Theaterintendant über Rassismus: „Die Mitte ist mir zu passiv“

Wegen Alltagsrassismus haben Künstler des Theaters Altenburg-Gera ihren Vertrag gekündigt. Intendant Kay Kuntze fordert Unterstützung.

Menschen beugen sich gemeinsam über ein Blatt Papier

Das Ensemble spielt eine Szene von „Die Schutzlosen“ (Archivbild 2014) Foto: dpa

taz: Herr Kuntze, an Ihrem Theater haben mehrere Schauspieler und Sänger ihre Verträge nicht verlängert. Was ist vorgefallen?

Kay Kuntze: Vier Künstler werden Ihr Engagement an unserem Theater beenden, weil sie sich wiederholt verbalen Übergriffen mit fremdenfeindlichem Hintergrund ausgesetzt sahen. Ein Künstler nennt das als alleinigen Grund für seine Vertragsauflösung, andere nennen weitere Gründe. Zum Teil sind die Kollegen schon seit Jahren im Engagement, sie fühlten sich wohl und aufgenommen in der Region. Aber nun sprechen sie von einer Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas und einer Zunahme entsprechender Vorkommnisse.

Pöbeleien gegen Fremde zählen inzwischen schon zum deutschen Alltag. Gibt es in der Problemregion Ostthüringen ein besonders gereiztes Klima?

Ich denke, Fremdenfeindlichkeit gab und gibt es jederzeit und in jeder Region. Solche Haltungen werden aber zunehmend sichtbarer, öffentlicher, und das vergiftet das gesellschaftliche Miteinander. Ich würde nicht sagen, dass sich Xenophobie vermehrt, aber sie kommt zunehmend aus der Deckung. Es gibt natürlich auch die Reflexe am anderen Rand der politischen Skala. Aber die von demokratisch gewählten Parteien repräsentierte Mitte ist mir zu passiv.

Halten Sie Aufgeben für den richtigen Weg? Hätte man nicht offensiver vorgehen können, beispielsweise Anzeige erstatten?

Natürlich ist Resignation keine Lösung. Es gibt ja auch viele andere nichtdeutsche Mitarbeiter bei uns, die diesen Weg nicht gehen. Den gewählten Schritt der betreffenden Künstler bedauere ich sehr, aber ich respektiere ihn. Künstler sind sehr sensible Menschen, die für die Ausübung ihrer Kunst ein angstfreies Klima benötigen. Sicher sollten die Instrumente der Rechtsstaatlichkeit in Anspruch genommen werden. Es scheint aber eine Scheu zu geben, in dem Land, in dem sie zu Gast sind, die Polizei aufzusuchen. Dazu kommt noch das Bedürfnis, nicht als Opfer stigmatisiert werden zu wollen.

Es gibt schon erste Politikerreaktionen, etwa von Geras parteiloser Oberbürgermeisterin Viola Hahn, außerdem ein Gesprächsangebot von Staatskanzleichef Benjamin Hoff. Könnten diese Zeichen die Entscheidung der vier Mitarbeiter noch revidieren?

Nein, die persönlichen Entscheidungen sind getroffen und wirksam.

Theater gehören zu den Orten, die unsere Wertegrundlagen coram publico verhandeln. Beschleicht Sie ein Gefühl der Ohnmacht, so wenig auf das „gesunde Volksempfinden“ einwirken zu können?

50, ist seit fünf Jahren Generalintendant und künstlerischer Geschäftsführer von Theater & Philharmonie Thüringen Altenburg/Gera.

Überhaupt nicht. Unsere Theater sind gut gefüllt haben eine große Akzeptanz in der Region. Wir verhandeln wichtige, gesellschaftsrelevante Themen, die für Diskussionsstoff sorgen und notwendig für die gesellschaftliche und regionale Selbstbespiegelung sind. Unser Theater ist ein Beispiel von gelebter und geglückter Integration. 61 unserer Mitarbeiter haben keine deutschen Wurzeln, und dieses multikulturelle Kraftwerk wird auch als solches wahrgenommen.

Wie sieht das konkret aus?

Beispielsweise werden unsere fast immer ausverkauften Ballettvorstellungen von Tänzern aus 14 Nationen getanzt. Engagements werden ausschließlich aufgrund der künstlerischen Eignung getroffen. Dadurch arbeiten Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Religion bei uns in einem kreativen Miteinander, das von allen als bereichernd empfunden wird. Hass, Pöbelei, Angst, Hetze, Spaltung kann man am wirksamsten mit Bildung und geistig, emotionaler und seelischer Nahrung begegnen. All das bieten wir am Theater.

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