Barbara Dribbusch über Sozialpolitik 2017
: Gratwanderung in der Mitte

Über das Glück steht in einem US-amerikanischen Bestseller der Ratschlag: „Gib mehr, als du nimmst!“ Großzügigkeit hebt das Selbstwertgefühl und schafft Zugehörigkeit. Die Schwester der Großzügigkeit ist die Abgabenbereitschaft, also die Bereitwilligkeit, Beiträge und Steuern in die Solidarsysteme zu zahlen – das höchste Gut im Sozialstaat.

Die Abgabenbereitschaft der Mittelschichten wird im kommenden Jahr erst mal nur auf eine kleine Probe gestellt, denn die Freibeträge bei den Einkommensteuern steigen, das sorgt für Entlastung. In den Sozialsystemen wird der Pflegebeitrag etwas angehoben, desgleichen auch die Verdiensthöchstgrenzen für die Bemessung von Sozialversicherungsbeiträgen. Es sind also etwas höhere Sozialbeiträge zu zahlen, aber es gibt auch was dafür. Die Pflegeleistungen für Demenzkranke werden ausgebaut.

Die Pflegeversicherung, vor über zwanzig Jahren eingeführt, war ein Beispiel dafür, welche Gemütsschwankungen in der öffentlichen Meinung entstehen, wenn eine neue Leistung geschaffen wird, dafür aber auch neue Beiträge fällig werden.

Sozialpolitiker balancieren stets auf diesem Grat zwischen Anspruchshaltung einerseits und Abgabenverdrossenheit andererseits. Diese Gratwanderung wird heikel im Wahlkampf 2017, in denen alle Parteien auch um die Stimmen aus den Mittelschichtmilieus ringen, die sich um Mieten, Renten, Löhne sorgen, aber so wenig wie möglich Steuern und Beiträge zahlen wollen.

Es sollte honoriert werden, wer ehrlich über diese Gratwanderung spricht, wer Leistungen in der Alterssicherung oder bei der Eigenheimförderung nur in Aussicht stellt, wenn die dazu erforderlichen Beiträge und Steuern benannt werden. Selten war die Verführung so groß, vom Thema abzulenken und dazu Sündenböcke wie etwa die Flüchtlinge zu benutzen. Aber die Flüchtlinge sind nicht das Problem. Das Problem liegt in der Mitte. Immer noch.

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