutscher Übersetzung beim Bremer Schünemann-Verlag. Der auf Heimatliteratur, lokale Sachthemen und andere Bremensien spezialisierte Verlag ist damals bereits seit über 100 Jahren im Geschäft. Dass er aber statt Braunkohlrezepten nun frivolen Sci-Fi-Trash ediert, ist neu und liegt am Sohn des Familienunternehmens: Walther Herrmann Schünemann steigt in den 1960ern als freier Mitarbeiter in den (urgroß-)väterlichen Verlag ein und bringt Dada mit, indianische Märchen, Bewusstseinserweiterung und Sex – einen Hauch von Counterculture an der Weser.

Vorne weg: „Barbarella“. Die Raumfahrerin bereist in verschiedenen Episoden fantastische Planeten, streitet sich mit intergalaktischen Großwildjägern, mit Quallenschiffen und mit Alienhistorikern, die auf einem Nachbau der Erde von 1880 leben. Die futuristischen Geschichten dürften auch damals schon etwas altbacken gewirkt haben; als eine Science-Fiction, die eher an die Pulps der 1930er-Jahre erinnert als an die Dystopien ihrer Zeit. Die kaum mehr zeitgemäßen Ideen eines mittelbegabten Zeichners, im Deutschen noch ergänzt durch dilettantisches Lettering, waren im Grunde eine Flopgarantie: Wären da nicht die auch für französische Maßstäbe hochwertige Buchproduktion. Und eben diese nackten Brüste.

Gerade dieses Freilegen der Brüste stand für die Befreiung an sich

Barbarella ist Teil der sexuellen Revolution. Und das mit all den Widersprüchen, die da dranhängen. Einerseits wird sie ständig nackt als wollüstig und verfügbar in Szene gesetzt. Andererseits ist Barbarella eine Frau, die ihrer Libido selbstbestimmt folgen kann und zwanglos und straffrei Sex hat, wenn sie es will. Das gilt für den Comic wie für die noch bekanntere Verfilmung mit Jane Fonda. Das hat auch die Zensur beschäftigt: Jean-Claude Forest musste nacharbeiten, obwohl seine Bilder ja recht harmlos sind. Es sind keine Genitalien zu sehen, erst recht keine Penetration – überhaupt kaum ein Geschlechtsakt, der über das Entkleiden hinaus zu sehen wäre. Aber gerade dieses Freilegen der Brüste stand pars pro toto für die Befreiung. Ob in Mode, Comic oder Kunst: Monokinis trieben am Strand die Sittenwächter in den Wahnsinn, kurz nach Barbarellas Erscheinen wurde die Cellistin und Fluxus-Künstlerin Charlotte Moorman verhaftet, weil sie oben ohne ein Konzert gab.

Der Umschlag der Befreiung in sexuelle (Selbst-)Ausbeutung war noch nicht vollzogen – es herrschte ein progressiver Schock, bevor die Revolution dem pseudo-heiteren Tittengucken à la Bild-Titelseite und „Tutti Frutti“ auf RTL plus wich.

In der Sci-Fi-Sparte verblieb der Sex im Trashsegment. Die vor wenigen Tagen verstorbene Carrie Fisher gab als Prinzessin Leia in „Star Wars“ eine Anti-Barbarella als klinisch-züchtiges Sexsymbol und rebellierte erst nach dem Dreh. Da erzählte sie, wie Regisseur George Lucas sie die Brüste mit Tape fixieren ließ, damit ja nichts wackelt, oder gar Brustwarzen durchschimmern.

Fantasy-Pop steckt bis heute in dieser Zwickmühle: Während die Figur Leia ihre Integrität gerade durch die Unterwerfung von Fishers Schauspielerinnenkörper erlangt, wird die befreite Barbarella auf der Bildebene in den Objektstatus gezwungen. Es gibt kaum ein Panel, in dem Barbarella nicht für den Lustgewinn ihrer Leserschaft dummdreist in fickbare Positur zeichnen würde. Aufgelöst ist das nicht, besonders frappierend zeigt sich das Problem in Film, Comic und Computerspiel, wo Heldinnen eben nicht nur stark, sondern auch willig auszusehen haben.

Neu war, den Schund im edlen Hardcover zu binden Bild: Schünemann-Verlag

Kommendes Jahr steht seit Langem wieder eine Barbarella-Fortsetzung an: beim US-Verlag Dynamite Entertainment. Es ist nicht damit zu rechnen, dass Weltraumtrash mit nackten Brüsten heute mehr als nostalgische Herrenwitze abgibt. Was im Original aber bis heute aufgehoben steckt, ist dieser historische Moment, in dem das Trauerspiel von Befreiung und Sexismus zwar seinen Ursprung hat – wo es aber noch hätte gut ausgehen können.

Der Schünemann-Verlag ist kurz ganz oben auf der Welle der sexuellen Revolte geritten und hat das heute als eher unscheinbares Stück Verlagsgeschichte konserviert: 2010 erschien die Faksimile-Ausgabe zum 200. Verlagsjubiläum. Das Buch im großformatigen Hardcover wird inzwischen für 8 Euro verramscht. Ein bisschen schade für diesen noch immer nicht restlos entschärften Comicklassiker, dafür aber ein Glück für den Rest der Welt.

Jean-Claude Forest: Barbarella, 88 Seiten, Hardcover, Carl-Schünemann-Verlag, 8 Euro

Die Verfilmung von Roger Vadim ist 8.1. um 20.15 Uhr auf Tele 5 zu sehen