Mahlsdorfers Mondfahrt

Ausflug Was man schon wissen muss, wenn man mal zum Mond will: Das geht keineswegs als Kurzstrecke. Neulich beim Raketentaxistand in Marzahn, Poelchaustraße/Allee der Kosmonauten – ein All-Dramolett

Inspirierend: Ende November berichteten die Medien von einer Mahlsdorfer Forschergruppe, die per Raketentransport ihr Mondmobil dort, wo es hingehört, platzieren will – auf dem Mond Foto: Hannemann

von Uli Hannemann

Die Mahlsdorfer (öffnen hinten die Tür des Raketentaxis, steigen ein und sagen im Chor): Guten Abend.

Raketentaxifahrer (faltet die Zeitung zusammen, in der er bis eben noch gelesen hat, und wirft sie auf den Beifahrersitz): Nabendchen. Solls’n hinjehn?

Mahlsdorfer: Zum Mond, bitte.

Raketentaxifahrer (alarmiert): Dit is aba keene Kurzstrecke.

Mahlsdorferin (beschwichtigend): Ja, kein Problem. Fliegen Sie einfach los.

Raketentaxifahrer (nölt): Aba da is ja nüscht. Da krieg ick do keene Anschlusstour. Da komm ick do nie wieder weg.

Mahlsdorfer: Keine Sorge. Wir wollen nur kurz was gucken und dann gleich wieder zurück. Na, wie hört sich das an?

Raketentaxifahrer: Wie lang muss ick denn da warten? Ick lass dann aber so lange die Uhr loofen.

Mahlsdorferin (seufzt): Unseretwegen können Sie das Ding anlassen.

Raketentaxifahrer (beruhigt, geschäftstüchtig): Na denn wolln wa ma (drückt Raketentaxameter, rückt sein Käppi zurecht, dreht den Zündschlüssel, Höllenlärm, kurzer Blick in den Außenspiegel, fliegt los).

Raketentaxifahrer (brummelt und bruddelt): Brummelbruddelbrummel … (drückt Sprechfunktaste) … Zentrale, bitte für Raketenfunkkraftdroschke siemunfürzi ölf …

Zentrale (gnarzt): Herr siemunfürzi ölf?

Raketentaxifahrer: Die siemunfürzi ölf meldet sich ab ssum Mond.

Zentrale (rauscht): Allet klar, Kolleje. Jute Fahrt!

Raketentaxifahrer: Danke.

Mahlsdorfer (versucht ein belangloses Gespräch zu beginnen): Und wie läuft das Geschäft so?

Raketentaxifahrer (startet Lamento): Hörn Se bloß uff. Allet Scheiße! Früher war allet besser. Da hatten die Leute no Arbeet. Und Jeld. Da haste dann ahmts oft den Spaßhandwerker …

Mahlsdorferin (stutzt, verbessert): …ah, den Spacehandwerker …

Der Raketentaxifahrer (geschäftstüchtig):

Na denn wolln wa ma (drückt Raketentaxameter, rückt sein Käppi zurecht, dreht den Zündschlüssel, Höllenlärm, kurzer Blick in den Außenspiegel, fliegt los)

Raketentaxifahrer: Jenau! Den Spaßhandwerker. Is ja allet in Englisch jetze. Haste den also vom „Blauen Piephahn“ am Herzbergplatz in die Milchstraße jefahn. Oda sogar bis nach Reinickendorf. Konnta sich locker leisten. Aba hat ja keena mehr Jeld heute …

Mahslsdorfer (unterbricht): …Wenn ich mal was fragen darf: Sie sehen doch eigentlich ganz pfiffig aus. Sie fahren aber nicht nur Raketentaxi, oder? Sie machen bestimmt noch was anderes: Künstler, Musiker, Student? Hab ich recht?

Raketentaxifahrer (eingeschnappt): Wie wat anderet?? Is dit nich jut jenuch oda wie? Bin ick nu’n schlechter Mensch oda wat? Ick hab siebzich Semester Astronomie studiert. Aber da kriste ja keen Job, wa. Taxi jefahn bin ick schon die janze Zeit üba wäant dem Studium, und da hab ick mia ehmt jesacht, machste none Astronautenausbildung dassu, und dann fährste Raketentaxi. Is do supa, wa: Ick bin unabhängig, ick kann mir die Sseit sölba einteiln …

Mahlsdorferin (wechselt rasch das Thema): Fahren Sie eigentlich immer nachts?

Raketentaxifahrer: Nur nachts, ja. Da is ni so ville los im All, wa. Is entspannter. Und die Fahrjäste sind üantwie interessanter. Obwohl manche ja ooch eene Scheiße quatschen, dit jips ja janich.

Mahlsdorfer (unempfindlich): Aber in der Nacht sind doch sicher auch komische Leute unterwegs. Kann das nicht manchmal unangenehm werden?

Raketentaxifahrer (stolz): Kannet. Und wie! Aba mit der nötien Menschenkenntnis und orntli Fingaspützenjefühl jeht it. Nur mit die – ick musset leider sagen (senkt die Stimme), und ick hab würkli nüscht jejen Ausplaneter, ick hab ja sölba auch Kollejen vom Saturn, vom Uranus oder aus Spandau, die kenn si besser aus als mansche von uns, sin sauber, höfli, jute Astronauten, ha ick jar keen Problem mit die …. aba (raunt): die Marsmenschen. Ick weeß ni, wie ick et saen soll. Mit die kommick echt ni klar. Fast immer völli besoffen, wa, schnalln sich ni an, neuli wollte da sogar eena mim Döner mitfliegen, stölln Se sich ma vor, wa, mim Döner inner jeschlossenen Rakete, Knoblauchsoße, Zwiebeln, wie dit stinkt, wa, könn Se sich vorstölln, und frech, wa, so richti anmaßend, keen Trinkgeld, wissen allet besser, wa, eima schreit mi do eena an: Der kürzeste Wech zum Mars wär über die Stadtautobahn, Kurt-Schuhmacher-Damm und dann Alpha Centauri, sin Kumpel wär ooch Raketentaxifahrer, und ick wär son Ijot. Den ha ick aba hochkant rausjeschmissen, wa: Schleudersitz. Konnta ehmt loofen …

In den langen Jahren seiner Taxifahrerkarriere erwarb Uli Hannemann tonnenweise Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl. Er entschied sich jedoch, nichts davon in sein Werk einfließen zu lassen.

Letztes Buch: „Die megascharfe Maus von Milo (24 neue ­Arbeiten des Herakles)“. Erschienen 2016 im Berlin Verlag

Nächste Lesung (wie jeden Dienstag): am 3. Januar 2017 um 20.30 bei der Lesebühne „LSD – Liebe statt Drogen“ im Schokoladen