Eine Geschichte zu Silvester von Katrin Seddig (Text) und Imke Staats (Illustrationen)
: It’s a Kind ofMagic
Olve und Strehlow trugen beide Anzüge und weiße Hemden, Olve eine Krawatte und Strehlow eine Fliege. Sie waren gleich groß und schon irgendwie attraktiv. Olve sah immer so aus, als würde er über etwas Ernsthaftes und ein bisschen Trauriges nachdenken, er sah so tapfer in das Ungewisse, mit seinen dunklen Augen, er zog immer gleich sämtliche Liebe auf sich. Strehlow war ein ganz anderer Mann, er war ein gutes Gegenüber, er ließ sich auf die Menschen ein, er kam ihnen entgegen, er wollte verstehen und verstanden werden, und das sah man ihm auch an. Im Grunde ließ ihn das manchmal ein wenig wie einen Verkäufer wirken, obwohl er das gar nicht war. Er verkaufte ja nichts, er verschenkte all seine Aufmerksamkeit und sein Verständnis für die Welt. Sie hätten sich hassen können, Olve und Strehlow, aber sie waren Freunde und liefen die Straße hinunter und redeten miteinander. Olve redete eigentlich nicht, Strehlow redete und Olve sah die Straße hinab, die graue, und sah dem Abend entgegen.
„Ich glaube nicht, dass Neni so einen Mann verdient hat. Sie hat ihn nicht verdient. Nein.“
„Hmh“, sagte Olve.
„Sie hätte doch wirklich jemand Guten kriegen können. Sie hätte einen kriegen können, der gut aussieht und nett ist. Einen netten Mann hätte sie kriegen können, einen sehr netten. Männer würden doch alles tun für Neni. Ich würde alles für sie tun. Ich meine, sie ist nicht die schönste Frau, die ich kenne …“
Er dachte eine Weile darüber nach, wer noch schöner wäre als Neni, während sie weiter im gleichen Schritt die saubere Straße entlangliefen. Überhaupt schien alles geputzt. Nirgends lag etwas herum. Das Licht lag fein säuberlich über der Stadt, ein gedämpftes, ein ganz feines Licht, wie das Licht einer sehr weißen Kerze, wie das Licht einer Perle, wenn eine Perle Licht abgäbe. Es war vielleicht zu warm, es waren vielleicht zwölf Grad ungefähr? Deshalb trugen sie keine Jacken und nur diese Anzüge.
„Wir sollten vielleicht etwas mitbringen“, sagte Strehlow.
Olve sagte nichts. Er ging auch viel zu lässig, um irgendwas zu sagen. Strehlow hätte ihn am liebsten getreten.
„Ich werde jedenfalls etwas mitbringen“, sagte Strehlow.
„Ich auch“, sagte Olve.
Die Trüffel sahen aus, als würden sie in dem Öl leben. Er nahm eine Flasche in die Hand, bewegte sie und die Trüffel rollten ein bisschen hin und her. Der Mann in der Jägerjacke beobachtete ihn, aber er sagte nichts. Strehlow stellte das Trüffelöl wieder hin und nahm eine Flasche Champagner aus dem Regal. Er sah sie sich an, aber es gab nichts Besonderes an ihr zu sehen. Normalerweise hätte ein Verkäufer gesagt: Das ist ein Champager der so und so und ganz toll ist. Aber der Jägersmann sagte nichts.
Darum sagte Strehlow: „Nun ist das Jahr schon wieder um.“
„Da sagen sie was“, sagte der Jägersmann.
Olve griff nach einer Dose Wildschweinfleisch und einer Flasche Wein.
„Machen Sie ’ne Schleife rum?“, fragte er.
„Du willst ihr Fleisch mitbringen?“, fragte Strehlow.
„Schleifen haben wir nicht“, sagte der Jägersmann.
„Gehn sie heut noch auf die Jagd?“, fragte Olve.
„Ich denke schon“, sagte der Jägersmann.
Strehlow musste lächeln, obwohl es ihm alles sehr unangenehm war.
„Ich denke nicht, dass das mit dem Fleisch gut ankommt.“, sagte er zu Olve.
„Es ist einfach wunderbar, nachts auf dem Hochsitz, und dann ein paar Tiere schießen. Da weiß ich, wofür ich lebe“, sagte der Jägersmann.
„Das ist doch schön“, sagte Strehlow.
„Das ist Mord“, sagte Olve und steckte die Wildschweinwurst in seine Anzugtasche.
„Genaugenommen ja“, sagte der Jägersmann.
Strehlow konnte sich nicht mehr auf sein Einkaufen konzentrieren. Deshalb nahm er Olve die Flasche aus der Hand und sagte: „Die nehm ich.“
Olve hatte nichts dagegen. Ihm war fast immer alles egal. Vielleicht auch nicht, aber in den obersten Schichten seines Selbstes war er so. Er war mit anderen Dingen beschäftigt.
„So ein Spinner“, sagte Olve draußen, wo es plötzlich Abend war und ein bisschen kalt. „Der jagt doch nicht. In seinen Träumen vielleicht.“
„Warum hast du ihn dann gefragt, ob er zur Jagd geht?“
Sie näherten sich Nenis Wohnstraße. Sie liefen im gleichen Schritt. Es war kälter als vorhin, aber immer noch nicht kalt. Strehlow kam es nicht kalt vor. Er erinnerte sich an eine ähnliche Kälte im Juni, als er ein Poloshirt getragen hatte, und die Straße hatte genau wie jetzt ausgesehen. Die Autos hatten dieselben beruhigenden gelben Lichter und fuhren alle ganz vorsichtig und feierlich, in dieser guten Gegend mit den hohen Mauern, wo die Fenster alle weiter oben waren, wo es Tore gab und Treppen hinauf. Es gab Stille und Leere und eine angenehme Gleichgültigkeit.
Ziemlich spät antwortete Olve.
„Es ist dir vielleicht nicht aufgefallen, aber er trug eine Jägerjacke.“
„Es ist mir aufgefallen.“
„Na siehst du.“
Eine sehr gerade und steile Treppe aus dunklem Stein ging zu Nenis Haus hoch und an ihrer Klingel stand: „Neni Pusch“.
Da fing es an, ganz, ganz sanft zu schneien.
„Es muss kälter sein, als ich dachte“, sagte Strehlow und fing augenblicklich an zu frieren.
„Wir sind ganz schöne Idioten“, sagte Olve.
Dann ging die Tür auf und sie stiegen durch das Treppenhaus nach oben hoch bis zu Nenis Wohnung.
Neni stand in der Tür und zitterte, obwohl es im Treppenhaus eigentlich nicht kalt war. Neni war eine Frau, die sehr unruhig war, aber das auf eine angenehme, nicht sehr auffallende Art. Sie zappelte und sie redete schnell, aber ihr Körper war so dünn und sie tat alles so sanft und so leise, sie war wie ein Hauch, und ihre Bewegungen waren ein wenig kraftlos und deshalb verpuffte viel von dieser Energie ganz zart und elegant. Sie machte eigentlich gar keinen hektischen Eindruck. Auf niemanden.
„Ihr Lieben“, sagte sie, „wie schön, wie schön, wie schön, dass ihr gekommen seid. Ich bin so froh. Sie umarmte sie beide mehrmals rasch und dann ging sie ihnen voran und ließ sie die Jacken ausziehen, die sie selber an den Haken ihrer Garderobe hängte, wo sie mehrmals wieder runterrutschten, aber sie hob sie immer wieder auf und sagte auch zu den Jacken „Ihr Lieben“.
„Ist was?“, fragte Olve.
„Ach, nichts Besonderes“, sagte sie, „es ist nur so, dass Arndt noch nicht gekommen ist.“
„Das ist ja nun nicht so schlimm“, sagte Olve und ging ins Wohnzimmer rüber, wo er sich auf das Sofa setzte. Im Wohnzimmer sah es ganz hübsch aus. Es hingen ein paar Bilder an den Wänden, die Neni selber gemalt hatte. Sie konnte nicht besonders malen, aber die Wände sahen trotzdem nett damit aus. Sie malte meistens Landschaften, die nicht fertig wurden und dann hängte sie sie unfertig an die Wand. Sie hatte riesige Räume, die Wohnung war ein Palast. Strehlow war sehr gern bei Neni, er fühlte sich dann selber immer ein bisschen mehr wie ein Mensch, der wertvoll ist. In Nenis Erbwohnung gab es hohe, alte Schränke, abgetretene Perserteppiche, es gab Glasvitrinen, in denen Muscheln und Steine lagen, es gab Bücherregale und es gab Schmuck, überall lag Schmuck herum, es gab Kissen und Vorhänge und Decken und alles war weich und staubig und zum Glück gab es keine Katzen. Farblich war es alles sehr blau und lila und rot. Aber grün gab es auch, in den Bildern an den Wänden.
Da saßen sie dann in den dicken Sesseln und auf dem Sofa und es sah überhaupt nicht so aus, als ob Neni eine Party vorgehabt hatte. Strehlow sah sie an und sah in Nenis Gesicht, dass es mit Arndt noch mehr gab, als dass er noch nicht hier war.
„Kommt möglicherweise Arndt auch gar nicht mehr?“, fragte er Neni.
„So ist es“, sagte Neni. „Er ist noch nicht gekommen, und er kommt auch gar nicht mehr.“
„Das ist eine komische Art, uns etwas mitzuteilen“, sagte Olve.
„Wenn du ein Mensch wie Strehlow wärst, dann hättest du das schon verstanden“, sagte Neni.
„Ich bin aber nur ein Mensch wie Olve“, sagte Olve.
„Feiern wir halt zu dritt“, sagte Strehlow.
„Warum kommt er denn nicht?“, fragte Olve.
„Weißt du“, sagte Neni, „er ist einfach nicht der richtige Mann für mich.“
„Was habe ich gesagt?“, sagte Strehlow und zuckte mit den Schultern
„Wir haben jedenfalls das hier mitgebracht“, sagte Olve und legte die Dose Wildschweinfleisch auf den Tisch.
„Aha“, sagte Neni, weil alle wussten, dass sie kein Fleisch aß.
„Wir haben auch noch das“, sagte Strehlow und stellte den Wein auf den Tisch.
„Na also“, sagte Neni, „das wird noch eine sehr nette Party werden“.
Aber sie fing an zu weinen.
Olve ging rasch zu ihr rüber und legte seinen Arm um sie. Strehlow ärgerte das schon, er hätte auch gerne seinen Arm um sie gelegt, er war nur etwas anständiger als Olve.
„Ich habe nichts vorbereitet, nichts, gar nichts“, schluchzte Neni und sprang auf und schüttelte dabei Olve ab. Sie rannte durch den Raum und schwang die dünnen Arme. Sie trug ein Kleid mit langen, weiten Ärmeln und der Stoff schimmerte und glänzte und um den Hals trug sie eine lange Kette.
Strehlow wollte nicht fragen, was. Es sah nicht aus, als ob Olve schon was in der Tasche hatte. Sie waren in einer Gegend unterwegs, wo es eine Menge hübscher Läden gab, die den Eindruck erweckten, dass es sie seit hundert Jahren mindestens schon gab, aber trotzdem war es alles neu. Es gab hier in der Gegend nur gute Sachen, und jede einzelne Fischdose war so teuer und sah so nach was aus, dass man sie einwickeln, eine Schleife drumbinden und verschenken konnte. In so einer Gegend wohnte Neni nun mal. Strehlow ging in den nächsten Laden, Olve hinterher, drei Treppenstufen hoch und durch ein Gonggeräusch, das so hübsch und klar und elegant war, dass Strehlow sieben Euro dafür bezahlt hätte, wenn es jemand irgendwo aufgeschrieben hätte, dass so ein Gonggeräusch so viel kostet.
Ein älterer Herr in einer Jägerjacke stand hinter einem Verkaufstresen, aber je näher Strehlow ihm kam, um so jünger wurde er und am Ende war er eigentlich so ungefähr dreißig oder vierzig. Der Mann war voller Zurückhaltung und sowas mochte Strehlow an Verkäufern und an Läden, wenn sie nicht auf ihn zusprangen und ihm was verkaufen wollten. Am liebsten waren ihm Läden, die gar nichts verkaufen wollten. Leere Läden und Verkäufer, die irgendwo in einer Ecke schliefen. Solche Läden gab es aber nicht in Europa, jedenfalls nicht in Hamburg.
In diesem Laden gab es einiges, es stand in grünen Regalen zwischen Pilzen und Rehen, es war doch alles sehr von der Jagd durchdrungen. Es gab Getränke und Dosen mit Wurst, aber auch kleine Kuchen und Schürzen, Ledertaschen und Gürtel, es gab Bücher über die Kunst, allein zu sein, und eine vollbusige Zwergenfrau, die einen Teller hielt, auf dem runde, schwarze Trüffel in Ölflaschen standen.